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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

15. 11. 2009 - 23:39

Fußball-Journal '09-106.

Die Schweizer Secondos sind Weltmeister. Österreich bohrt in der Nase.

Vor genau einer Woche hab ich (hier rechts im off-topic) öffentlich gestanden, wer dieser Tage meine Lieblingsmannschaft ist: die Schweizer U 17-Nationalmannschaft.
Und auf ein Finale im Weltturnier gehofft.

Final-Clips auf der DRS-Seite.

Heute abend sind sie tatsächlich drin gestanden und haben es dann auch noch gewonnen.
Die Schweizer Buben.

Technisch und taktisch, sagt Alex Frei, der Kapitän der Nati, waren die U17 Buben allen ihren Gegnern klar überlegen.

die jungen schweizer weltmeister

drs

Weltmeister!
Scheißmichan!
Gegen den Gastgeber, die grandiosen Nigerianer!
Nach K.O.-Siegen gegen Deutschland und Italien (und auch Kolumbien)! Nachdem sie in der Gruppe Brasilien besiegt haben (und auch Mexico und Japan). Also bis auf Spanien alle wirklich Großen.
Die Schweizer, ja, die Schweizer!

Ein Titel für die Ewigkeit

Das ist der erste Fußball-Titel für unsere Nachbarn - und ein Einbruch in eine recht geschlossenen Gesellschaft, in die man als Kleiner nicht so leicht reinkommt. Das hat der U20-WM-Vierte von 2007 am eigenen Leib erfahren; und halt nur an dem geschnuppert, was die Schweizer jetzt erreicht haben:
Einen Titel.
Und ein Erfolg für die Ewigkeit.

die siegesfeier der schweizer weltmeister

drs

Nur: das alles ist kein Zufall.
Das ist kalkuliert, langfristig und klug aufgebaut, auf zwei wichtigen Ebenen.
Zum einen basiert das auf einem sportlichen Projektplan, zum anderen auf einer bewußten Sichtung unter den Secondos, der zweiten Generation der Migranten.

Die sportliche Weichenstellung sorgt seit nun schon einigen Jahren dafür, dass die Schweizer Nationalteam, von der A-Mannschaft runter bis zur U16 nach demselben System, mit derselben Philosophie spielen - ich möchte an dieser Stelle nicht wiederholen müssen, was einige ÖFB-Verantwortliche an Verbal-Ignoranz absondern, wenn man sie auf diese zentralen Faktoren anspricht.

Ein Titel für ein langfristiges Konzept

Dazu kommt, dass jeder Jahrgang gezielt und kontinuierlich aufgebaut wird. Natürlich werden Talente auch schon mit 18, 19 oder 20 in die Nati hochgeholt - ein sinn- und hirnloses Rausreißen von zb 17 oder 16jährigen, wie es dieser Tage der österreichische A-Team-Coach und U21-Trainer vorexerzieren, gibt es da aber nicht. Und selbstverständlich wird beim SFV großer Wert drauf gelegt, dass sich die U-Teams für die entsprechenden Turniere qualifizieren - um hier unbezahlbare Turniererfahrung zu sammeln; auch etwas, was dem ÖFB wurscht ist.

Schweizer U17-Spieler

drs

Während die Schweizer also die jetzt schon jahrzehntelange Aufbau-Arbeit mit einem Titel belobigt bekommen, wird in Österreich die Arbeit der Generation Hitzel/Gludovatz/Weber von den jungen Hektikern, die aktuell die U-Teams betreuen innerhalb kurzer Zeit ins Kellergeschoß gefahren. So weit wie in diesem Jahr war schon lang keine Mannschaft von einer Quali-Chance entfernt, Zsak/Heraf/Herzog/Stadler sind weit von einstiger U20-WM-Glorie entfernt, vergeigen und verjuxen (auch unter kräftiger Unterstützung des Teamchefs) eine noch vor ein paar Jahren recht gute Position unter dem Hinweis auf die neue Jugendarbeit, die eh im Nationalteam selber stattfinde.

Bei den Schweizer Jugendteams werden die Talente in der Fremde (und die Zahl der im Ausland tätigen Junioren ist dort deutlich höher als bei uns) gegangen sind, nicht schleißig beobachtet und geflissentlich weggeschoben, sondern besonders intensiv kontaktiert.
Beim ÖFB ist es vom A-Team runter aktuell ein Makel bei einem ausländischen Verein tätig zu sein - eine absurde Politik.

Ein Titel für eine kluge Secondos-Politik

In der Schweiz gehen die Uhren anders - nämlich genauer.

finalszene schweiz - nigeria

drs

Außerdem gibt es dort ein intensives Scouting, was die migrantischen Talente anbelangt - was hierzulande in einigen Bundesländern immer noch als Pfui und Makel angesehen wird.

Die Schweizer Talente kommen aus Serbien, Kroatien,. Bosnien (2), dem Kosovo, Albanien (2), Italien, Portugal, Tunesien, Chile, Ghana und dem Congo.

Von den 21 Weltmeistern haben 13 eine Doppelstaatsbürgerschaft - und keiner redet davon, dass man sie alle alibihaft schon im A-Team einsetzen müsse, damit sie nicht noch wechseln können (was ja bis 21 durchaus möglich ist) - auch weil niemand Angst haben muß, dass es unattraktiv wäre für die Schweiz zu spielen.
Das ist es weder im Erwachsenen-Bereich (die Nati war bei den letzten Turnieren immer dabei) noch im Junioren-Bereich der Fall.

Im übrigen sind die U17-Weltmeister der beste Beleg dafür, wie doof die freisinnige Konsens-Meinung der als ideologiefrei verkleideten Neoliberalen ist, der weltwoche-Chef Roger Köppel (ich hab ihn gestern damit bereits zitiert): "Ein Kleinstaat funktioniert nach dem Muster einer Elite-Universität. Man bemüht sich um Leute, die klaren Mehrwert bringen."

Der Mehrwert der 13 Weltmeister ist wohl kaum zu bestreiten. Trotzdem ist zumindest eine ganze Mannschaft als Kinder von von Köppel unerwünschten Nicht-Elite-Arbeitern ins Land gekommen.

Ein Titel für den Masterplan

schweizer u17 spieler

drs

Denn natürlich ist dieser Mehrwert nicht vorab meßbar, wie sich menschliche Leistungskraft eben nicht vorhersagen läßt, wie Eliten-Nachwuchs oftmals eher versagt und man seine Wetten eher auf gut ausgebildete Secondos, die erstmals so etwas wie Hoffnung zur sozialen Verbesserung sehen, setzen sollte.

So kann man sich mit einem flotten neoliberalen Spruch also klassisch ins Knie schießen.

Für Österreichs Fußball-Infrastruktur sind das alles böhmische Dörfer - nichts davon ist in irgendeiner Planung berücksichtigt, nicht beim für Sport zuständigen Minister, nicht in der Wirtschaftskammer, nicht in der inexistenten Migrations/Integrations-Politik und natürlich auch nicht in den Medien.

Der Bwußtseins-Vorsprung der Schweiz beträgt da (allem Geblochere zum Trotz) wirklich Jahre, gefühlte Jahrzehnte.

Wenn der Nachbar sich aufgrund seiner Nachhaltigkeit zum Weltmeister aufschwingt, während die eigene Leistungs/Erfolgs-Kurve ins Bodenlose sackt und die Einsicht dass Projekt-Gehirnschmalz genau jetzt investiert gehört nur ein fernes Hallen in einer menschenleeren Gegend (der der konstruktiven Sport/Zukunfts-Debatte nämlich) ist, sollte das eigentlich Grund genug sein, die Zeichen der Zeit als letzte Warnung zu verstehen.