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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

19. 11. 2009 - 15:31

Es ist der siebzehnte Tag ohne Schlaf

Haruki Murakami lässt mich nicht schlafen.

"Es ist der siebzehnte Tag ohne Schlaf.
Ich spreche nicht von Schlaflosigkeit.
Mit Schlaflosigkeit kenne ich mich etwas aus."

Ich liege wach im Bett. Draußen ist es längst dunkel. Nacht. Neben mir wird ruhig rhythmisch geatmet. Alles friedlich. Nur ich liege wach. Ich kann nicht schlafen. Der Gedankensplitter, doch nochmal aufzustehen, schafft es nicht mal ansatzweise unter der warmen Bettdecke hervor.
Lesen vielleicht? Aber kaum ist das Licht an, ist auch der Zustand des möglicherweiese eh gleich Einschlafens schon grausam zerstört.

H. hat mir mal geraten, bei dem geringsten Anzeichen von Einschlafproblemen umgehend zu einem Buch zu greifen. Würde man einschlafen, sei das Ziel erreicht, würde man weiterlesen, habe man immerhin ein gutes Buch gelesen. Und würde man gar die ganze Nacht durchlesen, so sei es gewiss eine gute Nacht gewesen, die jedes Schlafdefizit rechtfertige.

buchcover schlaf und gezeichneter frauenkopf

dumont

Haruki Murakami: Schlaf. Aus dem Japanischen von Nora Bierich. Mit Illustrationen von Kat Menschik. DuMont Buchverlag, Köln 2009

Also. Licht an. Zum Bücherstapel neben dem Bett gegriffen und nach kurzer Durchsicht "Schlaf" ausgewählt.
Schon auf den ersten Seiten finde ich den Satz, der meinen Zustand beschreibt: "Ich bin ein sich nach Schlaf sehnender Körper und ein Bewusstsein, das wach bleiben will."

Das erzählt die namenlose Protagonistin, eine angeglichene, pflichtbewusste Zahnarztgattin, die ein geregeltes, auf den ersten Blick ausgefülltes Leben führt. Ausgerechnet durch Schlaflosigkeit wird die geregelte Langeweile aufgebrochen: "Ich erinnere mich klar und deutlich an die erste Nacht, in der ich nicht mehr schlafen konnte. Ich hatte einen schrecklichen Traum. Einen finsteren, ekligen Traum. An den Inhalt erinnere ich mich nicht, was mir aber im Gedächtnis blieb, ist dieses unheimliche, Unglück verheißende Gefühl."

Anstatt müde zu werden, wird sie klarer. Mehr denn je weiß sie, was sie will und schlimmer noch, was sie nicht will.
Schläft sie noch oder ist sie bereits tot? Immer unheimlicher wird das Ganze.Was bedeutet Schlaf denn schon? Was bedeutet der Tod? Und warum zum Teufel fährt sie des Nächtens weg? Das kann doch nicht gut gehen.

...

Gut eine Stunde später bin ich immer noch wach. Das Buch ist fertig gelesen. Ein unheimlicher Nachgeschmack bleibt. Jetzt an Schlaf zu denken ist unmöglich. Cognac oder Schokolade würde wohl auch nicht helfen - zumindest hat das die Protagonistin jede Nacht zu sich genommen - und nicht geschlafen.
Anna Karenina lesen kommt auch nicht in Frage. (Bis ich das finde könnte auch längst der Morgen angebrochen sein.)

Ich könnte auch Kat Menschiks Illustrationen ausgiebig auf mich wirken lassen. Im schwachen Schein der Nachttischlampe ergeben sich interessante Farbspiele aus silber und blau. Aber auch bei näherer Betrachtung gefallen mir diese Illustrationen leider nicht. Weder der Stil noch die Motive können mich beim Lesen begeistern - ich finde sie weder stimmig noch zum Text passend. Ich schätze zwar die Druckqualität - silber/blau im Duotone - sehr schön gemacht und auch das Papier greift sich gut an. Aber was nützt mir das, wenn mir die dargebotene Bebilderung nicht zusagt?

Herrje, stattdessen wünschte ich mir, die Geschichte würde weitererzählt. Oder aber, ich könnte schlafen ...

Haruki Murakami: Der Elefant verschindet Aus dem Japanischen von Nora Bierich, DuMont Buchverlag, Köln 2007

Vorsichtshalber besorge ich mir am nächsten Tag bei der Buchhändlerin des Vertrauens "Der Elefant verschwindet", eine Kurzgeschichtensammlung von Haruki Murakami, in der auch "Schlaf" erstmals auf Deutsch erschienen ist.

Sollen sie doch kommen, die schlaflosen Nächte ...