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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

19. 11. 2009 - 12:48

Fußball-Journal '09-109.

Verheerung als Entwicklungs-Prinzip. Constantini ist inhaltlich pleite. Aber seine Gehilfen, die Mainstream-Sport-Medien, werden's schon übertünchen.

Zur Vorgeschichte und zum näheren Verständnis empfohlen:

Das gestrige Match in Echtzeit. Und die Constantini-Legacy so far.

Die Inkompetenz der Mainstream-Medien zeigt die Einzelkritik der Spanier in "Österreich": da wird Linksverteidiger Arbeloa als Abmontierer von Janko gefeiert. Wer ein Spiel und seine Struktur (von Feinheiten wie den Aufgaben eines Außenverteidigers gar nicht zu reden) derart nicht versteht, mit dem fährt ein Teamchef natürlich leicht Schlitten.

Auf einen am Boden liegenden einzuprügeln ist nicht lässig, dachte ich mir, als ich heute vormittag in eines der üblichen Wiener Hotels zu einer der üblichen Nach-dem-Länderspiel-Pressekonferenzen gegangen bin.

Ich hatte aber kurz vergessen, wie die heimische Fußball-Szene funktioniert.

Da einigen sich nämlich immer die mit der Definitions-Macht (die sogenannten Fach-Journalisten) mit denen, die die Info-Verteilungs-Macht haben (also ÖFB bzw seine jeweiligen Coaches) immer auf einen Burgfrieden, von dem (sie) alle etwas haben.
Und machen andere aus, die "schuld" sind.
Denn es muß jemand Schuld haben, auch an einer Niederlage gegen die womöglich beste Mannschaft der Welt. Und nachdem es nicht der Teamchef sein kann oder gar eine nicht wirklich in die Analyse gehende veröffentlichte Meinung, sind es dann die Abwesenden, die die sich nicht wehren können.

Negativ-Kapital

Was sicher auch ungecheckt als Jubelmeldung in allen Maionstream-Medien übernommen wird: die achsotolle Länderspiel-Bilanz.

Aber: selbst wenn man das eine Brückner-Spiel wegnimmt, ist Constantinis 3-1-4 nur glatter Durchschnitt. Genau dieselbe Bilanz lag auch 2006, 2003 und 2002 vor, um in diesem Jahrzehnt zu bleiben.
2005 (3-4-2), 2004 (2-4-2), 2001 (3-2-5) oder 2000 (2-3-2) waren besser, nur die zwei üblen Hicke-Jahre 2007 und 2008 waren schlechter.

Kein Renomee also.

Klar, so funktioniert das in jeder Gruppe, bei jeder Zweck-Gemeinschaft: die, die nicht da sind, werden ausg'richtet.
Das geht so aber nicht; nicht wenn man seriöse Arbeit leisten muß um dorthin zu kommen wo die kleinen Nachbarn (die Slowakei, Slowenien oder die Schweiz) schon angelangt sind.

Deshalb, zwar so konstruktiv wie möglich, aber in aller deutlichen Härte: sowohl Constantini als auch die Vertreter der Mainstream-Medien sind inhaltlich pleite und haben das an diesem Vormittag anschaulich demonstriert.

Was ist besonders erschütternd?
Wenn böse Ahnungen von Dingen, die eigentlich denkunmöglich sind, ironisch angedacht werden und dann tatsächlich eintreten.

Constantini hatte vor Wochen im Zusammenhang mit der Nicht-Nominierung von Ivanschitz davon gesprochen, dass er ihn ja auch einberufen und darauf setzen, dass er im Spiele gegen Spanien (das er zum damaligen Zeitpunkt somit schon öffentlich verloren gab) auf die Nase fällt, könnte - das aber nicht täte, weil er sowas Schiaches nicht machen würde.

Die leidige Außenverteidiger-Allergie

Genau diese Strategie hab ich ihm dann, spielerisch, in Bezug auf die verhassten Außenverteidiger unterstellt. Weil er dieses "Problem" loswerden will, setzt er gegen Spanien zwei echte Außendecker ein und nützt die Niederlage um diese Position endgültig in seinem Sinn umzufärben.

Im übrigen hab ich festgestellt: es schadet gar nicht, auf seine Instinkte zu hören. Dass was faul ist in punkto Constantini und Außenverteidigung, hab ich hier erstmals am 1.4 um 20.55 öffentlich geäußert.

Die Kollegen von laola1.at hatten vor dem Länderspiel eine kleine Nachhilfe-Stunde zum Thema modernes Außenverteidiger-Spiel zusammengestellt.

Da der Teamchef Online-Medien nicht kennt und die Print-Kollegen sich immer in Ausreden flüchten, wenn es um sowas wie Publikums-Bildung geht, kann diese Lecture noch nicht viel bewegen.

Trotzdem hier noch zwei weiterfdührende Links (via Twitter vom Ballesterer erhascht): alles über den Full-Back und eine Analyse von David Pleat.

Nur: diesmal macht er's.
Sogar offensiv.

Erklärt öffentlich und expressis verbis, dass er künftig mit vier Innenverteidigern agieren werde.

Er hat also die von ihm selber für abgrundtief böse erklärte Strategie angewandt. Wie schiach ist das denn...

Schlimm genug, dass jetzt Garics und Christian Fuchs als Sündenböcke herhalten müssen (wo die Fehler wirklich anzusiedeln waren - dazu später). Schlimm genug, dass zwei Spieler, die in zwei Ligen die die weltbesten Außenverteidiger produzieren (Italien hat's erfunden, Deutschland hat von Kaltz über Brehmer bis Lahm eine tolle Geschichte) einen echten Schub nach vorne erlebt haben, jetzt nicht mehr mitspielen werden.
Und: Zufall, dass es mit Garics just den letzten Wehrhaften erwischt? Und: Zufall, dass es wieder Legionäre trifft, die Constantini zuletzt reihenweise aus dem Team ekelte?

Noch schlimmer ist die dreiste Reaktion der Medien-Vertreter, die bei diesem allzu offensichtlichen strategischen Sündebock-Bashing auch noch mitmachen, ernsthaft was von Versagen der Außenverteidiger flüstern und die Innenverteidiger-Variante klaglos abnicken.

Die Magath-Ausrede

Wohl auch die Ausrede die Constantini ihnen serviert: Felix Magath macht's bei Schalke ja auch so, mit quasi 4 Innenverteidigern. Wird heute und morgen so in den Fachmedien und Sportseiten zitiert werden; wie immer unüberprüft - man plappert nach, weil man die oben erwähnte Zweckgemeinschaft nicht gefährenden will.

Auch irre wurscht, wie so vieles im Constantini-Universum: die Kapitäns-Frage. Ob seine Wahl richtig war? Weiß er nicht. Er könnte auch Dragovic die Schleife geben, so egal ist das alles, sagt er.
So gesehen hat der Mann ja durchaus eine Philosophie: wurscht-alles.

Nur der Mann von Österreich hält an seiner, von Constantini gestern ja abgeschmetterten Projektion einer Philosophie fest. Sie lautet in etwa "Die Jungen!" - und spielt damir genau der handelsüblichen Kurzdenkerei der heimischen Branche in die Hände.

Bloß: es stimmt nicht. Und ein Blick in die Schalke-Aufstellungen dieses Jahres würde reichen.
Magath ließ die ersten vier Runden mit Rafinha rechts und Höwedes links spielen. In der 5. und 6. Runde gab es dann eine Dreier-Abwehr mit Rafinha und Kobiashivili auf den Außenpositionen davor. Und seiteher spielen Rafinha oder Höwedes rechts bzw Westermann und der junge Schmitz links.

Der einzige dieser Spieler, den man da als "Innenverteidiger" bezeichnen kann ist Heiko Westermann, deutscher Nationalspieler, ein Alleskönner, der in den letzten Jahren überall in Verteidigung und auch defensivem Mittelfeld aufgeboten wurde. Westermann ist Fixstarter für Südafrika und spielt seit 2007 auch außen; er kann das also.

Constantinis hingegen bietet Innenverteidiger außen auf, die das nicht spielen (Scharner oder Alaba) oder nicht können (keine Namen) oder nicht wollen (erst recht keine Namen) oder schon ewig nicht mehr gemacht haben (Schiemer).

Insofern ist die Magath-Ausrede, der Magath-Vergleich eine Anmaßung, ja eine Verhöhung. Trotzdem wird sie, Wetten werden angenommen, problemlos durchgehen.

Ein 4-2-3 ist ein 4-4-1

Selbst die durchaus nachvollziehbare Auswechslung von Christoph Leitgeb wird bei Constantini & Friends (the Mainstream-Media) als Abrechnungs-Farce inszeniert. Nein, das wäre nicht die Höchststrafe gewesen, aber er konnte halt die Anforderungen (Ball halten) nicht erfüllen, als scheinbarer Supertechniker.

Wir rekapitulieren:
Leitgeb wird nicht einberufen, weil er - auf Nachfrage - nicht gut genug ist. Dann wird er, wegen der Verletzung von Drazan und Schiemer (die beide seltsamerweise ganz andere Positionen spielen, komisch, nicht?) nachberufen. Dann spielt er von Beginn an (als Nachberufener, der nicht gut genug ist, komisch, nicht?) und dann wird er nachträglich abgewatscht.

Was stimmt an diesem Bild alles nicht?

Bevor hier wieder die Fragen kommen, ob ich denn nichts gefragt habe bei dieser PK. Das war nach dem ersten Statement Constantinis nicht mehr möglich - weil die Basis dafür fehlt.

Meine Nachfrage hätte sich auf eine seltsame Diskrepanz bezogen. Constantini hatte zur Halbzeit auf ein 4-2-3 umgestellt - was mich angenehm überrascht hatte (Mut, meine ich, ist eine Tugend). Nach dem Spiel jammerte er dann aber in jedem Statement darüber dass seine Burschen zu offensiv spielten, wo sie doch einen Mann weniger waren.

Hallo?
Er hatte sie so aufgestellt!
Wie sollten sie es sonst angehen.
Mir roch das stark nach Sich-Abputzen.

Nun sprach Constantini aber in seinem heutigen Einleitungs-Statement davon es in der 2.Hälfte ja mit einem 4-4-1 probiert zu haben - und schlagartig wurde mir klar, wo der Fehler liegt.
Bei ihm selber nämlich.

Wer ein Team in einem 4-4-1 aufs Feld schicken will, muss das auch tun, dafür Sorge tragen, dass sie das auch machen, von Anfang an.
Und von Anfang an stand das ÖFB-Team in einem 4-2-3, mit Jantscher links und Wallner rechts, die ihre jeweiligen Außenverteidiger anbohrten, echte Flügelstürmer spielten.

Outlinien-Ablenkungstänze

Das war dem Coach auch solange recht, solange man im Spiel war. Erst nach dem 1:4 schwang sich Constantini zu seinen Outlinien-Tänzen auf, mit denen er die Schuld auf die Spieler abwälzen konnte.
Ich halte das für eine Gemeinheit.

Und für einen Beleg von Constantinis Nicht-Verständnis der Bedeutung von taktischen Angaben. Wer Wischi-Waschi-Vorgaben streut, erntet Solala-Fußball.

Und wer sich einmal was traut und dann, wenn es schiefgeht (bei Risiko passiert das manchmal, so what!?), sofort den Spielern die Schuld zuschiebt, ist mir verdächtig.

Weil diese Vorgangsweise aber so schön österreichisch ist, wird sie von der Mainstream-Rezeption klaglos übernommen: die Spieler sind schuld, weil sie naiv-offensiv waren.
Dass sie der Coach so hingestellt hatte: wurscht.

In dem Moment also, wo Constantini von "seinem 4-4-1" sprach, war mir klar, dass jede Nachfrage sinnlos wäre. Wer sich die Geschichte seiner Fehler so zurechtklittert, kann keine sinnhafte Antwort auf Fragen nach einer seltsamen Diskrepanz geben.

Komplexer Sophismus

Andere Gags gefällig?
Dass Slowenien bei der WM dabei ist, ist Constantini entgangen. Auch, dass die schon einmal dort waren (2002, Japan/Korea, gut, das waren teilweise unmenschliche Überetragungszeiten, hat der Teamchef damals halt verschlafen...).
Constantini glaubt, dass "die" (Zitat) doch "jahrelang nirgends waren." Schön einen Teamchef zu haben, der sich international so gut auskennt.

Constantini erzählt dass seine gestrige Einschlafhilfe ein Damen-Volleyballspiel war, Italien gegen Dänemark oder Holland. Nun, es war nicht irgendein Spiel, sondern das EM-Finale (das in einer Sport Plus-Wiederholung lief) aber das ist nicht der üble Gag. Den lieferte ein Journalist einer Qualitätszeitung, der (ohne Ironie, in vollem Ernst) den Satz "Na, I versteh ja vü, aber Daaaamen-Volleyball, na!" äußern musste.

In diesem Zusammenhang sind andere Absurditäten fast harmlos.

So warf Constantini, zuerst indirekt und verbrämt, dann, als ihn die gierigen Medienvertreter darauf ansprachen, auch direkt Paul Scharner vor, dass er in der 2. Hälfte versucht hatte zwei Positionen gleichzeitig zu spielen: defensiv und offensiv im Mittelfeld.

Er wirft also dem Kapitän vor, alles versucht zu haben die Niederlage abzuwenden; alles versucht zu haben, um den Ausfall eines Mitspielers wettzumachen. Kommt das nur mir armselig vor?

Offizielle Ausrede dafür: die hohe Eigenfehler-Quote derer, die sich zuuuu sehr reingehaut haben ins Spiel, würde dann erst recht wieder "den Jungen" um die Ohren gehaut werden, von den Medien. Positiv formuliert könnte ich sagen: toll wie Constantini hier komplexen Sophismus anwendet.

Aber dieses Argument ist das einzige Pferd auf dass der ÖFB-Cheftrainer aktuell sicher setzen kann: die Mühle-auf-Mühle-zu-Argumentation klappt dodelsicher.

Man kann nicht einerseits die Jungen fordern und dann, wenn er das brav macht, ihnen (und ihm) das zum Vorwurf machen.

Kurzdenken

Stimmt.
Wenn man kurz denkt.
Und damit rechnet Constantini.
Zurecht, wie sich zeigt: die Mainstream-Medien denken nicht weiter als bis zur nächsten Schlagzeile, zum nächsten Spruch, zuur nächsten G'schicht.

Denn: natürlich kann man.
Vor allem dann, wenn der Schein-Übergang in die junge Welle viel zu hektisch, viel zu wenig didaktisch, viel zu unstrukturiert stattfindet - und wenn es dabei bleibt, wenn es über das pure Bekenntnis allein hinaus keine Begleitmaßnahmen gibt.

Für diese Bildung hat der Teamchef im nächsten Jahr bei drei Testspielen etwa jeweils drei Tage Zeit. Vor dem ersten EM-Quali-Spiel im Herbst dann einmal eine Woche lang.

Das heißt: der Grundstock hätte heuer gelegt werden müssen: sich auf eine Philosophie (ujeh, das schlimme Wort, Entschuldigung!) einigen, zwei, drei Grundsysteme festlegen und die verinnerlichen (incl Laufwege, Abläufe); dazu noch regelmäßiges Training von Standards etc.
Ist irgendwas davon passiert?

Jung-sein allein ist nämlich nix wert. Erst die fußballerische Bildung macht das Talent zum vollwertigen Spieler.

Und dafür ist der Teamchef (mit)zuständig.
Sorry, wäre er, wenn er eine Philosophie hätte - was er nicht hat, wie wir seit gestern 23Uhr10 wissen.
Für die Ausbildung sorgen die Vereine - für die Bildung die nationalen Auswahlen; ganz so wie das zb auf der Uni passieren sollte - um da die zentrale Forderung der Studenten (Bildung statt Ausbildung) einzuweben.

Aber: wie soll jemand bilden, der unwillig ist? Wie soll jemand jungen Spielern was beibringen, der auf die Naturleere und die Naturlehre steht, der glaubt, dass Ins-Wasser-Schmeißen als Schwimmtraining ausreicht, ein Nativist reinsten Wassers ist?
Wie sollte jemand, der meint, er hätte sein Team auch für ein WM-Quali-Spiel nicht anders eingestellt (Subtext: weil's wurscht ist) einer jungen Mannschaft vorstehen können?

Aufgegeben

Künftig wird das alles also auch noch mit einer Innenverteidiger-Reihe, einer Viererabwehr von Ausputzern vonstatten gehen.

Im übrigen hat die U21 gestern ihr Heimspiel gegen Azerbeidjan 4zu0 gewonnen. Ebenso wie die U20 am Dienstag daheim gegen Italien (und zwar mit 1zu0) mit jeweils echten Außenverteidigern (Piermayr und Klem, resp. Grasegger und Schick sind es allesamt gewohnt auf der Außenbahn zu agieren). Noch ist nicht alle Hoffnung verloren für den ÖFB. Denn, schau an, der Präsident plädiert plötzlich für eine verbesserte Koordination/Kommunikation zwischen A-Team und der U21. Nageh!

Eine Verheerung, was die Spielkultur betrifft, eine Bankrotterklärung, kein Entwicklungs-Prinzip.

Aber: exakt das ist Constantinis "Erkenntnis" aus diesem Spiel. Das Mittelfeld habe bei so einer Strategie mehr Freiheiten. Klasse-Teams machen das anders, ja, das gibt er zu, aber das Seine könne das eben nicht.

Da hat einer aufgegeben, inhaltlich.
Da macht einer weiter für sich, nicht für die Zukunft der Auswahl-Mannschaft seines Landes.
Da ist einer pleite.
Da will und kann einer nichts entwickeln und koppelt sich deshalb von der internationalen Entwicklung ab.

Warum tut er sich und uns das an?
Und warum sehen die, die etwas unternehmen, wenn nicht gar retten könnten, nur zu und tun nix?