Erstellt am: 12. 11. 2009 - 06:00 Uhr
Schuld und Stakkato
Das Land seiner Kindheit verlässt niemand ohne Not.
So lautet der erste Satz von Elfriede Czurdas jüngster Essaysammlung "Untrüglicher Ortssinn", erschienen diesen Herbst im Berliner Verbrecher Verlag. In diesem ersten Text umkreist Czurda, die 1980 nach Berlin gezogen ist und seit zwei Jahren wieder in Wien lebt, die Not, die sie mit dem Land ihrer Kindheit hat. Österreich muss sie gar nicht sagen. Nur die Samstagssirene erwähnen, von uns sprechen, die wir hier wir sind, kurz die Wettereskapaden streifen. Ganz klar: die Not besteht darin, dass alles so ist, wie es ist. Ohne Widerspruch.
verbrecher verlag berlin
Die Texte von Elfriede Czurda werden als sperrig, als kompliziert, als experimentell bezeichnet. Ihnen wird stillheimlich unterstellt, sie würden sich nur sprachlich gewandten LeserInnen erschließen. Und auch jene müssten sich diese Texte erarbeiten.
Letztlich erreichen diese Kritiken damit nur, dass sich Czurda-LeserInnen etwas auf ihre Lektüre einbilden und der ganze große Rest zu Elfriede J. statt zu Elfriede C. greift. Ist ja irgendwie die gleiche Generation und beide gelten als kritisch.
Czurdas Sprache folgt keinem konventionellen Erzählduktus, die Autorin hält sich auch nicht immer an die Regeln von Interpunktion und Grammatik, dafür eisern an einem der Geschichte selbst entspringenden Rhythmus. Der Text über das Land der Kindheit ist eher Andante, im Stakkato fegt dafür eines ihrer bekanntesten Werke "Kerner. Ein Abenteuerroman" dahin. Spielerisch hat sie selbst diese Art zu schreiben in einem Interview einmal genannt.
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Czurda in Paris
Elfriede Czurda ist 1975 von der Grazer Autorenversammlung aufgenommen worden, ein Jahr lang war sie Generalsekretärin des von Ernst Jandl mitgegründeten SchriftstellerInnenverbandes. Heute nennt sich die Grazer Autorenversammlung AutorInnenversammlung und hat ihren Hauptsitz nach Wien verlegt.
In den 1960er und 70er Jahren war Graz das literarische Zentrum Österreichs. Hier hat sich die Avantgarde gebildet, die sich – grob formuliert – als Gegenpol zum rechten Österreich verstanden und gegen das versteckte und offene Nazitum aufgelehnt hat. Eine breite Diskussion in der österreichischen Öffentlichkeit über vergangene, gegenwärtige und anhaltende faschistoide Tendenzen hat erst in den 1980er Jahren richtig begonnen und mit der Kandidatur Kurt Waldheims zum Bundespräsidenten eine internationale Dimension erreicht. Damals hat Elfriede Czurda in Paris an ihrem Inzest-Roman "Kerner" geschrieben, hat in den französischen Zeitungen über Waldheim gelesen und sich nach eigenen Aussagen für all jene, die sich in Österreich für Waldheim stark gemacht haben, geschämt.
Ein Abenteuerroman
Mit "Kerner." – Untertitel: "ein Abenteuerroman" hat Czurda das Tabuthema Inzest aufgegriffen. Sie schreibt – Tabu im Tabu – aus der Sicht des Täters.
Der Roman ist die Geschichte einer Verdrängung. Er ist in kurzen, abgehackten Sätzen geschrieben. Liest man ihn laut, klingt er so, als würde jemand, der einen geringen Wortschatz hat und daher permanent auf Floskeln zurückgreifen muss (die er aufgrund des eigenen sprachlichen Handicaps mitunter falschverwendet) eine Geschichte erzählen, die er eigentlich nicht erzählen will.
edition korrespondenzen
Kerner ist ein Alpenmensch, er liebt das Bergsteigen – ein Bezwinger wie es im Text heißt, seine Frau nennt er die "gute, dürre Anna". Als seine elfjährige Tochter von ihm schwanger wird, begibt er sich in die Berge. Durch ihre überhöhte, ins Groteske gesteigerte Figurenzeichnung bildet Czurda eine österreichische Wirklichkeit ab, die – nicht zuletzt wegen des Falls "Fritzl" – unangenehm brisant ist. Vielleicht hat die Edition Korrespondenzen den Roman aus diesem Grund wieder aufgelegt.
Diese Neuauflage ist um den Essay "Eine politische Affäre" erweitert - die Anklage eines Mädchen gegen die scheinbar unbeteiligte Dritte, die Mutter. Ohne dass sie dezidiert angesprochen wird, denkt man an die Figur der "guten, dürren Anna", einer devoten Frau, die jeden Sonntag in die Kirche geht und ihrer Tochter zu Hause fast wortlos die Schuld predigt.
Der Essay "Eine politische Affäre" ist auch Teil der Sammlung "Untrüglicher Ortssinn", aus dem die Autorin am Donnerstag, den 12.11. um 19 Uhr in Wien in der Alten Schmiede liest.