Erstellt am: 11. 11. 2009 - 18:58 Uhr
In der Demografie gibt es keine "Überalterung"
Das Pensionssystem und seine Haltbarkeit bzw. Finanzierbarkeit sind in Österreich seit Jahren ein heiß diskutiertes Thema. Die Finanzierung der Pensionen ist ja durch den so genannten Generationenvertrag geregelt, was bedeutet, dass die aktuell Erwerbstätigen jeweils die Pensionen der PensionistInnen bezahlen. Ein System, das vor allem zu Zeiten des Babybooms, als es wesentlich mehr junge und somit erwerbsfähige Menschen gab, optimal funktionierte.
Durch demografische Veränderungen, vor allem Geburtenrückgänge auf der einen Seite und eine immer höher werdenden Lebenserwartung auf der anderen Seite, steht das Pensionssystem immer mehr vor Finanzierungsproblemen. Vor allem dann, heißt es immer, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre ins Pensionsalter kommen und auf einen ArbeitnehmerIn einE PensionistIn kommt.
Ich habe Christine Mayrhuber, Demografin am Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), gefragt, was für die demografische Entwicklung in Österreich in den nächsten Jahren prognostiziert wird und was das für das Pensionssystem bedeutet. Sie sieht die Bevölkerungsentwicklung gar nicht so schwarz, wie das immer dargestellt wird, und meint, Probleme das Pensionssystem betreffend sollten eher am heutigen Arbeitsmarkt als mit dem Aufkünden des Generationenvertrags gelöst werden.
Irmi Wutscher: Wir hören immer von der Überalterung der Gesellschaft und vom Generationenvertrag, der bald nicht mehr haltbar ist. Wie sieht das denn aus der Sicht der Demografie aus?
Christine Mayrhuber: Aus der Sicht der Demografie es gibt keine „Überalterung“, denn das ist eine Bewertung. Es gibt eine Bevölkerungszusammensetzung: unterschiedlich viele Kinder, Erwachsene und Alte. Und diese Zusammensetzung ist so wie sie ist. Man kann versuchen, sie mittel- und langfristig mit Rahmenbedingungen zu beeinflussen, aber das Wort Überalterung möchte ich in diesem Sinn nicht verwenden. Es ist eine demografische Verschiebung zu beobachten, d.h. die Kinderanzahl geht zurück, die steigende Lebenserwartung führt dazu, dass der Anteil der über 65-jährigen Menschen in Österreich und in der gesamten westlichen Welt steigt.
Wie ist jetzt das Verhältnis jetzt zwischen Erwerbsfähigen und Alten?
Im Moment leben in Österreich ca. 8,3 Millionen Menschen, der Großteil ist im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64, das sind knapp 5,6 Millionen. Und mittlerweile gibt es weniger Kinder als Personen die 65 und älter sind. 1,44 Millionen Alte gegenüber etwa 1,2 Millionen Kindern.
Es heißt immer, irgendwann werden die alten Personen mehr sein, als die Personen im erwerbsfähigen Alter. Gibt es Prognosen, ab wann das so sein wird?
Also diesen Zeitpunkt, den kennen wir gar nicht. Dass die Menschen zwischen 15 und 64 weniger sein werden als die über 65-jährigen, das ist in keiner Bevölkerungsprojektion vorhanden.
http://www.flickr.com/photos/galant/
Und warum wird dann immer gesagt, dass der Generationenvertrag so nicht mehr funktioniert?
Da fragen Sie am besten die Medien. Die Statistik Österreich macht jährlich eine Bevölkerungsprojektion, und die geht sehr weit in die Zukunft. Die jetzige Bevölkerungsprojektion geht z.B. bis zum Jahr 2075. Das Verhältnis verschiebt sich dabei etwas. Die Erwerbsbevölkerung wird bis zum Jahr 2075 in etwa konstant bleiben und die Zahl der Älteren wird ansteigen. Das ist dadurch bedingt, dass aus heutiger Sicht die Lebenserwartung weiter steigen wird.
Dass die Zahl der Erwerbstätigen gleich bleibt, das ist doch mit der jetzigen geringen Geburtenrate nicht erklärbar. Wie kommen solche Zahlen dann zustande?
Die Anzahl der Erwerbstätigen bestimmt sich durch zwei Faktoren: Wie viele Kinder geboren werden und wie viele Menschen zuwandern. Bei der Migration tut sich von einem Jahr auf das andere immer relativ viel. Deswegen weichen die Bevölkerungsprojektionen enorm voneinander ab. In der jüngsten Vergangenheit war es sogar so, dass die Bevölkerungsprognostiker nicht einmal die richtige Richtung getroffen haben. Das heißt, es gab sehr negative Projektionen im Jahr 2003, wo von einem dramatischen Rückgang der Gesamtbevölkerung ausgegangen worden ist. Zwei Jahre später haben die Bevölkerungsprognostiker diese Sicht revidiert, und ihren Berechnungen zufolge wird die Bevölkerung in Österreich weiter ansteigen. Also selbst die Richtung ist auf so lange Sicht schwer einzuschätzen.
In der Demografie gibt es auch das Konzept der demografischen Abhängigkeitsquoten. Das ist das Verhältnis zwischen der Erwerbsbevölkerung und den Menschen über 65. Die ist z.B. im Jahr 2008 25,5, das bedeutet, dass auf 100 erwerbstätige Menschen im erwerbstätigen Alter 25,5 Personen über 65 kommen. Und diese Quote wird auch herangezogen, wenn man in die Zukunft blickt. Hier wird dann meistens von einer Überalterung gesprochen, wenn sich die Relation dramatisch verändert. Aus heutiger Sicht wird sich diese Quote bis zum Jahr 2075 verschieben. Von den genannten 25,5 Personen auf 47,5 Personen. Das heißt, das Verhältnis verschlechtert sich, es stehen mehr über 65-jährige den unter 65-jährigen gegenüber.
Bevor wir aber den Schritt zur Finanzierbarkeit des Pensionssystems machen, muss man sich vor Augen halten: Die Finanzierung des Alterssicherungssystems hängt nicht nur von der demografischen Entwicklung ab. In der jetzigen Situation, besonders bei Diskussionen unter dem Schlaglicht Generationenkonflikt, wird die demografische Komponente viel zu stark betont. Viel wichtiger ist aber die ökonomische Entwicklung: die Wirtschaftsleistung eines Landes, die Tatsache, wie viele Menschen einen Job haben, wie die Entlohnungssystematik ist und das Lohnniveau. Diese Faktoren sind viel entscheidender bei der Frage, ob ein Pensionssystem finanzierbar ist oder nicht.
Ist es finanzierbar? Derzeit wird ja immer gesagt, das System ist so nicht haltbar.
Die Aussage, das Pensionssystem ist aus demografischen Gründen nicht finanzierbar, ist aus ökonomischer Sicht falsch. Oder nicht zu belegen. Wenn die Wirtschaftsentwicklung eines Landes groß genug ist, dann ist die Frage der Alterssicherung eigentlich eine Frage der Verteilung. Wie verteile ich das, was an Gütern und Dienstleistungen hergestellt wird, auf die Kinder, die Erwerbsbevölkerung und die Alten. Wenn eine Volkswirtschaft arm ist, ist es entsprechend schwierig, alle zu versorgen. Wenn die Volkwirtschaft eine reiche Volkswirtschaft ist, und Österreich ist eine reiche Volkswirtschaft, dann lautet die Frage: Wie verteile ich diesen Reichtum gerecht auf alle Bevölkerungsgruppen? Das Alterssicherungssystem ist der Mechanismus über die diese Verteilung erfolgt.
Es gibt nicht die ökonomische Aussage „Man sich das nicht leisten“, sondern es gibt eher die politische Aussage „Diese Form der Alterssicherung wollen wir uns leisten oder können wir uns leisten“. Die Hysterie ist zwar vorhanden, aber was dahintersteckt entbehrt ein wenig den Grundlagen. Da wird sehr viel hineininterpretiert und da wird sehr viel Panik gemacht, aus welchen Gründen auch immer. Die Versicherungswirtschaft hat sicher Interesse daran, an diesem Alterssicherungssystem mitzumischen. Aber ich bin da immer sehr kritisch, wenn man zu Panikmache unter dem Schlagwort "Generationenkonflikt, der Generationenvertrag muss aufgekündigt werden" neigt.
Mich interessieren jetzt aber trotzdem nochmal die Babyboomer: Irgendwann, in 20 Jahren ca., werden die dann im Pensionsalter sein, und auch dann gibt es dieses angebliche Kippen des Systems nicht?
Die Generation, die jetzt so um die vierzig ist, das sind die, die das Bildungssystem vor neue Herausforderungen gestellt haben. Es sind die, die jetzt maßgeblich am wirtschaftlichen Prozess beteiligt sind und es werden auch diejenigen sein, die dann das Pensionsversicherungssystem so ab 2028/2030 vor Herausforderungen stellen. Das ist aber ein absehbarer Prozess und insofern finde ich das wenig furchterregend. Wenn dann relativ sprunghaft innerhalb von zwei Jahren die Pensionszuerkennungen ansteigen, dann muss man sich realwirtschaftlich vor Augen halten, dass es nicht sein kann, oder dass es aus politischer Sicht nicht sein sollte, dass eine steigende Bevölkerungsgruppe immer weniger Güter und Dienstleistungen zur Verfügung hat.
Also wenn die Zahl der PensionistInnen ansteigt, dann wird auch mehr für sie aufgewendet werden müssen. Die Pensionsaufwendungen in Prozent des BIPs werden ansteigen - müssen würde ich fast sagen. Wenn man die konstant halten oder reduzieren will, dann muss man sich bewusst sein, dass das eine relative Verarmung der Pensionsgeneration gegenüber jetzt bedeutet. Und das ist aus politischer und aus wirtschaftlicher Sicht, mit mehr negativen als positiven Punkten verbunden.
Es gibt ja immer wieder diese Aussage, irgendwann kommt auf eine erwerbstätige Person ein Pensionist oder eine Pensionistin. Diese Aussage kommt aus diesem Konzept „Pensionsbelastungsquote“. Selbst wenn man nur die tatsächlich aktiven Erwerbstätigen heranzieht und den tatsächlichen Pensionszahlungen gegenüberstellt, stimmt die Aussage nicht. Selbst bei sehr pessimistischen Annahmen über die Arbeitsmarktentwicklung.
Also was ich da zusammenfassend heraushöre ist: dass der Generationenvertrag nicht haltbar ist, stimmt aus ökonomischer Sicht eigentlich nicht.
Nein, diese Panikmache kann ich nicht teilen, Aus meiner Sicht gibt es Probleme im System, die angegangen werden müssen. Das sind in erstere Linie große Probleme am Arbeitsmarkt. Die jungen Leute, die jetzt mit ihrer Ausbildung fertig werden, haben unglaublich schwierige Rahmenbedingungen. Das ist ein virulentes Problem, nicht nur für die einzelnen jungen Arbeitslosen, sondern für die Finanzierung der sozialen Sicherheit. Je weniger Menschen ich in Beschäftigung habe, desto fragiler wird die Finanzierung aller Sozialversicherungssysteme. Und das Pensionsversicherungssystem ist eines davon. Dass diese schwierigen Rahmenbedingungen in Zeiten der steigenden Arbeitslosigkeit besonders die Jungen treffen, das ist aus ökonomischer Sicht ein Hotspot, diese Arbeitsmarktprobleme muss man lösen.
Dass diese Generation, die jetzt Schwierigkeiten hat, neidvoll auf die blickt, die jetzt in Pension gehen, das kann ich verstehen. Es ist aber Vorsicht geboten, wenn man das gegeneinander ausspielt. Der Arbeitsmarkt ist ein Ganzes. Betrachtet man das ein bisschen globaler, dann sitzen wir alle im selben Boot. Das Auseinanderdividieren einzelner Gruppen kann ich teilweise verstehen, aber ich kann es schwer nachvollziehen. Und da ist die Politik, da sind auch die Medien immens gefordert, dass sie nicht in diese Kerbe hinein hacken und die Generationen gegeneinander ausspielen.
Am Donnerstag, den 12. November 2009, in FM4 Connected: Der Generationenvertrag
FM4 beschäftigt sich am Donnerstag, 12. November, in einem Themenschwerpunkt mit dem sogenannten "Generationenvertrag".
Schwerpunkt Generationenvertrag auf FM4
Pensionssystem und Demografie
Wird es in Österreich bald mehr PensionistInnen als Erwerbstätige geben? Wie ist die Bevölkerung derzeit zusammengesetzt und wie wird sie sich in Zukunft entwickeln? Ist der Generationenvertrag tatsächlich in wenigen Jahren nicht mehr haltbar? Irmi Wutscher hat bei Christine Mayrhuber vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) nachgefragt und erstaunliche Antworten erhalten.
Seniorenstudenten
Gerti Zupanich geht auf die 70 zu und ist ÖH-Beraterin für Seniorenstudierende. Als frischgebackene Magistra der Politikwissenschaft hält sie die aktuelle Debatte über die angeblich unverschämt hohen Pensionserhöhungsforderungen der österreichischen Pensionisten für ziemlich gefährlich: In dieser Debatte würden Jung gegen Alt ausgespielt. Ein Ort, an dem Jung und Alt täglich zusammentreffen, ist die Universität Wien. Es gibt dort immerhin 1000 sogenannte Seniorenstudierende. FM4-Reporterin Sarah Seekircher hat bei einem Lokalaugenschein das Verhältnis der konkurrierenden Generationen auf der Uni unter die Lupe genommen.
Zu hören in Connected (15-19)
JungpolitikerInnen zum Generationenvertrag
Die Jungen werden immer weniger, die Älteren immer mehr und vor allem älter. Fast jede/r dritte WählerIn ist über 60 Jahre alt und Kinder kriegen wir auch keine mehr. Wer bitte soll da in Zukunft unsere Pensionen zahlen? Und ist der Generationenvertrag einer Generation, die mit Arbeitslosigkeit, prekären Arbeitsverhältnissen und schlechter sozialer Absicherung zu kämpfen hat, überhaupt noch zuzumuten? Barbara Köppel fragt die österreichischen JungpolitikerInnen nach ihren Positionen.
Wolfgang Gründinger im Interview
Politologe Wolfgang Gründinger (25) ist Autor des Buches „Aufstand der Jungen: Wie wir den Krieg der Generationen vermeiden können“. Wie kommen wir dazu, dass uns die Alten eine zerrüttete Umwelt, Demokratie und Wirtschaft hinterlassen? Wo die Politik nur die nächste Legislaturperiode sieht, schaut Gründinger in die Zukunft. Zum Generationenvertrag gehört für ihn daher nicht nur die Sicherung der Pensionen, sondern auch die der Energieversorgung, des Arbeitsmarkts und der Bildungschancen. (Barbara Köppel)
Zu hören in der Hombase (19-22)