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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

15. 11. 2009 - 15:05

Kapitales Krisenkino

Hallo, Katastrophe: Bei Michael Moore geht die Finanzwelt unter, bei Roland Emmerich gleich der ganze Planet.

Vor einigen Tagen bin ich dann auch in der Schlange gestanden. Dabei war es nicht eine medial geschürte Panik vor schwerwiegenden gesundheitlichen Konsequenzen, die mich zur Schweinegrippe-Impfung getrieben hatte. Und Pandemieschocker wie der eher mittelmäßige, gerade angelaufene Viren-Thriller "Carriers" trugen auch keine Schuld daran.

Nein, Kranksein passt einfach nicht in meine derzeitige Lebensplanung, das ist der schnöde pragmatische Grund. Ich kann eine längere Zeit im Bett weder mit meiner freiberuflichen Existenz noch mit meinen künstlerischen Aktivitäten als Musiker vereinbaren.

Michael Moore würde wahrscheinlich den Kopf schütteln angesichts meiner Entscheidung. Und längere Exkurse über die manipulativen Umtriebe der Pharmaindustrie ebenso folgen lassen wie eine Klage über die Geknechtetheit des Einzelnen im prekären Arbeitsalltag.

Und er hätte damit nicht unrecht. Mal abgesehen davon, dass hinter sämtlichen gesundheitspolitischen Empfehlungen immer auch wirtschaftliche Interessen stehen, gehören unsere Körper einem System, das uns von der Geburt an zum Funktionieren drillt, in sämtlichen Bereichen unserer Existenz.

Soll vereinfacht heißen, ich gehe mit Mr. Moores Befund, dass wir allesamt auf dem Schlachtfeld des Kapitalismus geopfert werden, durchaus d'accord. Trotzdem mag ich ihn nicht, den erfolgreichsten Provokateur des amerikanischen Dokumentarkinos. Und das betrifft auch seinen neuesten Film.

"Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte"

Filmladen

"Capitalism – A Love Story" hat Michael Moore seine aktuelle Polemik zynisch getauft. Ausgehend von der Finanzkrise und ihren Auswirkungen auf die amerikanische Arbeitsmarktpolitik, steigert sich der Regisseur in eine Grundsatzkritik, bei der sämtliche Banken als skrupellose Verbrecher dargestellt werden und die Wall Street als Zentrum des Bösen.

Die Machart wirkt dabei mehr als vertraut. Wer "Bowling for Columbine" gesehen hat oder "Fahrenheit 9/11", kennt etwa die clever geschnittenen, sarkastischen Collagen aus Filmschnipseln, die erstmal für bissige Unterhaltung sorgen. Und natürlich folgen darauf
Interviews und Aufdeckerberichte aus den inhumanen Kriegszonen des Kapitalismus, die die Stimmung verdunkeln.

Damit der Kinobesucher aber nicht in Depressionen verfällt, rückt sich Michael Moore dazwischen gerne selbst ins Bild. Als lustiger dicker Provokateur von nebenan klebt er gelbe Polizeiabsperrbänder um Bankengebäude und begehrt Einlass in Vorstandssitzungen, um die dortigen Bosse im Alleingang zu verhaften.

"Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte"

Filmladen

Es ist vor allem dieser billige Aktionismus, der schon in der Vergangenheit nervte und mit dem sich Moore auch diesmal wieder selber sabotiert.

Denn "Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte" enthält tatsächlich auch erschütternde Momente. Familien, die ihre Häuser verlieren, Firmen, die durch heimlich abgeschlossene Lebensversicherungen vom Tod der Mitarbeiter profitieren, privat installierte Umerziehungsheime für auffällige Kinder als Geschäftszweig.

Aber letztlich gehen alle ernsthaften Ansätze im gewohnten Kasperltheater aus Fakt und Fiktion, Pathos und Propaganda unter.

Dass sich Michael Moore bei seiner Verdammung des Bankenwesens ausgerechnet auf die katholische Kirche stützt, dass er jegliche Ambivalenzen und Widersprüche ignoriert, denen wir alle und auch der Filmemacher unterworfen sind, dass er Obama schwülstig zum Heiligen stilisiert und sich selbst zum Revolutionär - das macht ihn und seinen Streifen sogar zum Ärgernis.

"2012"

Sony

Bei Michael Moore geht die Finanzwelt unter, bei Roland Emmerich gleich der ganze Planet. Interessanterweise stehen die beiden Regisseure ideologisch gar nicht so weit auseinander, wie man annehmen könnte.

Deutschlands erfolgreichster Regieexport in Hollywood unterstützt mit großen Summen diverse Gay/Lesbian-Rights-Initiativen. Er gehörte zu den offensiven Gegnern der Bush-Administration, selbst wenn Erfolgswerke wie "Independence Day" oder "The Patriot" eventuell anderes signalisieren. Er sammelt subversive Agit-Prop-Kunst.

Im Gegensatz zu Moore liebt es Emmerich, nach Eigenaussage, religiöse Symbole in seinen Filmen anzugreifen. So auch in seinem neuen Streifen "2012", in dem der Vatikan dem Erdboden gleich gemacht wird, die berühmte Christusstatue in Rio zerbröselt und tibetanische Kloster überflutet werden.

Ein kleiner Anarchist im Blockbustergewand also, dieser Exilschwabe, möchte man meinen. Na ja, geht so.

Natürlich bewegt sich Roland Emmerich mitten im lupenreinen Mainstream. Aber mit "2012" ist ihm sein bisher sehenswertester Film gelungen, ein 260 Millionen Dollar Spektakel mit dem charmanten Charme trashiger B-Movies.

"2012"

Sony

Wir schreiben das Jahr 2012. Mit Schrecken müssen Wissenschaftler erkennen, dass der Maya-Kalender mit seinen Prophezeiungen Recht behalten hat. Eine Sonnenexplosion erwärmt den Erdkern so sehr, dass die Erdkruste instabil wird und aufbricht.

Wolkenkratzer stürzen wie Kartenhäuser zusammen, Vulkane löschen ganze Landstriche aus, Millionenstädte versinken im Meer. Danny Glover als afroamerikanischem US-Präsident bleiben nur mehr knappe Abschiedsworte, bevor eine Aschewolke das weiße Haus hinwegfegt.

Typisch für das Katastrophenkino blickt die Kamera im allgemeinen Chaos auf Einzelschicksale und Alltagsprobleme. Vor allem John Cusack steht im Mittelpunkt, der sich nach einer Scheidung mit seinen Kindern herumwurstelt. Die Sehnsucht nach einer intakten Familie steht weiterhin im Mittelpunkt von Emmerichs Filmen.

Das andere Schlüsselthema des Regisseurs ist die Verwüstung. Und, meine Damen und Herren, in Sachen Zerstörung erreicht "2012" wirklich gigantomanische Ausmaße. Im wahnwitzigen Getöse dieser ultimativen Untergangssorgie vergisst man die abstruse Story und die infantilen Dialoge.

Wer ein Argument für die große Kinoleinwand und die pure Schaulust sucht, darf sich ruhig auf diesen Film berufen. Sollte die Welt in zwei Jahren tatsächlich in diesem Stil untergehen, wird uns zumindest nicht langweilig dabei werden.

"2012"

Sony