Erstellt am: 18. 11. 2009 - 17:10 Uhr
Journal '09: 18.11.
Der bewusste Award: der Wolfgang-Lorenz-Gedenkpreis.
Das bewusste Medium: der Leider-Nicht-Webauftritt des Falter.
Der bewusste Meerschweinchen-Dresseur: Armin Thurnher.
Die hoffentlich nicht bewusst Angepatzte: Ingrid Brodnig.
Und die Sicht einer der bewussten Jurorinnen, Jana Herwig. Sie geht auf einen extrawichtigen Aspekt ein, den ich als Mann bewusst weggelassen habe.
Ich hatte ja vor, den Mantel des Schweigens drüber zu breiten. Weil eigentlich schon alles gesagt war, und auch weil seit geraumer Zeit nichts mehr gekommen war, an pitzeliger Polemik.
Nun steht aber im heutigen Falter diese Kurz-Meldung, und sie enthält eine krasse Unwahrheit, eine symptomatische noch dazu: "Ingrid Brodnig saß vergangene Woche in der Jury des Wolfgang-Lorenz-Gedächtnispreises. ORF-Programmdirektor Lorenz hatte seinerzeit das 'Scheiß-Internet' verdammt. Mit letzter Kraft verhinderte Brodnig, dass Falter-Chefredakteur Armin Thurhher abgepreist wurde. Statt seiner bekamen die Wiener Grünen den Award."
Nun, mit dem, was im Journalismus "Recherche" heißt und im Falter, auch aufgrund der langjährigen Arbeit von Falter-Chef Armin Thurnher, als durchaus verpflichtend gilt, hätte dieser dumme Fehler vermieden werden können.
Weil das leider nicht passiert ist: dieser Neun-Zeiler verbreitet die Unwahrheit.
Falter-Redakteurin Brodnig hatte sich, wie es Anstand und Berufsethos nachgerade bedingen, bei jeder Erwähnung des Namens ihres Chefredakteurs aus der Diskussion genommen und keinen Mucks von sich gegeben.
Die Vorgeschichte dazu im Spiegel meines Journals:
Eine erste Widerrede im Dezember.
Über Herrschaftswissen und die Schuldhaftigkeit heimischer Medien-Kultur.
Die Zusammenfassung der den Falter und Ingrid Brodnig einschließenden Generation 20-29-Diskussion.
Zu Thurnhers seltsamer Titulierung als Die Stimme der Netzvernunft Anfang Oktober.
Eine vorläufige Zusammenfassung der danach lospolternden Debatte: Hamsterbackig vom 15. 10.
Ein Glaubensbekenntnis: Sich angreifbar machen von Mitte Oktober.
Über der Holzmedien Angst vorm Publikum anläßlich der Uni-Proteste und über die Notwendigkeit des Aufbrechens der Vierten Wand.
Thurnhers toller Uni-Auftritt von Ende Oktober.
Die Nebenbei-Replik zu einer mit wackeligen Behauptungen unterlegten Thurnher-Notiz anläßlich meines Uni-Auftritts.
Das wäre leicht zu erfragen gewesen, etwa bei den anderen Jury-Mitgliedern des Wolfgang-Lorenz-Gedenkpreises wie Jana Herwig, Manfred Bruckner oder Thomas Thurner.
Zur Ehrenrettung von Ingrid Brodnig
Dass dies nicht geschah, ist weniger der Verfahrenheit der Thurnher-Diskussion geschuldet, als vielmehr ein erschreckendes Fanal für eine Geisteshaltung im Bereich Kadaver-Gehorsam und falsch verstandener Solidarität.
Dazu später.
Zuerst, fürs Gesamt-Verständnis, die Vorgeschichte.
Ohne Not und nicht einmal in der Provokations-Tradition des Wolfgang Lorenz (der damit einen Diskurs befördern wollte, bei einer Fachdiskussion am Elevate-Festival des Vorjahres), hatte Falter-CR Thurnher im Dezember 08 eine "Das Internet pfeift mich aber echt an, weil's so arg und auch anonym manchmal ist"-Diskussion losgetreten, leider auf Stammtisch-Niveau, mit Argumenten aus der Mottenkiste und Denkfehlern, die bei jeder Einführung eines neuen Mediums aufs Neue aufgewärmt und unhinterfragt verbreitet werden - einfach, weil die, die sich als Teil des alten Systems empfinden, Angst haben. Als einer seiner ersten Entgegner war ich von Anfang an Teil dieser läßlichen Debatte und bekenne mich schuldig an der übergebührlichen Aufpluserung, die sie letztendlich erfahren hat.
Thurnhers an Amateurhaftigkeit gemahnenden Ergüsse (die mich an die peinlich spießbürgerlichen Theater-Rezensionen, die der alte Herr Lingens früher manchmal an seine scharfen Polit-Kommentare anhängen musste, erinnern) wurden deshalb so ernstgenommen, weil er als Person ernstgenommen wird, recht egal was und wozu er was zu sagen hat - weil er als einer der wenigen, wenn nicht gar der einzige (durchaus im biblischen Sinn) Gerechte einer vor allem in den oberen Chargen völlig verluderten Print-Szene gilt.
Der Auslöser: unqualifizierte Statements
Diese versehentlich verliehene Diskurs-Macht machte die Diskussion (die Helge Fahrnberger hier mit den diversen Links zusammenfasst, die sich für mich in diesem Journal final eigentlich erschöpft hatte) dann auch so mühsam. Und Thurnher zum idealen Kandidaten für einen Preis der "völlig unqualifizierte Statements gegen das Informationszeitalter".
Auch weil er im Verlauf der Diskussion immer gereizter wurde und sich dann (in Abwesenheit echter Argumente) auch mit bewusst abwertenden Tiervergleichen glaubte profilieren zu müssen - weshalb die Diskussion auch als "Meerschweinchen-Debatte" gehashtagt wird.
Jedenfalls war Thurnher die Startnummer 5 unter 10 Nominierten: "Armin Thurnher in der Kategorie beleidigter Leitartikler; große Verdienste um die österreichische Medienlandschaft sind noch lange kein Freibrief für unreflektiertes Gegrantel."
Und der Falter-Chef galt, im Vorab-Ballyhoo diversen Foren, als Favorit für den Preis.
Dass sich die Jury (zurecht) anders entschied, lag nun eben überhaupt nicht an der schnellen Eingreiftruppe in Gestalt von Frau Brodnig, die sich - ganz im Gegenteil - vorbildlicher und korrekter Zurückhaltung befleißigte, sondern an zwei glasklaren Argumenten, die auch von zwei Jury-Mitgliedern direkt nach der Bekanntgabe öffentlich (also auch für Falter-Berichterstatter zugänglich) geäußert wurden.

monochrom
Warum er zum Knapp-nicht-Preisträger wurde
Grund 1 (via Jana Herwig):
Jemandem, der als zentraler Angelpunkt des heimischen Journalismus derartige Bedeutung hat und sich in den Fragestellungen, die innerhalb seiner Kompetenz liegen, derartige Verdienste erworben hat und diese fast jede Woche aufs Neue bestätigt, ist ein Ausrutscher, so peinlich er auch sein mag und so diskutierenswert die Sachlage weiter bleibt, selbstverständlich nachzusehen, auch weil man damit seine Vita nicht willentlich anpatzen möchte.
Oder, um aus Herwigs Nominierungs-Rede zu zitieren: "Thurnher [...] ist der wichtigste Kolumnist des Landes, also ein Profi, der sich hochöffentlich äußert und ein Recht drauf hat, ernstgenommen zu werden."
Grund 2 (via Thomas Thurner):
Die tatsächlichen Preisträger, die Wiener Grünen, haben in ihrer Handhabung der Online-Vorwahlen, wesentlich deutlicher und symptomatischer ihr eklatantes Nichts-Verständnis der neuen Medien belegt; noch dazu im Kollektiv. Das ist allemal preiswürdiger als das, was ein einzelner Stammtischler vor sich hingrummelt.
Beides ist völlig richtig und bekam auch meinen Applaus.

chorherr
Grund 1 begleitet meine Entgegnungen ohnehin wie ein Ceterum Censeo, Grund 2 hat auch enorm viel für sich - da auch noch Christoph Chorherr anwesend war, den Preis übernahm und am Tag nach der Verleihung bei der Landes-Versammlung der Wiener Grünen an einen Hauptschuldigen (wenig überraschend war es der da) weiterreichte, hatte die gesamte Sache ein rundes Ende.
Und dann: die interne Unverfrorenheit
Wenn nicht, ja wenn nicht heute im Falter 47/09 dieser grausame Unsinn stehen würde.
Und damit meine ich nicht die abstruse Fehlbehauptung, die ein Autor namens AT (wer das sein mag?) auf Seite 3 von sich gibt; dass nämlich die Ö3-Musicbox (deren Redaktion anzugehören ich über zehn Jahre lang, bis zu ihrem tatsächlichem Ende im Jänner 95, die Ehre hatte) 1989 "weg war".
Auch hier hätte dieses bereits erwähnte Ding namens Recherche geholfen, zb der simple Blick in "das Internet" - konkret auf die Wikipedia-Site zur Box wo alles eigentlich eh sehr richtig (bereit)stehen würde.
So ist es halt: wer nicht will (die richtige Information), der hat schon (die falsche). Und gibt sie dann halt an seine Leser (die's großteils wohl eh besser wissen) weiter. Und ist ebenso überflüssig wie peinlich.
Kommen wir aber zur mittlerweile als Unwahrheit dekonstruierten Brodnig-Meldung von Seite 4 zurück; dass nämlich sie als Jury-Mitglied und als gleichzeitige Thurnher-Untergebene den bösen Preis für AT verhindert habe (noch dazu "mit letzter Kraft").
Welcher Denkungsart folgt eine solche Lobpreisung?
Der des bedingsungslosen Kadavergehorsams? Dass nur eine Mitarbeiterin, die sich - gegen jede Moral, gegen jeden Berufs-Ethos - für den Boss auf die Gleise wirft, eine gute Mitarbeiterin ist?
Was, bitteschön, soll das?!?
Wie steht Ingrid Brodnig, von Thurnher eh gern öffentlich als unkritische Coke-Zero-Trinkerin belächelt, denn jetzt da? Als ergebenes Tschapperl, als uneigenständige Leibeigene, als biederes Unterläufel.
Mir ist völlig klar, worauf die bevorstehende Verteidigungs-Strategie hinauslaufen wird: es war doch ironisch gemeint. Abgesehen davon, das der Rest der nämlichen "Aus der Verlag"-Spalte auch komplett unironisch und faktenaufzählend ist, wäre auch das keine akzeptable Ausrede. Der Schaden für Brodnig ist so und so angerichtet.
Was Web-Medien so gut wie bislang einfach nichts anderes können, zeigt protoytpisch diese ganz und gar unglaubliche Geschichte/Fakten/Erlebnis-Sammlung die Jurorin Jana Herwig über eine vorerst unbekannte Figur zustandegebracht hat.
Tja, und weil Print eben nicht Web ist, kann es auch nicht so schnell ausgebessert werden.
Die holzschnittartig Angepatzte wird eine Woche lang auf ihre Rehabilitierung warten müssen. Soviel zur Wucht der Diffamierungskraft der beiden Medien - vor der der bösen Anonymität (Gag am Rande: die bewussten Zeilen sind ungezeichnet, also anyonym...) des Internet hat Thurnher ja ebensoviel Angst wie vor der Veränderbarkeit des einmal Geschriebenen; und hat dabei den exklusiven Schaden, den eine Print-Publikation allein durch die Unmöglichkeit der sofortigen Zurücknahme hat, anrichten kann, "vergessen". Immerhin wird er daran jetzt zumindest erinnert.