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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

16. 11. 2009 - 17:36

Journal '09: 16.11.

Wer nicht zuspitzt, geht unter: warum Eva Menasses grandiose Eröffnungsrede zur Messe Buch Wien niemanden jucken konnte.

Eva Menasses Eröffnungsrede zur Buch Wien im Wortlaut.

Es ist so eine Sache mit öffentlichen Äußerungen zu prononcierten Themen, vor allem, wenn sie in Form einer Rede erfolgen. Solche Reden werden gern zu Eröffnungen gehalten, und nachdem Politiker in den letzten Jahren systematisch aus dem Kreis guter Formulierer ausgeschieden sind, ist es eine Gepflogenheit, Schriftsteller/Autoren einzuladen zu größeren Festival-Openings und sie dort - in der Hoffnung, dass sie etwas Substanzielles und einen Diskurs anregendes von sich geben - reden zu lassen.

Im Sommer hat das bei Daniel Kehlmann in Salzburg ganz gut geklappt. Der hatte ein großes Thema (Regietheater ist mordsböse) und verstand es das und sich effizient in Szene zu setzen. Man diskutierte die Kehlmann-Rede, sie führte über den Anlassfall hinaus zu weiteren Debatten (zb über Verspießerung).
Die Rede hakte ein im Bewusstsein einer Feuilleton-Klientel, immerhin. Und wenn das Ganze nur dazu diente, festzustellen, dass es in der Post-Muliar-Ära unmöglich ist das Rad zurückzudrehen und die alten Fundis wieder ranzulassen, leistete der Anlass, die Rede, wertvolle Dienste.

Zum Beispiel: Kehlmann, Daniel, weinerlich-angriffig

Wichtig dabei: die Überspitzung. Kehlmanns Überinszenierung vom durch das neue Ding mehr oder weniger umgebrachten Vater mag dabei ein wenig arg übertrieben gewesen sein - erst sie brachte aber die auf Aufregung anspringenden Suchscheinwerfer der Skandalisierungsgesellschaft dazu zu focussieren.

Letzten Mittwoch war es an Eva Menasse, Wiener Autorin, die in Berlin lebend vieles schon von außen betrachten kann, ein aktuelles und brisantes Österreich-Bild zu zeichnen, anlässlich der Eröffnung der Buch Wien, der nach kurzer Zeit recht gut etablierten Messe.

Selbstverständlich, das hört man hier im davor geführten Interview mit Pamela Russmann gut raus, gab es da einiges an Erwartung, auch von der Rednerin selber.

Und die Rede selber ist gut, sehr gut.
Sie ist sowohl hier als auch hier, da gleich mit ein bissl Kommentar zur Gänze nachzulesen.

Ich muss jedoch nicht extra erwähnen, dass da noch ein fettes ABER kommt.

Das Grandiose und das Brunzdumme

Menasses Thema ist das "Entweder und oder" des Österreicher-Seins, die spannungsvollen Gegensätze, die sie (in Berlin) von Scham und Hass auf die Heimat innerhalb von Minuten zu einem absurd-glühenden Patriotismus treiben. Die Zerrissenheit, die auf die Phantomschmerzen nach dem Ende der Monarchie, Katho- und Provinzialismus bis hin zum unaufgearbeiteten Austrofaschismus und Nationalsozialismus und das wie Mehltau über dem Land schwebende Konfliktverbot zurückgreift, wie es ihr passt. Das Grandiose wäre ohne das Brunzdumme nicht zu haben.

Menasse bemüht die Physik um ihre These anschaulich zu machen, wenn sie die großen Stärken, die wortgewandte Subordination (die Deutschen oft den Mund offenstehen lässt) auf die schwersten Charakterfehler zurückführt.
Menasse zitiert Joseph Roth ("Österreich ist keine Nation - es ist eine Religion") oder Franz Schuh ("Wer von gestörter Identität spricht, geht offenbar davon aus, dass es auch eine ungestörte gibt.").
Menasse dreht und wendet, ist in ihren Beispielen anschaulich, plastisch und präzis.

Ein bisserl fehlte auch eine aktuelle Bezugnahme auf die universitäre Protest-Bewegung. Das auszusparen ist seltsam.

Und trotzdem fehlt etwas. Und zwar genau das, was sie selber beschreibt: das energetisch Respektlose, das spielerische Überschreiten von Grenzen, die grelle Bösartigkeit, die - im Wissen um ihre sofortige devote Zuücknahme - immer wieder aufblitzen kann.

Grenzüberschreitung als Conditio sine qua non

In ihrer Form scheitert sie am Inhalt - weil sie die in der Rede enthaltenen, wertvollen Erkenntnisse praktisch nur ansatzweise umsetzt, weil man, wenn man nicht genau zuhört, sogar harmonisierende Elemente entdecken kann, vor allem in der Schluss-Passage, die je erfahrungsgemäß am stärksten hängenbleibt.

Die Konsequenz war folgerichtig. Der News-Wert der Rede wurde (hier der diesbezügliche Google-News-Test...) für gering gehalten, die Feuilletons berichteten in Halbsätzen, und keine wie immer gerartete Diskurs-Maschine rollte an.

Die eigenständigste Reaktion war beim stets unzynischen Bruno Jaschke in der Wiener Zeitung zu finden: "Dass Menasses an Hassliebe grenzende Österreich-Auseinandersetzung zwar stellenweise rhetorisch brillant, inhaltlich aber alles andere als neu war, rief bei einigen Gästen freilich leichte Ermüdungserscheinungen hervor."

Mit anderen Worten: da ist ein penibel erarbeitetes Stück Text, ein überlegtes Essay, ein wichtiger aktueller Ansatz zur Gegenwarts-Betrachtung an seinem potentiellen Publikum vorbeiserviert worden.
Ewig schade - weil sich dann nicht einmal Menschen, die das potentiell interessiert damit auseinandersetzen. Hätte ich nicht eine wohlmeindende Zusteckerin - ich hätt's übersehen.

Rollsplit und Stacheldraht

Die Gründe für diesen Verheber scheinen mir klar auf dem Tisch zu liegen: Ein Text, eine Rede, ein Stück Widerspruch, ein renitenter Ausbruch, ein respektlos in die Welt gespiener Schrei kann sich nicht in dem, was er (mit)attackiert genügen - in konfliktscheu-harmonischer Präsentation, mit zwar anschaulichen, aber in ausgewogenenem Rahmen dargebotenen Beispielen garniert als wär's ein Aida-Torterl.

So ein Werk muss wie in die Augen geschleuderter Rollsplit, wie ein mit einem Stückerl Stacheldraht verzierter Fredikeks-Kuchen, wie ein ansatzloser Ellbogencheck in die Nierengegend daherkommen, um Wirkung zu zeitigen.

Wer sich wie Eva Menasse drauf verlässt, dass ein Text aufgrund seiner Qualität, seiner Geschliffenheit oder gar seiner inhaltlichen Brillanz wegen Anlass zur Debatte bietet oder Ausgangspunkt für Überlegungen ist, der ist verlassen; bzw der medialen Realität seltsam entfremdet.

Ich will damit nicht der dreisten, aber inhaltsarmen Provokation das Wort reden, aber: ein bisschen was darf sich ein/e zu einer Eröffnungsrede eingeladener Autor/in diesbezüglich schon leisten. Es gehört, würde ich meinen, mittlertweile sogar zum Anforderungs-Profil. Die Schärfung des Standpunkts, die Zuspitzung der These müssen ja nicht mit altbackenen Ideologien unterfüttert sein - der Studenten-Protest beweist die Unnotwendigkeit dieser überkommenen Maßnahmen; sie als stilistsiche Mittel zu küren, mit deren Unterstützung man deutlich näher an die wunden Punkte einer Zuhörerschaft und eines darüber hinaus sensiblen Medienpacks rankommt, halte ich jedoch für mittlerweile unabdingbares Handwerk. Sofern die eh noch recht kurze Tradition der Eröffnungsrednerei eine Zukunft haben soll.