Erstellt am: 23. 11. 2009 - 05:30 Uhr
"Das Wichtigste ist, dass genügend Essen da ist."
Das erste Bild: überquellende Mülltonnen in der Einfahrt. Der erste Impuls: Fenster aufmachen, ich ersticke. Das erste Gefühl: friedliche, pragmatische, zwischenmenschliche Wärme. Im Ohr habe ich die Stimme von Maria Fekter, wie sie im Ö1 Mittagsjournal von "dieser Frau Zogaj" spricht. Vor mir spielen drei minderjährige Flüchtlinge im kargen Aufenthaltsraum des Laura Gatner Hauses im niederösterreichischen Hirtenberg auf einem Wuzzeltisch, verdreckt und alt und lädiert ist er, in einem Zustand, wie man ihn sonst in diesem Land in keiner noch so hinteren Gasthütte finden würde. Am Arbeitstisch daneben erledigt ein Junge die Hausaufgaben, bei ihm sitzt eine der sieben BetreuerInnen, die hier arbeiten.
Ein wichtiger Eckpfeiler des Laura Gatner-Hauses ist das Projekt "Connecting People": Familien, allein stehende Erwachsene und Jugendliche schließen als PatInnen oder Buddies Freundschaft mit den Burschen und erleichtern ihnen den Weg in die Integration.
Pamela Rußmann
Pamela Rußmann
Ich wandere in das daneben liegende Esszimmer mit integrierter Küche. Hier nehmen täglich etwa 43 männliche Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren Frühstück, Mittagessen und Abendessen ein. Die Wände sind nicht nur hier, sondern im ganzen Haus wohl schon einige Jahre nicht mehr ausgemalt worden, ich ertappe mich dabei, wie ich eine To-do-Liste im Kopf erstelle.
Pamela Rußmann
Als der Junge mit seinen Schulaufgaben fertig ist, kommt Simone in das Büro und erzählt ihren Kollegen und Kolleginnen, dass er alles toll erledigt hätte. "Unser Star" nennt sie ihn liebevoll.
Pamela Rußmann
Im Innenhof des Laura Gatner-Hauses ist ein kleines Atelier eingerichtet, mit Leinwänden, Acrylfarben und einem Brennofen für Tonarbeiten. Die großformatigen Bilder, die die Jugendlichen malen, zieren zahlreiche Wände im Haus, wie hier im Speisesaal.
Im engen Büro drängen sich Betreuer und Jugendliche, ein ständiges Kommen und Gehen an diesem neuralgischen Punkt des Hauses, einer bittet um Waschpulver und verschwindet in der Waschküche, wo an der Decke die schadhaften Wasserleitungen enorme Flecken in der ohnehin schon mehr als sanierungsbedürftigen Bausubstanz hinterlassen haben. Im kleinen, dunklen Vorhaus steht ein Aschenbecher, wie man ihn von Bahnhöfen oder Flughäfen kennt, Rauchpause, die eine beendet ihren Dienst, der nächste beginnt seinen.
Ich sitze im Aufenthaltsraum der Betreuer und Betreuerinnen, jener Frauen und Männer, vor denen man nicht genug Respekt haben kann für ihre tagtägliche Arbeit, einer Mischung aus administrativen Erledigungen, Familienersatz und Fels in der Brandung.
Die eklatanten Zustände im Laura Gatner-Haus haben nichts mit Wurschtigkeit der BetreuerInnen oder der Betreiber, der Diakonie, zu tun, ganz und gar nicht. Es ist so, wie es immer ist, wenn Menschen, die keine Lobby haben, in Zwangslagen geraten: zu wenig Geld, zu wenig Aufmerksamkeit, schwindende Unterstützung von den Ländern und vom Staat, und die Lage wird sich noch verschärfen, wenn Förderungen an den Flüchtlingsdienst der Diakonie gestrichen werden.
In meinem Kopf und in meinem Herz wirbelt es, keine Stunde sind wir hier, aber die Eindrücke verlangen nach sofortiger Verarbeitung. Ich öffne das Fenster, spüre die kalte, nebelreißende Novemberluft und konzentriere mich aufs Atmen. Ich bin Mutter einer fünfjährigen Tochter und es übersteigt meine Vorstellungskraft, was es bedeuten muss, sein Kind allein ohne Sprachkenntnisse in ein fremdes Land zu schicken.
Pamela Rußmann
An den Kästen und an den Notiztafeln im Betreuerraum sind unzählige Zettel befestigt, Pläne, wer wann wen beaufsichtigt, wer wann welches Zimmer zusammenräumt, dazwischen das Plakat von Nina Kusturicas Dokumentarfilm "Little Alien", in dem es um minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge geht, die nach Österreich kommen, also quasi die künstlerische Aufarbeitung dessen, was ich gerade vor mir habe. Am Tisch liegt eine Einladung zu einer speziellen Filmvorführung in Wien an diesem Abend, danach Podiumsdiskussion mit der Filmemacherin, mit Otto Tausig, mit der Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits und anderen. Ich frage naiverweise die BetreuerInnen, ob sie denn da heute noch hinfahren würden mit den Jugendlichen, ich ernte erstaunte Blicke, ach heute ist das, nein, da fahren wir wohl nicht hin. Podiumsdiskussionen zum Thema minderjährige Flüchtlinge sind für die Menschen, die hier arbeiten, leben und wohnen nicht auf der Prioritätenliste. Und wenn man hier in diesen Räumen sitzt, versteht man auch, warum. Hier ist man froh, wenn die teilweise schwer traumatisierten Jugendlichen einen ruhigen Schlaf finden.
Pamela Rußmann
Ich frage Herrn Steiner, der seit sechs Jahren im Haus arbeitet, ob es für den Alltag hier wichtig ist, etwas über das Herkunftsland der Flüchtlinge zu wissen, ob das Wissen um kulturelle Eigenheiten für das Miteinander ausschlaggebend ist. Er verneint. Und schmunzelt: "Das Wichtigste ist, dass genügend Essen da ist." Die Burschen stammen derzeit zumeist aus Afghanistan, Somalia, Mongolei, vor ein paar Jahren waren vor allem Tschetschenen hier, das habe sich geändert. Für 50 Prozent der Bewohner spielt Religion eine wichtige Rolle, die Einhaltung des islamischen Ramadan bringe die Gemeinschaft hier spätestens in der 3. Woche aus dem Gleichgewicht, "die Jungs sind dann dermaßen schlecht gelaunt", lacht er, verständlich. Ich frage ihn, wie das Haus in die Gemeinde integriert ist, Herr Steiner sagt lapidar: "Gar nicht." Einige Jahre lang hätten sie Einladungen verschickt an die Gemeinde zur jährlichen Weihnachtsfeier, es sei aber nie jemand gekommen, daher habe man´s wieder gelassen.
Ich streife alleine durch das zweistöckige Haus, ein schmuckloser enger Gang folgt auf den nächsten. Aus den verschlossenen Zimmertüren dringen Fernsehergeräusche, Musik. Als Herr Steiner später auf der gemeinsamen Hausbesichtigungstour mit seinem dicken Schlüsselbund eine Tür nach der anderen aufsperrt, um uns die bescheiden ausgestatteten Räumlichkeiten zu zeigen, mit Stockbetten, Tisch, Kasten und fertig, denke ich mir, so muss es ungefähr auch in einem Gefängnis aussehen. Mit dem Unterschied, dass die Insassen hier über Schlüssel verfügen und jederzeit hinausgehen können aus ihren engen Zellen, um draußen in Gefangenheit zu sein, mit geringer Chance auf Arbeit, rechtmäßigen Aufenthalt, Integration in die Gesellschaft, ohne Perspektive, jemals ein so genanntes "wertvolles Mitglied der Gemeinschaft" zu sein, hinaus auf die Straßen eines der reichsten Länder der Welt, wo man sie halt leider nicht haben will.
FM4 für Licht ins Dunkel
FM4 sammelt heuer Spenden für das Laura-Gatner-Haus. Wie auch du helfen kannst und welche Aktionen es gibt findest du hier.