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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

13. 11. 2009 - 14:43

Copy Warfare

Der Kampf der Unterhaltungsindustrie gegen Raubkopien ist bei Videospielen besonders vielschichtig. Sowohl Konsumenten als auch die Industrie haben dabei einiges zu überdenken.

Über Jahre hinweg habe ich mir mit einer persönlichen Meinung zum Thema Filesharing und Raubkopien schwer getan. Auf den ersten Blick scheint es ja einfach, auf welche Seite man sich schlagen soll: Da ist einerseits ein mehr oder weniger finanzkräftiger Arm der Unterhaltungsindustrie, der die Zeichen der Zeit verschläft, daraufhin vor Wut schäumend die Macht seiner Rechtsabteilungen ausschöpft und den zahlenden Konsumenten mit teils dreisten und technisch fragwürdigen Kopierschutzmechanismen bevormundet. Auf der anderen Seite sind Hörer, Seher, SpielerInnen, die ihre Lieblingsmusik für teures Geld importieren müssen, Sitcoms außerhalb der USA nicht im Stream ansehen dürfen, und ein Game nach der fünften Installation wegschmeißen können.

In Reihen aufgelegte CD/DVD-Datenträger, mit der unteren Schicht nach oben gelegt.

Liam Higgins

Nach Jahren des argumentativen und technischen Aufrüstens beider Streitparteien gab es nur in Einzelfällen wechselseitiges Verständnis und Annäherungen - die Fronten sind geblieben. In dem langen Zeitraum, in dem man sich über diese Auseinandersetzung Gedanken machen konnte, konnte man sich gleichzeitig von der Idee verabschieden, Partei für eine Seite zu ergreifen.

Raubkopieren ist argumentativ nicht zu rechtfertigen

Bei all dem Pochen auf die Digitalisierung der Gesellschaft, die einfachen Möglichkeiten des Datenaustausches und unzumutbare Kopierschutzmechanismen ist zunächst eines nicht möglich: Illegales Filesharing und Raubkopien argumentativ zu rechtfertigen.

Wenn sich etwa Konsumenten ihre Spielkonsole hacken lassen, um damit aus dem Netz gezogene Games spielbar zu machen, ist das eine Sache. Fliegt man dann aber auf und wird vom zugehörigen Online-Service ausgeschlossen, darf man sich nicht wundern - so geschehen bei einem 25-jährigen Briten, der "Call of Duty: Modern Warfare 2" unschlauerweise Tage vor der offiziellen Veröffentlichung online auf seiner modifizierten Xbox 360-Konsole spielen wollte. Seine Reaktion: Den armen, schwarzen Kater mimen und von hohen Preisen und geschassten Kunden faseln. Das Modden war doch schon so teuer, jetzt soll ich auch noch Spiele kaufen?

Demo, Leihe, Berichterstattung

Jeder Enthusiast, der möglichst viel lesen, spielen, sehen, erleben, erfahren möchte, gibt für sein Hobby regelmäßig und gerne Geld aus. Vom Indie-Comic bis zur totkommerzialisierten Beatles-Plastikgitarre kauft man soviel, wie man sich leisten kann beziehungsweise willens ist zu konsumieren. Alles von einer bestimmten Sache besitzen zu wollen, ist eine absurde Idee und rührt nicht selten von der weit verbreiteten Neurose des Sammeltriebes her. Einfach zu besitzen und darüber zu reden fühlt sich mitunter gut an.

Boris Schneider-Johne, Xbox Produktmanager Deutschland und Blogger

Microsoft

Boris Schneider-Johne, Xbox 360 Produkt Manager Deutschland und Blogger: "Raubkopieren ist respektlos."

Dennoch sind Computer- und Videospiele in Sachen Preisgestaltung ein Sonderfall: Ein aufwändig entwickelter Titel kostet bis zu 70 Euro, bei beliegender Hardware oft viel mehr. Das macht Gamer beim Kauf unflexibel - wären da nicht die vielfältigen Möglichkeiten zur Probe: Spieledemos (online, im Handel, auf Messen), Leihe, sowie die nicht enden wollende Spezial-Berichterstattung in Printmagazinen und vor allem im Web.

Boris Schneider-Johne, ehemaliger Games-Journalist und Xbox 360-Produkt Manager in Deutschland, hat Recht, wenn er in seinem (halbprivaten) Blog immer wieder darauf pocht, dass die geschwellte Brust der Raubkopierer auf einem Fundament der Schönrederei fußt.

Den Bogen überspannt

Spieleveteranen-Podcast:
Einige der hier zititerten privaten Meinungen von Boris Schneider-Johne stammen vom monatlichen Skype-Stammtisch altgedienter (ex-) Games-Journalisten aus Deutschland. Empfehlenswert vor allem für Langzeitgamer, die älter als 25 sind.

Leider schießt Schneider-Johne, obwohl er gerne mit Knopfdruck vom Industrie-Vertreter vollständig zum kritischen Konsumenten wechseln würde, auch übers Ziel hinaus. Spiele seien seiner Meinung nach deshalb so teuer, weil so große Teams daran arbeiten würden und außerdem der technische Standard heute höher sei als vor 20 Jahren. Sein grundsätzlich gerechtfertigtes, aber trotziges Beharren auf der Unrechtmäßigkeit von Filesharing wird von ihm durch gezielte Hinweise auf die jeweiligen Vertragsbrüche durchgeboxt. Das Wort "Raub" wird bewusst betont, um nichts zu "verharmlosen", wie Schneider-Johne in einer Antwort auf ein Kommentar im oben verlinkten Artikel schreibt.

Raub bedeutet die Wegnahme fremder Sachen unter Androhung physischer Gewalt - davon ist beim Ziehen eines Game-Images aus dem Netz weit und breit keine Spur. Mit welchem finanziellen und personellen Aufwand ein Computer-/Videospiel entwickelt wurde, hat dem Konsumenten egal sein zu dürfen. Und anstatt zu versuchen, das Problem analytisch zu ergründen, wird beschuldigt und mit dem Finger gezeigt.

Dadurch sind Boris Schneider-Johne (der hier exemplarisch herangezogen wird) und die Industrie, die er vertritt, zwar rein formal im Recht - hohe Sympathiewerte für die trotz Kopiererei an Umsätzen und Erträgen nicht gerade arme Spielebranche darf man sich bei solchen Reaktionen aber auch nicht erwarten. Denn das Geschäft läuft trotz Wirtschaftsflaute sehr gut: Das bereits erwähnte "Modern Warfare 2" (circa 60 Euro pro Stück), vertrieben vom Industriegiganten Activision, hat sich innerhalb der ersten Woche weltweit 4,7 Millionen mal verkauft.

Activision-Blizzard Firmenchef Robert Kotick

Activision-Blizzard

Kontroversieller Activision-Boss Robert Kotick: "Würde die Preise weiter erhöhen."

Es wird Zeit für restriktionsfreie Downloadportale

Viel problematischer als der Umstand der Raubkopiererei ist die zunehmende Einschränkung darüber, wie User über eine rechtmäßig erworbene Spielekopie verfügen können. Es wird viel frohlockt über die bequemen, legalen Möglichkeiten des Downloads von Games auf die Festplatten der PCs, Macs und Konsolen. Weniger erfreulich sind - ganz abgesehen von den Preisen und technisch oft zweifelhaft entwickelten Kopierschutzmechanismen - die Zuweisungen von gekauften Spielen zum jeweiligen Download-Portal, von dem man die Software bezogen hat.

Vor allem die für ihre inhaltliche Vielseitigkeit gerne gepriesene Online-Vertriebsplattform Steam zwingt oft auch bei Spielen, die im Handel gekauft wurden, zur Registrierung. Danach ist der Titel unwiderruflich dem Steam-Konto des jeweiligen Users zugewiesen - das Weiterverkaufen oder -schenken wird dadurch unmöglich. Ebenso sind all die netten, kleinen Games, die manchmal bloß ein paar Euro kosten, für den User in Ketten gelegt, wenn sie nicht unabhängig und flexibel genutzt werden können.

Es wird Zeit, die Bedürfnisse der User zu respektieren

Vieles deutet darauf hin, dass der Online-Vertrieb weiter zunimmt und der klassische Handel an Relevanz verliert. Ein gekauftes Computerspiel oder Musikstück sollte deshalb auf jedem Abspielgerät uneingeschränkt nutzbar sein, ebenso wie ein Buch überall hin mitgenommen werden kann. Es braucht Möglichkeiten, digitale Inhalte übersichtlich und frei von Restriktionen anzubieten. Anstatt Energie für Rechtsstreit mit Raubkopierern und belehrendes Lobbying zu vergeuden, wären die Big Player der Branche besser beraten, die Wünsche der digitalisierten Gesellschaft zu erkennen und zu respektieren. Nimmt die Games-Industrie diese Herausforderung ernst, wird auch der seltsame Stolz der Filesharer bald ein Minderheitenprogramm werden.