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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

11. 11. 2009 - 17:41

Journal '09: 11.11.

Enke, Deisler, Romy. Über Depression und ihr Niederschweigen, wegen der Abwesenheit einer entsprechenden Diskussions-Kultur.

Robert Enke war immer schon anders, selbst für einen Tormann, noch dazu einen deutschen Tormann: Kein Poser, kein Spinner, kein Eiferer, kein Lautsprecher, sondern einer, der durch seine Reflexionsfähigkeit auffiel. Sagen jetzt, nach seinem aufsehenderregenden und ganz Deutschland heftigst schockierendem Suizid, die, die ihn ein wenig kannten.

Ich denke, allein die Tatsache, dass das, die Fähigkeit des Denkens und seine öffentliche Äußerung, speziell hervorgehoben wird, sagt eine Menge. Über eine Gesellschaft, in der Nachdenken, kritische Betrachtung und Debatte immer noch die Ausnahme darstellen und von einer Mehrheits-Ideologie der Anhänger des lastenden Schweigens als abnormal empfunden und auch dementsprechend dargestellt wird. Michael Hanekes Das weiße Band zeigt, wo das herkommt. Und ja, in Österreich, dem diesbezüglich noch viel unaufgeklärteren Schnitzel-Fortsatz, im dem man sich jeglicher Aufarbeitung seit jeher noch mehr verschließt, ist alles noch zwei Ecken übler.

Am Montag, noch unter dem Eindruck der von Philip Lahm losgetretenen Debatte hat die Speerspitze des deutschen Sportjournalismus, Christoph Biermann, das in anderem Zusammenhang thematisiert: dass öffentliche, konstruktive Diskussionen unerwünscht sind, im Fußballbereich.

Das ist letztlich ja auch Florian Klenks Hauptthese für die österreichische Situation, die für den heimischen Fußball-Bereich natürlich nicht gilt, weil der nur eine Parodie dessen ist, was in Deutschland stattfindet.

Der mündige Profi und die offene Diskussion

Biermann bricht das auf das wunderbar nachvollziehbare Beispiel des sogenannten "mündigen Profis" runter - ein Bild, das genauso in der Wirtschaft oder im Kulturbereich seine Gültigkeit hat. Das allgemein gültige Bild, auch von den CEOs lippenbekenntnistechnisch eingefordert: "Berufsfußballer sollten sich eigenverantwortlich mit ihrem Beruf beschäftigen und nicht hinter soldatischen Befehlsstrukturen verstecken."

Die Praxis sieht anders aus. Biermann zitiert die dieser Forderung entgegenstehende Realität genüsslich.
Zitat: "Das alles hat damit zu tun, dass es im Fußball keine Diskussionskultur gibt, die diesen Namen verdient. Es wird zwar wahnsinnig viel schwadroniert, aber ein Austausch ernsthafter Argumente findet nur selten statt. Unbequeme Wahrheiten zu benennen löst sogar zumeist fast panikartige Reaktionen aus."

robert enke

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In diesem Umfeld lebte und arbeitete Robert Enke, geboren in Jena, fußballerisch großgeworden bei Gladbach, der früh, mit 21, ins Ausland gegangen war, also früh und fern der Heimat mit dem Druck des Geschäfts konfrontiert war, bei Barcelona und in Istanbul damit nicht zurechtkam. In dieser Phase der inneren Zerrüttung, der naheliegenden Versagensangst, nahm er erstmals ärztliche Hilfe in Anspruch. Diagnose: Depression. Enke entschied sich für Stillschweigen, weil er in einer Veröffentlichung seiner Krankheit das Ende seiner Karriere, seinem einzigen Lebenssinn, sah.

2004 kam Enke zurück nach Deutschland, ging zum familiären Verein Hannover 96, wo er bis zuletzt spielte, und die ambulante Behandlung schnell abschließen konnte.

enke bei den fans

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2006 starb seine kleine Tochter, die mit einem Herzfehler geboren wurde, 2007 hatte sich der Tormann so weit erholt, dass er erstmals in Nationalteam spielte (in den Kader berufen war er davor immer wieder worden). Die Euro 08 erlebte er als Nummer 2 auf der Bank, nach Jens Lehmanns Abgang war er die gefühlte Nummer 1. Gefühlt deshalb, weil es immer wieder Verletzungen und Krankheiten gab, die ihn zurückwarfen, weil Jüngere (Neuer, Adler) nachdrängten.
Zuletzt gab es wieder eine rätselhafte Viruserkrankung, die Enke zu diesem Warum Jetzt? Warum Ich?-Interview veranlasste. Ziemlich zeitgleich begab er sich wieder in Behandlung. Und brach sie ab, erzählte allen, dass er nach der Pause für die anstehenden Länderspiele, für die er nicht nominiert war (ich nehme an: in Absprache) stark wiederkommen würde und plante seinen Abgang. Den er dann Dienstag am frühen Abend vollzog.

Diagnose Depression

Enke sah keine Verbesserung seiner Lebenslage und auch keinen Ausweg. Ihm war klar, dass der Leistungsdruck sich im nächsten Jahr verstärken würde: Die anstehende WM in Südafrika ließ ein gnadenloses Qualifikations-Match um die Nummer 1 im deutschen Tor erwarten. Enke wusste, dass die brutalen Kasperle-Theater, die Klinsmann/Löw 2006 und 2008 mit Kahn, Lehmann, Hildebrand veranstaltet hatten, nun auch ihm und seinen Konkurrenten drohen würden.

deislers buch

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In einer vergleichbaren Situation hatte sich vor zweieinhalb Jahren der ebenfalls unter Depressionen leidende deutsche Kicker Sebastian Deisler für einen Rückzug entschieden, die Notbremse gezogen. Auch Deisler hatte massive Versagensängste, auch Deisler war verletzungsanfällig. Im Übrigen galt Deisler gemeinsam mit Enke als Nachwuchs-Hoffnungsträger.

Enke hatte die vergleichsweise wesentlich härteren Schicksalsschläge (der Tod des Kindes, das Scheitern in Barcelona, die Beschimpfung von Istanbul) zu ertragen, entschloss sich aber im Gegensatz zum alten Weggefährten zu Stillschweigen.

Das überrascht, wenn man sich an die Ruhe und Kraft erinnert, mit der Enke alles, auch in aller Öffentlichkeit, anging: analytisch, reflektiv. Die Angst davor, sich einer Debatte zu stellen, die vor ihm schon ein Freund angestoßen hatte, für die also schon ein gewisser Boden bereitet wurde, ist also objektiv nicht nachvollziehbar.

Schreckensjahr 2010

Nachdem also weder das Sich-Stellen im Schreckensjahr 2010 noch der Rückzug aus dem Fußball noch das offene Ansprechen der Krankheit für Enke in Frage kamen, zog er die für sich einzig mögliche Konsequenz.
Dass ein hochintelligenter Kenner so wenig an die "öffentliche, konstruktive Diskussion" glaubt, so rein gar kein Vertrauen in einen Bereich hat, der den "mündigen Spieler" fordert, zeigt, wie viel da noch im Argen liegt. Denn gefühlsmäßig und kalkulativ wird Enke wohl recht gut gewusst haben, was ihm da optional bevorsteht.

Apropos Depression und Auswegslosigkeit: Heute Abend großer Romy Schneider-Schwerpunkt in ORF und ARD.

romy schneider

opelvillen

Dass die öffentliche Aufmerksamkeit auf Volkskrankheiten wie Depression nur durch Schocks wie diese oder die mysteriöse Orange-Selbstmord-Reihe in Frankreich gelenkt wird und dann recht schnell wieder aus der öffentlichen Debatte verschwindet, ist der menschlichen Grundeinstellung der Verdrängung und natürlich einer schwach entwickelten Debatten-Kultur, was die Anforderungen der Leistungsgesellschaft betrifft, geschuldet.

Die Angst sich damit näher zu beschäftigen zieht im übrigen noch eine weitere Semi-Tabuisierung nach sich: Da werden dann gern in einem Aufwaschen Sensibilität und Empathie, Reflexionsfähigkeit und der Wille nachzudenken und die Resultate auch zu diskutieren in die Depressions-Ecke gedrängt; da wird das bleierne Nichtstun dann gern als tapfer, tugendhaft, in machoiden und hyperkatholischen Gesellschaften dann sogar als "männlich" hingestellt, weil sie Schutzschild-Funktion haben.

Die vielen stillen Suizide, die vielen ungehörten Abschiede von Sprachlosen und Angsterfüllten, die sich "tapfer" in den gesellschaftlichen Konsens des Kuschens gefügt haben, werden dabei gleich mitsubsummiert.

fan-trauer

kicker

Deshalb ist das, was heute, am Tag danach, Teresa Enke, die Ehefrau des toten Tormanns getan hat, umso wichtiger: alle Karten auf den Tisch legen, den auskunftgebenden Arzt mit am Podium, die Optionen der Verzweiflung erklären, das Nicht-Nachvollziehbare nachvollziehbarer machen, keine Mystifikation, alles offenlegen. Denn die depperte Unter-den-Teppich-Schieberei der Niederschweiger, der Gegner der Mündigkeit, der Verhinderer der offenen Ansprache ist der Feind, dem Robert Enke unterlegen ist, der Feind, der in künftigen Matches besiegt werden muss.