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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

17. 11. 2009 - 17:30

Stripped-Down Masterklang

Grizzly Bear, mit allem Fug und Recht Anwärter auf den Titel "Band des Jahres mit Album des Jahres", hüllen das WUK in weihevolle Lichter und andächtiges Glimmen. Oder glimmende Andacht. Irgendwas fehlt.

Dafür, dass da draußen im Foyer des WUK, da wo geraucht werden darf und wird, schon gar nicht wenige Menschen eine Sekunde lang wegnicken zu wollen drohen, dafür kann ja die großartige Band Grizzly Bear nicht unbedingt etwas. Es ist schon ein bisschen seltsam, dabei sehr schön natürlich auch, dass da so eine - bei all ihrer freilich deutlichst ausgestellten Opulenz und mit tausenduneinem Flötenklang zu höchstmöglicher Perfektion ausstaffierte - dabei in Wahrheit vollkommen unaufdringliche, vergleichsweise fast völlig ohne Pop-Hooks auskommende und mit nur wenigen Ösen zum Drinhängenbleiben versehene Musik wie die von Grizzly Bear zu einem der großen Konsens-Hits des Jahres geworden ist.

Sänger Ed Droste sieht in Filesharing und Blogs eine zum größten Teil positiv zu bewertende Regulierungsmaschinerie, die eben in seinen Worten "weniger Plattenverkäufe für ein paar Große, mehr Plattenverkäufe für etwas mehr Kleinere" bedeuten kann und oft bedeutet, und die obsoleten Grenzen zwischen Major und Indie endgültig verwischt. Die gute, alte, schon wirklich zehn mal durchgenudelte Geschichte, dass die Gratiszurverfügungstellung und der illegale Austausch von Musik kleineren Bands zu weltumspannender Aufmerksamkeit verhelfen kann, war in den vergangenen Jahren für einige Bands wahr, nicht zuletzt für Grizzly Bear, die zwar ihre Platten bei Warp Records veröffentlichen, die ja auch nicht mehr unbedingt von einem Erzstollen in Sheffield aus operieren, mit einer derart zwischen den Fingern zerlaufenden Musik aber in die Top 10 der US-Billboard Charts zu geraten, kann wohl auch nur mit gebündeltem, gerechtfertigtem Indie(ganz, ganz weit fassen)-Hype gut gehen. Das WUK ist ausverkauft, dass hier jeder alle Songs von Grizzly Bear mitsingen kann, davon ist nicht auszugehen. Einfach mal schauen, worum es geht. Gut so.

Nikolaus Ostermann

Chris Taylor, Ed Droste

Alle Fotos sind von:
Nikolaus Ostermann
blog.ikoon.at

Nikolaus Ostermann

Christopher Bear

Grizzly Bear beginnen ihren Auftritt mit "Southern Point", auch der Opener ihres diesjährigen Durchbruchsalbums "Veckatimest", auf einer schön mit leeren Einmachgläsern als Beleuchtung vollbehangenen Bühne. Grizzly Bear befüllen den alten Typus "Band" wieder einmal mit pochendem Leben: Ein Quartett, an allen Positionen stark besetzt, das gleichberechtigt dem Gesamtklang zudienend auslotet, was ein Vierergefüge noch so hergeben kann: Links Bassist und Multiinstrumentalist Chris Taylor, der als Aufnahme-Engineer und Produzent auch Hauptverantwortlicher für das Sounddesign der Platten von Grizzly Bear ist, der nebenbei diverses Geflöte bedient.

In der Mitte die beiden Gitarristen, Hauptsongwriter und Sänger Ed Droste und Daniel Rossen (der bei all dem Erfolg von Grizzly Bear hoffentlich nicht seine andere Band, Department of Eagles, vergisst), ganz rechts, nicht im Bühenhintergrund, sondern fast auf gleicher Höhe, werkt Christopher Bear präzise klappernd am Drum-Kit und steuert Background-Voclals bei. Gesungen wird bei Grizzly Bear ohnehin von allen. Christopher Bear, ein guter Drummer, der weiß, wann er nicht zu viel machen darf, der variantenreich die Stücke gleiten lässt, dann wieder in etwas engere Rock-Rhythmik kleidet.

Nikolaus Ostermann

Daniel Rossen

"Veckatimest", ohne Zweifel eines der besten Alben des Jahres, lebt von einem gewissen Kalkül, einerseits der perfekt durchorchestrierten Soundwelt, wo man den Grillen beim Zirpen und dem Sand beim Knirschen zuhören kann, barocker Detailwahn, Kinderchor und nächste Tonspur, andererseits aber, dass all die Stücke, die da zunächst strukturlos durch 60 Jahre Rock- und Folkgeschichte USA zu gleiten scheinen, sich dann letztlich doch niemals zu ausufernd, zu ekstatisch oder zu "weird" gestalten und uns immer noch mit einer halbwegs greifbaren Melodie abholen. Wenn vielleicht auch nicht gleich beim dritten Hördurchgang.

Selbst wenn den Stücken, die live logischerweise mit weniger elaboriertem Zierrat auskommen müssen, auch die entschlackten Version gut zu Gesicht stehen, kann sich die behutsame Dynamik der Musik von Grizzly Bear, die nun mal eher auf ein tatsächliches Hören denn einen Mitmach-Workshop mit Tanz ausgelegt ist, heute nur matt entfalten. Die Band hangelt sich tatsächlich atemberaubend gut einsgespielt, frei von verbissener Muckerhaftigkeit und sehr sympathisch (Ed Droste lässt seine Deutschkenntnisse spielen, z.B. bei Liedwunsch: "Patience, mein Freund!") über "Cheerleader" und "Lullaby" zu "The Knife", dem Hit vom Vorgängeralbum "Yellow House", und hat auch für den weiteren Abend die Setlist sauber ausbalanciert, zwischen die offeneren Stücke schieben sich diejenigen, aus denen etwas einfacher Songcharakter herauszulesen ist.

Nikolaus Ostermann

Ed Droste

Richtig zünden will das alles nicht. "Two Weeks", die freundliche Beach-Boys-Doo-Wop-Nummer von Grizzly Bear, ihr hitmäßigster Hit, wird zwar schon beim ersten halben Ton johlend willkommen geheißen, und man versucht mit aller Kraft, sich diesen wunderbaren Song als erinnerungsstiftendes Moment für die Zukunft zu inszenieren, das Knistern im Kamin bleibt aber lau. Da und dort gibt es dann doch wahre Erleuchtung zu erfahren, bei den sich mystisch umspielenden Chören von "Colorado", das herausragende, durch die Nacht irrlichternde "Foreground" oder, gegen Ende hin, die beste Nummer der Band, "While You Wait For The Others". Die Zugabe "He Hit Me (And It Felt Like A Kiss)", eine Coverversion der Girl Group "The Crystals", erfüllt den Saal noch einmal mit kumpelhafter Ehrfurcht. Man kann da jetzt also mit Andacht mitten im Publikum stehen, knapp vor der Bühne, glühen im Magen vor Wonne, wissend, dass man da gerade eine der freundlichsten, schlauesten, sympathischsten, besten Bands der Gegenwart sieht, dass man dabei gewesen ist, spüren, wie die Aura von Grizzly Bear in manchen magischen Momenten tatsächlich überspringt. Oder vom Rand aus beobachten und das alles wirklich fantastisch und ein bisschen langweilig finden. Man hat freilich in beiden Fällen Recht.

Grizzly Bear, die großartige Band, die es einem manchmal leichter macht, bewundernd vor ihr zu stehen, als komplett für sie zu fallen. Das nächste Mal bitte in einem Saal mit Stühlen, mit singenden Sägen, mit Kinderchor und zwei von den Typen, die via Kokosnüssen und Wellblechquadraten die Geräuscheffekte für einen Science-Fiction-Film fabrizieren.