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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

20. 11. 2009 - 16:35

Fußball-Journal '09-110.

Schlimmer als hundert Constantinis: der europaweite Wettskandal wird auch Österreichs Fußball-Szene nachhaltig beschädigen. Egal ob man nun (wie bisher) beschönigt oder wirklich aufdeckt.

Die Hard-Facts zum bislang größten europäischen Wettskandal.
Zusammenfassender ZDF-Beitrag zum Thema.

Es fing damit an, dass ich heute, obwohl es welt-, europa- und auch österrreich-weit, ja sogar FM4-weltweit sicher einiges an womöglich Wichtigerem gegeben hätte, beim Fußball bleiben wollte. Um ein paar interessante Details, die sich in den letzten Tagen so angehäuft hatten, zu verknüpfen. Wirtschaftliches (wie die Probleme des GAK, bei Gratkorn oder bei Innsbruck), Sportjuristisches (wie die Lachnummer des FC Pasching), Provinz-Possierliches (das, was beim diesbezüglichen Fixstarter Austria Kärnten wieder an Absurditäten stattfindet) und eine Markting-Meldung der Bundesliga zum Thema Trikotwerbung, die mich maßlos geärgert hat.

Apropos Lachnummer und Ärger: Teamchef Constantini, für den der Wettskandal ein Geschenk des Himmels ist - weil sich jetzt keiner mehr mit Speziellem wie seinen taktischen Problemen beschäftigt, ist heute schon wieder zurückgerudert und will das, was gestern noch fix war, heute nicht mehr so gemeint haben.

Hier noch ein Nachhilfe-Vorschlag zur Güte: die Spox-Taktik-Themenwoche!

Ich wollte diesen Wägbarkeiten der WildWest-Branche Fußball dann Seriositäten entgegensetzen, etwa das klare Votum für die 50+1-Regel in Deutschland und auch noch die Zwanziger-Rede im Nachhall des Falls Enke hervorheben und drängen, da 2010 eine Evaliuierung folgen zu lassen.

Ich wollte auch auf die professionelle Reaktion von ÖFB und Bundesliga eingehen, die sich bereits nach dem gestrigen, ersten Bekanntwerden von neuen Wettskandal-Fakten dazu aufschwingen konnten, ihre Wachsamkeit zu betonen. Das ist sonst ja nicht immer der Fall.

Eh nur von den Medien aufgeblasen

Dann ist mir allerdings eingefallen, dass es heuer bereits zwei kleine Affären zum Thema Wetten gegeben hat, die beide recht flott unter die Tische gekehrt wurden, wo es jeweils hieß, da wäre was "von den Medien" aufgeblasen worden.

Fall 1: Sasa Ilic, beleidigte Diva bei Red Bull Salzburg, war (mit anderen ungenannten Kollegen) dabei erwischt worden, wie er in Wettcafes gegen sein eigenes Team gesetzt hatte. Das ist nicht nur per Bundesliga-Richtlinien schlicht verboten, es wirft auch Fragen auf, die jedoch nicht beantwortet wurden. Ilic, vorher schlecht gelitten, ist seitdem de facto suspendiert.

Wie Spieler und Medien mit diesen Problemen umgehen, zeigt sich symptomatisch daran, wie die Hota-Sache etwa in diesem Interview vorkommt.

Fall 2: Almedin Hota, altgedienter Mittelfeld-Stratege bei der Admira, wurde von seinem Verein, der Admira, entlassen.
Offiziell wurden sportliche Gründe genannt, der aufgeregte Admira-Besitzer Richard Trenkwalder preschte dann allerdings in einem Live-TV-Interview mit der Wahrheit vor: Auch Hota wurde im Wettbüro bei seltsamen Handlungen erwischt, auch hier soll er nicht der einzige gewesen sein.

Eh noch nix passiert...

Beide Fälle wurden mit dem Werfen von Nebelgranaten beerdigt, die verantwortlichen Stellen sahen sich nicht zum Einschreiten veranlasst, eine moralisch desinteressierte und fachlich inkompetente Mainstream-Presse folgte (wie immer) auf dem Fuße.

Als ich dann heute mittag beim Stöbern auf diese dreieinhalb Jahre alte Affäre rund um Bojan Filipovic gestoßen bin, ist mir dann auch noch assoziativ die Rolle eingefallen, die Österreich im sattsam bekannten Fall Hoyzer gespielt hat: keine aufklärende, sondern eine in vertuschender Abwehrhaltung. Was z.B. wirklich hinter der Skandal-Saison von Schwarz-Weiß Bregenz von 2004 stand, wurde tendenziell verschleiert - wichtig war, dass eine vorpreschende Zeitung verurteilt wurde. Was die Spieler (Tolja, Grabic, Ikanovic) wirklich damit zu tun hatten (ich erinnere mich an zwei Eigentore in einem Spiel...) war nicht weiter von Interesse.

So gesehen war die Aussage, dass es bislang keine Belege, sondern nur "mediale Spekulationen" gegeben hatte, zwar nicht unrichtig, aber in etwa so schlau wie das Live-Interview eines aus dem 100. Stock Stürzenden, der auf halber Höhe stolz von seiner Unversehrtheit berichtet.

Es ist und war angesichts der allen bekannten Realitäten nämlich nur eine Frage der Zeit bis irgendwann ein paar Fälle auf der Oberfläche aufschlagen und verheerende Zerstörungen anrichten.

Heute 14 Uhr, Bochum

Die Wettskandal Pressekonferenz

apa

Der Aufschlag fand heute um 2 Uhr nachmittag statt.
Die Staatsanwaltschaft Bochum, eine bundes- und europaweit agierende Polizei-Truppe, und die UEFA gaben in einer Pressekonferenz die Fakten bekannt, die auch Österreich ganz tief in den Wettbetrugs- und Korruptions-Sumpf hineinziehen, der zwar von Deutschland, der Türkei und Kroatien (die sattsam bekannten Sapina-Brüder, die trotz der Hoyzer-Verurteilung weiter tätig waren) ausging, hierzulande aber bis in die Bundesliga reicht.

Das ist schlimmer als die Untaten aller heimischen Un-Coaches zusammen, das richtet mehr Verwüstung an als alle Kartnigs, LHs, Grads, Stronachs und Mateschitz' es vermögen würden.

Das ist ein Deep Impact ersten Grades.

Der hier aufgewirbelte Staub wird den Himmel noch über Jahre hin verdunkeln.

Denn um so einen Wettbetrug durchzuführen, müssen die bandenmäßig organisierten Profis mit Spielern, Trainern, Schiedsrichtern oder Funktionären im Bunde sein. Und keine dieser vier Möglichkeiten ist der anderen vorzuziehen.

Kurz: die Fakten

Untersucht wurden nur Spiele des Jahres 2009.

Die Staatsanwaltschaft hat 17 Verhaftungen veranlasst (15 in Deutschland, 2 in der Schweiz) und, interessant für uns, dem Polizei-Landeskommando in Graz ausdrücklich für die Zusammenarbeit gedankt. In Graz gab es auch, wurde später bekannt, Hausdurchsuchungen.

In folgenden Bewerben/Ligen wurden (es gilt wie in der Folge bei allem die Unschuldsvermutung, es handelt sich um eine laufende Ermittlung) Spiele verschoben:

APA-Grafik zum Thema

apa

Grafik: APA

Champions League: 3 Spiele.
Europa-League: 12 Spiele.
U21-EM-Quali: 1 Spiel (vorläufiger Verdacht).
Deutschland: 4 x 2. Liga, 3 x 3.Liga D, 18 x Regionalliga, 5 x Oberliga und 2 U19-Spiele.
Österreich: 11 Spiele der 1. und 2. Liga (keine Spezifizierung).
Türkei: 29 Spiele der 1., 2. und 3. Ligen (Keine Spezifizierung).
Schweiz: 22 x 2. Liga sowie 6 Testspiele.
Kroatien: 14 x 1.Liga.
Belgien: 17 x 2. Liga.
Slowenien: 7 x 1. Liga.
Ungarn: 13 x 1. Liga.
Bosnien: 8 x 1.Liga.

Bisher ist von über 200 Tatverdächtigen die Rede.
Die sollen seit Anfang 2009 Trainer, Spieler, Referees und Offizielle bestochen und damit Wettgewinne in Millionenhöhe eingestreift haben. Europaweit kam es zu 50 Hausdurchsuchungen, neben den erwähnten Ländern auch im UK samt Scotland Yard-Einsatz.

An die großen Ligen jedoch traute sich die Wett-Mafia also nicht ran. In Deutschland ging man wie im Hoyzer-Fall ins Unterholz der unteren Ligen, in vergleichsweise zivilsierten Gegenden wie Belgien oder der Schweiz traute man sich nur in die 2. Liga, während am Balkan (von Österreich über Kroatien bis zur Türkei) auch die oberste Spielklasse betroffen ist.

Das Landeskriminalamt Steiermark führte auf Ansuchen der Ermittlungsbehörden drei Hausdurchsuchungen in der Steiermark und eine in Niederösterreich durch. Ein eigenes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Graz gibt es nicht.

Welche Nationen im Rahmen der internationalen Bewerbe involviert sind wurde nicht bekanntgegeben, ebenso wie alle Details, Namen, Zahlen und Fakten. Wie immer bei laufenden Ermittlungen.

Warum Gerhard Kapl, Vorsitzender der Schiedsrichter-Kommission im ÖFB heute schon weiß, dass kein österreichischer Schiedsrichter in den Skandal verwickelt wäre, überrascht.

Die Folgen

ÖFB und Bundesliga bekommen nächste Woche Akteneinsicht. Bis dahin werden die Spekulationen blühen und die aktuellen Spiele ebenso entwerten wie die 11 verschobenen Partien des Jahres.

Müssen diese Spiel-Ergebnisse annulliert werden?
Müssen Mannschaften vom Spielbetrieb ausgeschlossen oder auf Abstiegs-Plätze gesetzt werden?

Und: Wie war das mit dem Bet-Radar, dem Frühwarnsystem, das auf überhöhte Wetteinsätze hinweist? Hat sich die Liga ausreichend geschützt? Oder sich mit einer mittelmäßigen Variante begnügt? Wenn das so war - das dort eingesparte Geld kann man sich jetzt einmargerieren.

Und: Wie ist das mit der Vereinbarkeit eines Liga-Chefs, der von den Lotterien kommt - der soll ja einen Präsidenten (Mattersburgs Pucher) ablösen, der seit Jahren gegen jede seriöse Vereinbarkeit des Amtes mit seinen anderen Interessen verstößt; hieße das den Teufel mit dem Beelzebuben auszutreiben?

Und: Sind ab jetzt Verschwörungs-Theorien wie diese russische keine Lachnummer von peinlichen Losern, sondern ernst zu nehmende Realität?

Oder: wie bedeutet diese Geschichte für die (zumindest in Deutschland) eh schon am Rande eines Verbots stehenden Wettanbieter, die Glücksritter der Marke bwin?

Jetzt wird zunächst einmal eine bodenlose Gerüchtwelle das Wochenende überschwemmen. Derzeit paddeln dort grade die deutschen Traditionsclubs Ulm oder Osnabrück, aber diese Namen geistern schon seit gestern durch die Medien.

--Fortsetzung folgt, leider sicher.--