Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "In einer kleinen Stadt"

Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

26. 11. 2009 - 10:29

In einer kleinen Stadt

Stephen King isoliert in "Die Arena" eine Kleinstadt unter einer unsichtbaren Kuppel und hat sichtlich Spaß daran sie von innen zu zerstören. Der Leser blickt dabei in eine allegorisch aufgeladene Schneekugel.

Auf den ersten beiden Seiten von "Die Arena" breitet Stephen King sein Werkzeug aus. Er zeigt dem Leser eine Karte der Kleinstadt Chester´s Mill im US-Bundesstaat Maine, an die benachbarte Städte wie Tarker Mills und Castle Rock angrenzen. Er stellt seinem Werk außerdem eine geordnete Auflistung von rund 70 Personen voran. Personen, die sich alle am sogenannten "Dome Day" in Chester´s Mill aufgehalten haben. Jenem Tag, an dem Chester´s Mill durch eine unsichtbare Kuppel von der Außenwelt abgegrenzt wird. Der Trailer zum Buch (!) veranschaulicht das beeindruckend.

Die Terrorherrschaft unter der Kuppel

Stephen King - Die Arena

Heyne

Stephen King - Die Arena erscheint 2009 bei Heyne. Das englische Original heißt "Under The Dome".

Ab diesem Zeitpunkt verändern sich die Machtgefüge in Chester´s Mill aber nur unwesentlich. Ein solidarischer Brief des Präsidenten wird zwar zur Kenntnis genommen, aber vom Zweiten Stadtverordneten, James "Big Jim" Rennie, lediglich belächelt. Und das obwohl der Präsident selbst unterschrieben hat - "mit all seinen drei Namen, also auch mit dem Terroristennamen in der Mitte."

Big Jims Terrorherrschaft gab es bereits vor der Kuppel: Er unterschlug Gelder, richtete sich ein illegales Drogennetzwerk ein und korrumpierte die Polizei. Dank der Kuppel gibt es für Big Jim noch weniger Regeln als zuvor. Um seinen einzigen Widersacher Dale "Barbie" Barbara, einen tapferen Soldaten außer Dienst und Koch der Stadt, zum Schweigen zu bringen, schiebt er ihm einfach die Morde seines Sohnes Junior Rennie in die Schuhe und sperrt ihn dafür ein. Den Prozess führt der Henker in dieser Diktatur selbst.

Wie die Kuppel entstanden ist (Terroristen? Nordkorea? Aliens?), interessiert außer dem Rest der Welt lediglich eine Handvoll Personen in Chester´s Mill. Es sind die (demokratiebewussten) Freigeister der Stadt. Darunter befinden sich eine Journalistin, ein Liberaler, ein Ex-Soldat, ein Englisch-Professor und natürlich die Kinder. Während Rennie Senior und Rennie Junior ihre Schreckensherrschaft ausweiten, führt das tapfere Kollektiv auch einen Kampf gegen das unerklärliche Phänomen der unsichtbaren Barriere, der schlussendlich in einem (Umwelt-)Massaker endet.

Das Unheimliche der Kleinstadt

Wer Stephen King etwas besser kennt, der weiß, dass die Kleinstadt für ihn ein Ort des Schreckens ist. Hinter den Kulissen der Idylle verbirgt sich, frei nach Sigmund Freud, hinter dem Heimlichen das Unheimliche. Auf rund 1200 Seiten verbildlicht King hier lediglich das, was für ihn die Kleinstadt immer ist: Ein Ort der Isolation, in dem die Einwohner gefangen sind. Chester´s Mill, Tarker Mills, Castle Rock, Derry: Das ist Stephen Kings Maine. Orte, an denen die Gartenzäune zwar weiß gestrichen, aber die Seelen tiefschwarz sind. But you know they got a hell of a band there.

Stephen King - Under The Dome

Heyne

King sperrt in seinem neuen Roman zwar eine ganze Stadt weg, öffnet damit aber ein breites Spektrum an Thematiken. Während dieser Isolation spiegeln sich in Chester´s Mill die Probleme der gesamten Welt: Anarchie, Umweltverschmutzung, Terrorismus, Kriminalität, Einschränkung der Meinungsfreiheit, religiöser Fanatismus. Chester´s Mill wird zu einer Schneekugel, die man schütteln kann, während die Einwohner mit Ameisen verglichen werden. Der ganze Text ist eine Anhäufung an allegorischen Elementen und erinnert an Kings post-apokalyptischen Roman "The Stand". In "Die Arena" ist King jedoch allzu detailverliebt und verliert sich in seinen Erklärungen über radioaktive Strahlung, Mobilfunktechnologie, Notstromaggregate und computergesteuerte Lenkwaffen. Das bräuchte es alles nicht, wenn man das Ende kennt, welches die Kuppel auch als reine Allegorie entlarvt. Soviel sei verraten: Der Roman endet mit einem Deus ex machina: Mit dem Gefühl des Mitleids.

Stärken und Schwächen

Stephen King

Amy Guip

"Die Arena" bietet wenig Neues. Auch das Motiv der unsichtbaren Barriere wurde literarisch bereits besser verarbeitet. Ich erinnere nur an Marlen Haushofers Text "Die Wand", in dem weitaus glaubwürdiger und geschickter mit einer unüberwindbaren Barriere umgegangen wird. Sogar im Simpsons-Film kam die Idee schon vor.

King hat auch sichtlich Probleme, seine Kuppel zu erklären. Bereits 1976 begann King an diesem Roman zu schreiben, verwarf die Idee aber wieder, da ihm Grundwissen über Physik und Technologie fehlten, um die Kuppel auch logisch zu schildern. Aber war das überhaupt notwendig? Denn im fertigen Werk sind die Stellen über die Kuppel am schwächsten. Im Nachwort entschuldigt sich King sogar für die Fehler, die immer noch vorhanden sind.

Am stärksten ist King wie immer, wenn er seinen Charakteren folgt. Ich halte ihn für einen der besten Gegenwartsautoren, wenn es um die Beschreibung von Figuren geht. In "Die Arena" sind es die Antagonisten, die auffallen: Big Jim und Junior Rennie. Beide sind schwer krank: Der Senior hat ein Herzleiden und Junior einen vor sich hin wachsenden Gehirntumor. Mit diesem Wissen beobachtet der Leser, wie Big Jim lügt und betrügt, während sein Sohn als nekrophiler Vergewaltiger und Mörder eine Truppe stupider Rowdies als neue Polizei der Stadt anführt. Beide sind aber schwach und man hat stets das Gefühl: Gäbe es so etwas wie Demokratie in dieser Stadt, wären die Beiden schon längst hinter Gittern. Wäre da nicht die Kuppel - und schon sind wir wieder beim Kern der Aussage von Kings Roman über allegorische Schneekugeln, die unsere Welt abbilden möchten.

King schreibt schon lange keinen Horror mehr. Seine Werke "Lisey´s Story" und "Duma Key", und nicht zuletzt die abschließenden Bände der "Dark Tower"-Reihe, verarbeiten lediglich Versatzstücke dieses Genres. "Die Arena" wirkt stellenweise allzu gezwungen und dürfte wohl eher auf die bereits gehypte TV-Adaption hoffen.

Beim Lesen habe ich mir immer wieder jenen King herbei gewünscht, der mich davon überzeugt hat, dass aus einem Tennisball Giftgas herausströmen würde, wenn man ihn aufschneidet. Ich hoffe, im jüngst angekündigten achten Teil der "Dark Tower"-Reihe ist Stephen King wieder das, was er am besten kann: ein Geschichtenerzähler.