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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

16. 11. 2009 - 10:37

Zeitreise inklusive

"Popular Songs", das neue Album von Yo La Tengo bietet Motwon-Ausflüge, Psychedelik-Trips und Geheimnisvolles.

Langsam schleicht sich eine simple Keyboardmelodie durch eine leise Synthiefläche. Ein sanft gespielter Bass mischt sich mit nur zwei Tönen dazu und schon haben Yo La Tengo eine unglaublich berührende Atmosphäre geschaffen. Das siebenminütige Eröffnungsstück "Big Day Coming" kommt ohne Schlagzeug aus, lediglich geflüsterter Gesang und wundervoll eingesetzte Feedbacks komplettieren diesen psychedelischen und harmonischen Trip.

Yo La Tengo

Das Album "Painful" (1993) ist mein erster Einstieg in das Sounduniversum des Trios aus Hoboken, New Jersey, das schon seit seiner Gründung Mitte der Achtziger mit wenigen Mitteln große Effekte erzielt. Es passte perfekt in die Grungezeit, wenn bei "Double Dare" die Gitarren kreischen und das Tempo angezogen wird. Überwiegend scheint aber eher die melancholische Verträumtheit der Shoegazer vorherrschend zu sein. Da wundert es auch nicht, dass vier Jahre später auf der Single-EP des grandiosen "Autumn Sweater" ein Remix von My Bloody Valentine-Mastermind Kevin Shields auftaucht.

Interessanter Weise ist auch für Sänger und Gitarrist Ira Kaplan '"Painful" das Album, das den Sound und das Gefüge von Yo La Tengo maßgeblich geprägt hat. Und auch heute noch sind Spuren dieser Zeit in Yo La Tengos Musik zu finden.

Vergangenheit matters

16 Jahre nach dem einschneidenden Werk ist der erste akustische Eindruck überraschend. "Here To Fall", der Opener des neuesten Geniestreichs Popular Songs, legt gleich einmal mit einem treibenden, fetten Schlagzeugbeat, spacigen Gitarren und epischen Streichern los. Ira Kaplans Sprechgesang scheint immer noch so verhalten wie früher, allerdings hat er hörbar an Selbstsicherheit und Coolness gewonnen. Auch Bassist James McNew tritt bestimmt auf den Verzerrer und Schlagzeugerin, Sängerin Georgia Hubley swingt und shuffled präzise und mit Gefühl wie eh und je.

Yo La Tengo

Um Missverständnisse vorzubeugen: "Popular Songs" ist kein "Best Of..."-Album oder eine Sammlung rarer B-Seiten, obwohl der Titel dafür gut zu Yo La Tengos Humor und Ironie passen würde. Und trotzdem erhält man den Eindruck, dass die Geschichte des Bandsounds bei allen zwölf Nummern mitschwingt. Schon der zweite Titel, "Avalon or Someone Very Similar", katapultiert uns durch seinen krachigen Lo-Fi-Klang in die Vergangenheit. Hohe Kopfstimmen und schepperndes Schlagzeug, geschrammelte Gitarrenakkorde und legere, poppige Gesangsmelodien wirken wie ein referenzielles Augenzwinkern.

Michael Lavine

Beseelte Gegenwart

Aber es geht noch wilder. Dass Georgia, Ira und James noch immer rocken können wie in alten Tagen, beweist "Nothing To Hide", dessen Titel für zweieinhalb Minuten Programm ist. Die richtigen Überraschungen kommen allerdings erst danach. Denn "Periodically Double or Triple" steigt mit einem straighten Beat und gewitzter Orgel im 60ies-Style ein, während James am Bass dem Blues zu verfallen scheint. Bis ein kurzes, instrumentales, leise rauschendes Break uns auf den nächsten Spaß vorbereiten soll. Ein schräges, kreischendes Orgelsolo, das genauso schnell verklingt, wie es gekommen ist.

Mit dem anschließenden "If It's True" toppen Yo La Tengo den Motown-Ausflug und führen uns eindrucksvoll vor, dass eine Band durch die unterschiedlichsten Genres surfen kann, ohne an dabei Wiedererkennungswert oder gar Authentizität zu verlieren. Selbst wenn mit "I'm on My Way" oder "When It's Dark" das Singer/Songwriter Gefilde von Kings Of Convenience oder Belle and Sebastian betreten wird, sind es immer noch Yo La Tengo, die durch ihr harmonisches Gespür und ihre über zwanzig Jahre entwickelten Klangfarben den Songs einen eigenen, besonderen Touch verpassen.

Yo LA Tengo

Cover, Art, Work

Sich beim zwölften Album nicht zu wiederholen scheint fast unmöglich. So spannen sich auf "Popular Songs" bekannte Harmoniebögen durch die Songs und die im eigenen Studio entwickelte und aufgenommene Soundästhetik lässt einen immer wieder in die Vergangenheit reisen.

Trotzdem sind Yo La tengo weit davon entfernt, sich selbst zu kopieren. Ira Kaplan, der die meisten Songs schreibt, hat keine Angst davor, es könnte einmal soweit kommen. Schließlich folge man seinen Instinkten und tue genau das, was sich für die jeweilige Zeit, in der ein Album entsteht, richtig anfühlt. Diesmal fühlte es sich richtig an, etwas das Motown-Feeling zu verbreiten. Früher hätte das laut Ira nicht funktioniert, hatte sich das Trio früher doch meist dazu entschlossen, eindeutige Referenzen in ihren Songs zu verfremden und die Stücke mit Ecken und Kanten zu ihren eigenen machen zu müssen. Dieser Zwang scheint einer gewonnenen Sicherheit, viel Erfahrung und einer neuen, offenen Neugier gewichen zu sein.

Eines der Elemente, die das ganze Werk von Yo La Tengo zusammenhält, ist das Geheimnisvolle, das nicht nur vielen Songs, sondern auch dem Artwork innewohnt. Diesmal bedienen sich die Musiker bei Werken des amerikanischen Konzeptkünstlers Dario Robleto. Da werden zum Beispiel alte Billie Holiday Platten eingeschmolzen und zu bunten Knöpfen verarbeitet. Sie sollen verlorengegangene Knöpfe von Second-Hand-Kleidern ersetzen. Oder ein großer, modellierter Dinosaurierknochen wird zum Streichholz stilisiert, wobei die abgebrannte Spitze aus dem zerkleinerten Vinyl von T. Rex's "Life's A Gas" besteht. Auch wenn auf der Innenseite des Booklets die Beschreibungen der Objekte abgedruckt sind, bleibt für Ira genug Mystik erhalten, die perfekt mit der Stimmung der letzten Songs korrespondiert.

Yo La Tengo

Yo La Tengo sind am 26. November 2009 in der Wiener Arena zu sehen

Denn gegen Ende von "Popular Songs" packt das Trio noch mal sein ganzes psychedelisches Geschick aus. "More Stars Than There Are In Heaven" fängt mit unschuldig wirkenden Keyboardakkorden an und steigert sich in den folgenden neun Minuten mit angezerrtem Bass, fernem Gitarrenfeedback und choralem Gesang ganz langsam zu einem hypnotischen, sanft rollenden Epos.

jesper eklow

Danach zerfällt der Yo La Tengo Sound fast vollständig zu glitzernden Akustikgitarrenlinien im harmonisch weitschweifigen "The Fireside".

Der Höhepunkt dieser verzaubernden Klanglandschaften ist der Abschlusstrack "And the Glitter is Gone", ein grooviges Noiseinferno, das uns eine gute Viertelstunde in die fabelhafte Soundwelt von Ira, Georgia und James entführt.

"Popular Songs" vereint alle Vorzüge von Yo La Tengo und spiegelt mit frischer Energie die jahrelange Entwicklung eines Trios wider, dass gelernt hat, seine Grenzen stetig zu erweitern und sich dabei nicht zu verlieren.