Erstellt am: 8. 12. 2009 - 14:01 Uhr
Spaziergang durch die Apokalypsen
Es ist fast unmöglich, sich der Faszination von Ruinen zu entziehen. Spätestens seit der Renaissance umgibt sie die Melancholie der Geschichte, gelten sie als Mahnmale der Vergänglichkeit und verweisen auf letzte Gerechtigkeit: "Ihr Ruinen legtet, indem ihr Fürstenstaub mit Sklavenstaub vermengtet, Zeugnis ab für den heiligen Lehrsatz der Gleichheit" (Constantin François Volney).
Was für antike Ruinen gilt, gilt auch für die heutige Zeit: Alan Weismans Bestseller "The World Without Us" ist vor zwei Jahren der Frage nachgegangen, was von unserer Welt übrigbliebe, wenn wir plötzlich weg wären. Beim Anblick moderner Ruinenlandschaften zeigt sich aber der Unterschied zu den romantisch verfallenen antiken Gemäuern: Die Ruinen der Moderne sind zugleich beunruhigende Brüche in der Gegenwart. Die Zerstörung und der Verfall, die dem gerade noch blühenden Leben ein Ende bereiten, sind präsent, gerade erst geschehen oder noch im Gange. Die Unterbrechung des Lebens ist unmittelbar: Die Ruinen unserer modernen Welt haben für uns Zeitgenossen immer etwas Bedrohliches, Beklemmendes. Zwei aktuelle Spiele, "STALKER: Call of Pripyat" und "Left4Dead 2" laden zu Spaziergängen durch diese "Welt ohne uns".
GSC Game World
Die Häuser leer, die Fabriken verfallen, ausgebrannte Fahrzeuge, Stahlgerippe, rostiger Stacheldraht: Die Kleinstadt Pripyat, im Norden der Ukraine gelegen, ist die berühmteste moderne Ruinenstadt der Welt. 48.000 Menschen lebten hier, bis 1986 der nahegelegene Reaktor des Kernkraftwerks Tschernobyl in der größten Atomkatastrophe der Geschichte die Stadt und ihre Umgebung zur unbewohnbaren Todeszone werden ließ. Heute, 23 Jahre später, ist die Geisterstadt, die zwar erst 36 Stunden nach der Katastrophe, aber dann innerhalb weniger Stunden evakuiert wurde, nicht nur so etwas wie der heilige Gral der Urban Exploration, sondern auch einer der virtuell am besten rekonstruierten Orte der Spielgeschichte.
Einsam durch die Todeszone
"STALKER: Call of Pripyat" verbessert das Original von 2007 in entscheidenden Details und übertrifft "Clear Sky" um Längen. Kompakter, zügig erzählt: empfehlenswert. Für PC um 29,99€ im Handel. Das Original aus dem Jahr 2007 ist ebenfalls überall zum Schnäppchenpreis erhältlich und wird mit Fan-Modifikationen noch besser.
Schon 2007 verewigte der ukrainische Entwickler GSC Game World in "S.T.A.L.K.E.R. - Shadow of Chernobyl" die Kleinstadt, und ein Jahr später schickten sowohl der Nachfolger "Clear Sky" als auch "Call of Duty 4: Modern Warfare" den Spieler in die verstrahlten Ruinen. Wer die entsprechenden Levels gespielt hat, erkennt die traurige Berühmtheit Pripyat in jeder Reinkarnation wieder: Die verlassenen Plattenbauten, die aussehen, als wären ihre Bewohner nur kurz zur Tür hinausverschwunden, um nie wiederzukehren; das verfallene Spital mit seinen bedrohlich langen, leeren Gängen, der riesige Schrottplatz, auf dem das hoffnungslose verstrahlte militärische Gerät der Roten Armee vor sich hinrostet, die unheimlich aufragende Reaktorruine vor der Stadt selbst und nicht zuletzt das gespenstische Riesenrad, das als unverwechselbares Wahrzeichen der Geisterstadt gelten kann.
Es ist die Mischung aus Faszination und nuklearem Schrecken, die Pripyat auch im aktuellen Teil der Reihe so beeindruckend werden lässt. Das Spiel selbst hat sich seit der Erstauflage nur in Detailverbesserungen geändert: Als Einzelkämpfer erforscht man schrittweise die von Mutanten und "Anomalien" bevölkerte Todeszone rund um den Reaktor, erledigt Missionen für verschiedene Fraktionen und arbeitet sich langsam bis zum Zentrum der "Zone" vor. Die Hauptrolle spielt aber wieder die Umgebung: Wie sonst nur in wenigen Spielen ist man hier auf Expedition, muss sich von außen vorsichtig in das Skelett der Zivilisation hineinarbeiten.
Katastrophengebiet New Orleans: Apocalypse Now
"Left4Dead 2", für Xbox360 und PC: Neue Gegner, neue Waffen, neue Spielmodi, angezogener Schwierigkeitsgrad und rundum eine echte Verbesserung zum Vorgänger. Ab 42,99€ im Handel. Installation von Steam ist am PC Voraussetzung.
Eine ganz andere Art von "Ruinentourismus" bietet der Nachfolger des kooperativen Zombieshooters "Left4Dead", doch mit dem Süden der USA und New Orleans hat Valve ein nicht weniger beklemmendes Szenario bereitgestellt: Unmöglich, nicht an die Verwüstungen des Hurrikans Katrina zu denken, wenn man durch die von der Zombie-Apokalypse entvölkerten Stadtviertel und Umgebungen der Südstaatenmetropole hetzt. Wie schon im Vorgänger ist es eigentlich schade, dass man die überaus detailreiche Umgebung vor lauter Action nur viel zu oberflächlich unter die Lupe nehmen kann.
Valve
Denn Valve hat seine Vision einer postapokalyptischen Großstadtruine beeindruckend umgesetzt: Hastig hingeschmierte Graffiti-Botschaften anderer Überlebender, überrannte Quarantänestationen, entvölkerte Vorstadthäuser, vor denen noch die Reste des Garagenflohmarkts stehen und natürlich, endlich auch in "Left4Dead", das klassische Symbol des Zombiefilms à la Romero schlechthin, der verlassene Einkaufstempel. All diese Orte zeigen, wie in Pripyat, die Welt nach dem Weltuntergang, doch die rasant gehetzte Flucht durch diesen Pandemie-Weltuntergang lässt im Gegensatz zu "STALKER" nur zu wenig Zeit, sich umzusehen: Die Apokalypse ist noch in vollem Gange.
Valve
Es sind zwei unterschiedliche Expeditionen in den Weltuntergang: der einsame Schleichgang durch die überwachsene Geisterstadt einerseits und das adrenalingetränkte Taumeln durch den stattfindenden Untergang andererseits. Wer abseits von nie aus der Mode kommendem (post-)apokalyptischen Film und ebensolcher Literatur selbst durch die "Welt ohne uns" spazieren möchte, hat mit diesen beiden Titeln die Gelegenheit dazu.
Nur eines wünscht man sich, so gut beide Titel auch als Spiele funktionieren, noch dazu: Eine Möglichkeit, die beeindruckenden Welten auf Wunsch auch ohne mehr oder wenig hektischen Shooter-Anteil zu bereisen - im "Tourist Mode" hätte man dann endlich Gelegenheit, mit Gänsehaut die Kunst der Weltuntergangsbauer ganz frei von Störungen zu erforschen.