Erstellt am: 17. 11. 2009 - 21:21 Uhr
Geht's der Wirtschaft noch gut?
- Alle Artikel zu den Studierendenprotesten: fm4.orf.at/uni
Den ganzen Tag über haben auf vielen Unis Institutsversammlungen stattgefunden, bei denen ProfessorInnen und StudentInnen über die größten Probleme ihrer Studienrichtungen gesprochen haben und die sich auch mit einer Blitzumfrage des Instituts für Jugendkulturforschung decken: Lehrveranstaltungen, in die man nicht hineinkommt, überfüllte Hörsäle und schlechte Betreuung sind laut der Umfrage die größten Probleme. Das lässt sich einfach unter "schlechte Finanzierung der Universitäten" zusammenfassen. Wobei: So schlecht sind die österreichischen Unis ja gar nicht finanziert.
Das OECD-Factbook sieht Österreich bei den Ausgaben pro Studenten von 34 untersuchten Staaten an siebenter und bei der Akademikerquote von 33 Staaten an siebentletzter Stelle. Das Factbook gibt es - übrigens wesentlich übersichtlicher - auch als App fürs iPhone.
Wir geben pro StudentIn im Jahr wesentlich mehr aus, als der OECD-Durchschnitt, haben dafür aber eine wesentlich geringere Akademikerquote. Dabei sind die Ausgaben für die Unis und die Absolventenzahlen (mit Ausnahme 1999/2000) beständig gestiegen. Ein Problem also, das Österreich schon länger mit sich herumschleppt. All das wurde in den letzten Monaten schon oft medial thematisiert. An die Frage, wieso und wohin hier offenbar jede Menge Geld versickert, kann ich mich nicht erinnern. Ich stelle sie hiermit einfach mal, ohne sie beantworten zu können.
Zeit ist Geld
Während wir (wir alle) diese eine große Frage aktueller Bildungspolitik elegant ignorieren und statt dessen über Sinn und Unsinn von 35 zusätzlichen Millionen Euro für die Unis reden (die ohnehin aus dem Unibudget des Wissenschaftsministeriums kommen), vergessen wir fast auf die zweite große Frage aktueller Bildungspolitik: Wohin soll der Bologna-Prozess führen?
Video: Burstup
Aber nur fast, denn die heutige Demonstation auf dem Wiener Schwarzenbergplatz hat ganz im Zeichen der "totalen Verwirtschaftlichung unserer Universitäten" gestanden, wie es eine Sprecherin auf der Bühne ausgedrückt hat. An sich ist der Bologna-Prozess ja super: Alle Studienabschlüsse Europas werden vereinheitlicht und damit vergleichbar. Das führt unter anderem zu mehr Mobilität (was ja eh auch ein Euphemismus sein kann) während des Studiums und im Arbeitsleben danach. Gescheitert ist Bologna - nicht nur in Österreich - an der Umsetzung.
Einerseits, weil ganz gerne mal der Stoff von bisher acht Semestern (häufig Mindeststudienzeit zum Magister) in sechs Semester (oft Mindeststudienzeit zum Bachelor) gestopft wird. Sonst würde der Bachelor-Titel nämlich zu wenig können. Damit überfordert man die Studierenden und macht - nach den Studiengebühren und quasi als deren besseres Nachfolgemodell - die Bildung zur Ausbildung. Der Bachelor soll der Wirtschaft schnell ausgebildete und billige (ist ja weniger Wert als der Master) Arbeitskräfte bringen. Interessanterweise wird der Bachelor momentan weder von den Studierenden noch von der Wirtschaft wirklich gut angenommen.
Andererseits macht das Bachelor/Master-System in einigen Studienrichtungen einfach keinen Sinn: Ein Bachelor of Laws dürfte nicht als Rechtsanwalt, Staatsanwalt oder Richter arbeiten. Die Österreichischen Juridischen Fakultäten wehren sich noch erfolgreich gegen eine Umsetzung. Und als Mediziner kann man mit einem Bachelor alleine auch nichts anfangen. Auch hier ist Bologna noch nicht umgesetzt.
Darf ich studieren, was ich will?
Und jetzt scheint der Widerstand gegen Bologna ernster zu werden. Nicht umsonst hat die Wiener Demo heute vor dem Haus der Industrie stattgefunden: Die Industriellenvereinigung hat sich stets für Bologna stark gemacht und spricht auf ihrer Homepage von "Output-Orientierung", "leistungsbezogenen Studieneingangsphasen" oder darüber, dass man den Zustrom an Studenten zu ihr genehmen Studienrichtungen steuern soll.
Der Internationale Studierendentag erinnert übrigens an die Demonstationen Prager Studenten 1939, die daraufhin von der SS gewaltsam beendet wurde. Neun Studentenvertreter sind in der Nacht von 16. auf 17. November 1939 ohne Verfahren hingerichtet worden, mehr als 1.200 Studierende sind in Konzentrationslagern gelandet.
Zwar lässt die Aufmerksamkeit der Masse der StudentInnen für die Proteste merklich nach und in Wien sind wohl kaum 1000 DemonstrantInnen gekommen, dafür bleiben die Aktionen kreativ: In Graz sind etwa ProfessorInnen versteigert worden, in Linz haben Studierende um einen Master-Studienplatz um die Wette gepaddelt. Und es scheint eine Richtung gefunden, mit der sich Studierende und ProfessorInnen identifizieren: Gemeinsam mit den von Österreich aus infizierten Deutschen, den langsam in die Gänge kommenden Italienern und (noch) vereinzelten Unis anderer Länder geht es gegen die "Verwirtschaftlichung von Bildung". Dabei hätte der Protest gegen den Bologna-Prozess eigentlich Anfang des Jahrzehnts stattfinden müssen, jetzt wird es nämlich schwierig, die zu großen Teilen umgesetzten Änderungen rückgängig zu machen. Damals waren aber eben die Studiengebühren das größere Thema. Die gibt es übrigens immer noch: Wer sich der Verschulung widersetzt und länger als die Regelstudienzeit plus zwei Toleranzsemester braucht, zahlt. Nicht für die Ausbildung, sondern für Bildung.