Erstellt am: 14. 11. 2009 - 00:32 Uhr
on the train in the rain
Bitte, so kann man keinen Blog schreiben. Ich verzettle mich endlos. Drei Folgen der Getting it wrong-Serie liegen schon auf Halde, weil ich mich auf halbem Wege mit der Frage konfrontiert sehe, ob’s nicht doch eher ich bin, der es wrong gegettet (oder gegotten) hat.
Ich hasse es ja, wenn die Briten immer flapsig sagen: You shouldn’t take yourself too seriously.
Aber vielleicht haben sie recht.
So kann man nämlich keinen Blog schreiben, wenn man ständig alles in Frage stellt. Weil es beim Nichternstnehmen seiner selbst andererseits ganz leicht passieren kann, dass man das fabriziert, was Briten ebenso flapsig Stierscheiße nennen, sollte man sich in diesem Fall wohl auf weniger heikle Themen beschränken.

Robert Rotifer
Stimmungsbilder zum Beispiel.
Im Moment sitzt euer Korrespondent etwa gerade im Zug und zittert ein wenig. Weil er am Morgen befunden hat, es sei der richtige britische Herbsttag für einen Flanellanzug. Und weil der entgegenkommende, durch die Lachen schlitternde Individualverkehr diese Entscheidung mit jubelnden Wasserfontänen zu begrüßen beliebt.
Flanell ist sehr saugfähig.
Übrigens, things that suck: Schon wieder nicht geschafft, das hier fertig zu schreiben und schon wieder im Dunkeln im allerletzten Zug Richtung Kent, die Hosen trocken, im neuen Hemd. In der Zwischenzeit hab ich Dev Hynes alias Lightspeed Champion interviewt und mir dabei die medizinischen Details seiner Stimmbandoperation angehört. Nein, wieder keine Fotos gemacht. Und nein, vor Februar hat’s keinen Sinn darüber zu schreiben, weil da erst sein neues Album erscheint. Februar. Die Vorlaufzeiten werden auch immer grotesker. Die Aufnahmen für das Album, das in drei Monaten erscheint, haben übrigens neun Tage gedauert.
Ein Unterschied zwischen London und Canterbury als Resümee: eineR von drei AutofahrerInnen in Canterbury bleibt stehen, um einen nicht vollzuspritzen, während die Taxifahrer in London aktiv die Pfützen suchen. Ergebnis ungefähr dasselbe.

Robert Rotifer
Im allerletzten Zug spielt sich indessen ein Stehgreiftheater ab: Ältere, offensichtlich ziemlich närrische Dame wedelt mit Stock, behauptet, jüngerer vollbesoffener Typ hätte sie unsittlich berührt. „Don’t fucking touch me! He touched me!“
„You’re insane!“, sagt er.
Beide haben wahrscheinlich recht. Obwohl er sie vermutlich nur berührt hat, weil die Dinge, an denen er sich anhält, sich ständig bewegen, verselbständigen, aus seiner Hand rutschen.
Ein Mann, der sich als „responsible citizen“ identifiziert, versucht zu schlichten. Der Besoffene hält nicht ganz den Mund, alles sehr unspektakulär. Bei der nächsten Station hält der wichtigtuerische Schaffner den Zug auf, um die Polizei zu rufen. Getting it wrong über die angebliche Neigung der Briten zum Common Sense bereits in Arbeit.
Kabarett erweitert sich auf Bahnsteigdebatte über „citizen’s arrest“. Nach Hause wollende Mehrheit wundert sich über sinnlose Verzögerung. Wichtigtuerischer Schaffner spricht von „incident on the train“, der unsere Reise verzögert und schafft es schließlich, durch sinnlose Verhandlungen mit dem ebenfalls besoffenen responsible citizen gerade rechtzeitig zur Ankunft der Polizei kleine Rauferei zu inszenieren.
Handgemenge. Frau, die raufenden Männern empfiehlt, erwachsen zu werden. Leute in fluoreszierenden Jacken, die sich geschäftig geben. Fahrgäste, die endlich nach Hause wollen. Schaffner, der Überstunden machen will. Responsible citizen, jetzt mit Handschellen hinter dem Rücken schreit in theatralischem Schmerz: „Aaah! Aaah! And I was the only one sorting it out.“
Polizei beginnt närrische Dame wegen unsittlicher Belästigung zu befragen. Mehr Polizei wird herbeigerufen.
Ein bisschen Zeit bleibt also, hier noch ein paar Bilder von einem verregneten Tag im East End reinzustellen.

Robert Rotifer

Robert Rotifer

Robert Rotifer

Robert Rotifer