Erstellt am: 13. 11. 2009 - 17:15 Uhr
Journal '09: 13.11.
Den Link zum Video da unten hab ich im übrigen von jemandem, dem ich folge, twitter-mäßig - leider weiß ich nimmer von wem, so ist das mit der schnelllebigen Link-Schleuder, sorry!
Gestern, bei einer interessanten Diskussions-Veranstaltung des Ö1-Radiokollegs zum Thema Blog-Culture (der Mitschnitt ist hier nachzuhören), war es in einigen Rede-Beiträgen (egal ob von Podium oder aus dem Publikum, und ja, ich hab es auch angesprochen, klar) zu hören: der von einigen Angsthasen hochgespielte Konflikt zwischen Alten und Neuen Medien ist ein Konstrukt.
Die Bruchlinie liegt anderswo, nämlich - im Fall von Österreich - in einer durch die Medienkonvergenz fast zufällig aufgebrochenen und längst überfälligen Diskussion über die Qualität eines Journalismus, der sich zunehmend als Tippgeber und Handlanger der Mächtigen und der Corporations geriert und seine eigentliche Aufgabe (die Kontroll-Instanz, die Vierte Macht im demokratischen System zu sein) aus den Augen verloren hat.
Die aktuelle Debatte über blödes Internet, hehre Qualitätsmedien mit Anspruch und anderen höheren Unsinn, der Samstag Abend mit dem Wolfgang Lorenz-Gedenkpreis ausgezeichnet wird, ist ein schieres Ablenkungs-Manöver, bei dem (wie schon so oft in der Geschichte) ein Technologie-Wechsel benutzt wird, um reaktionäre Positionen ins Licht zu rücken.
Journalism is dying
Wer das für eine radikale Ansage hält, den lade ich dazu ein sich die 7:30, die John Nichols im unterstehenden, embeddeden Video für seine Analyse und seinen Forecast zum Thema braucht, anzuschauen.
John Nichols ist einer der Starautoren von The Nation, der ältesten und womöglich besten US-Wochenzeitung. Nichols ist Co-Autor von "The Death and Life of American Journalism: The Media Revolution that Will Begin the World Again" (Nation/Perseus/Basic Books) und sprach vor genau einer Woche bei der Campus Progress Youth Journalism Conference, die The Nation alljährlich in Washington abhält.
Falls was nicht hinhauen sollte - sicherheitshalber hier der Link zum Video.
Apropos bewegte Bilder im Netz und so: seit heute ist endlich die TVthek online, die seit Monaten pilotiert und erst jetzt (EU, VÖZ...) durfte.
Just take a look!
Für alle, bei denen's wegen dem Amerikanisch oder den trockenen Anspielungen zu Beginn nicht reicht - Nichols sagt, nachdem er sich über das Web-Bezahl-Modell des Wall Street Journal und Rupert Murdochs Versuch die Uhr zurückzudrehen lustig gemacht hat, folgendes:
Die Debatte zwischen Alten und Neuen Medien ist ein Witz. Beides sind Plattformen, bei beiden geht's um Geschwindigkeit.
Zu glauben, dass das Digitale irgendetwas Utopisches an sich hätte, ist eine süße Fantasie, nicht mehr ... Die Debatte Bezahl-Web vs freies Netz ist noch viel dümmer.
Die aktuelle Debatten sind reine Comedy
Selbst wenn jemand den "Michael Jackson tot!"-Scoop exklusiv gehabt hätte - die Information hätte nur einmal verkauft werden können; ab da wäre sie frei gewesen. Information kann nicht eingesperrt werden.
Das ist reine Comedy, das sind Diskussionen von 1997, bevor es das Wort Blog gab, sagt Nichols und: Unglücklicherweise definiert Old Media, oder besser Corporate Old Media den Diskurs, wie es mit Journalismus weitergehen wird. Der Punkt aber ist: Journalismus ist dabei zu sterben. Er wird auf die brutalst mögliche Art angegriffen und er wird sterben.
Nichols nächstes Beispiel: Man stelle sich eine Diktatur vor, die jedes Jahr 10% der Journalisten abbaut, weil man keine freie Presse braucht. Arg, oder? Ist aber aktueller Fakt; in den USA (und in der Folge auch weltweit), ganz ohne Diktatur. Letztes Jahr haben 10% der Journalisten den Job verloren, heuer werden es wieder 10 oder gar 15% sein.
Es gibt die romantische Vorstellung, dass Förderstiftungen ein paar Leute anstellen, die dann wertvollen investigativen Journalismus machen. Vergiss es. Das ist tot.
Wir haben also das tote Modell der alten Medien und die nicht funktionierenden Modelle der neuen Medien.
No way to fund it
Nichols erzählt von einem Treffen mit Vertretern der erfolgreichsten Website der Welt, der des Guardian, der bestbesuchten und bestfinanzierten News-Seite des Globus. Die sagen offen: klappt nicht. Wir können uns so bald keinen Journalismus mehr leisten. No way to fund this thing.
Nichols sieht genau eine Lösung (und er ist apodiktisch und unbarmherzig, aber immerhin sieht er eine Lösung...).
Nichols erinnert an die Gründertage der USA ("the american experiment") und erinnert auch daran, wie die USA dieses Modell später in Deutschland und Japan angewendet haben, um dort eine demokratische Medienlandschaft einzupflanzen.
If you're gonna be a democracy, people have to be informed. So the government created a media system. Staatlich subventionierte Presse (später Radio, TV etc.), via Post oder Wires verbreitet, steuerlich gestützt, von der öffentlichen Hand, also uns allen versorgt.
Nichols hält die Errichtung einer subventionierten Medienlandschaft für die einzige Chance funktionierenden Journalismus zu unterstützen, für die einzige Chance in der Krise.
Der Corporate Sector, der private Sektor werden und können das nicht.
Der freie Markt bringt Journalismus um.
Die Privatwirtschaft hat keine Lösungen.
Also wird es an der Regierung hängenbleiben.
Das erinnert an die Lösung der Weltwirtschaftskrise: Auch da blieb es an der öffentlichen Hand hängen, die Banken, die Börse, die Privatwirtschaft mittels Interventionen zu retten.
Hat also was für sich, die Nichols-These.
Nicht dass ich von ihr restlos begeistert wäre - sie ist allerdings das realistischste Szenario, das ich seit langem gehört habe; nein, besser: das einzige realistische Szenario, das mir bekannt ist.