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Elisabeth Gollackner

Subjektivitäten, Identitäten und andere feine Unterschiede.

12. 11. 2009 - 16:52

Oh! Das Ende der Eitelkeit

Sind wir nicht alle Verbrecher?

Oh! - Irritationen im Alltag

"Geradeaus!" schreit der Elektrofachhändler.
Der Herr vor ihm am Drehstuhl zuckt verschreckt zusammen und zieht den Kopf ein.
"Nicht nach links! Geradeaus schauen!" sagt jetzt auch der Verkäufer mit dem Namensschild Customer Service. Die ganze Elektroabteilung hat sich um den Kunden versammelt und gibt Anweisungen. Zu viele Köche, eindeutig. Und der Brei? Der nennt sich "EU-genormtes Passfoto".

Comicstil; jemand denkt an ein 4-fach Passfoto.

elisabeth gollackner, fm4

Glaubt man dem Plakat vor der Tür, das ("Express!") vier Bilder in vier Minuten verspricht, findet man sich innerhalb weniger Augenblicke im Fadenkreuz der biometrischen Normierungs-Vorhölle wieder.
"Kopf etwas höher", schreit jetzt die Kassiererin. Doch dem armen Kerl am Drehstuhl liegt die visuelle Last der kommenden zehn Jahre auf den Schultern, der Definitionsmoment, der bei jedem kommenden Grenzübertritt mit Passkontrolle zur allgemeinen Belustigung beitragen wird.
Er kriegt es einfach nicht hin.

"Wie schwierig kann es denn bitte sein, den Kopf gerade zu halten!" zischelt es aus der Unterabteilung Armbanduhren und Wecker.
Das ist zuviel der Demütigung. Deshalb kramt er irgendwo aus seinem Kopf, vermutlich aus den verstaubten Körperwissen-Kisten mit der Aufschrift Miami Vice und Magnum, sein Fotogesicht hervor:
Verwegenes Lächeln, den Kopf leicht zur Seite geneigt, ein Auge zwinkernd geschlossen, die Augenbraue des anderen keck nach oben gezogen. Ja, den Wimpernschlag eines Tigers lang flirtet er tatsächlich mit der Kamera! Nur, um sofort wieder eines Besseren belehrt zu werden: "Nicht lächeln, bitte. Und gerade hinsetzen."

Er gibt auf.
Ausdrucksloses schlaffes Gesicht, traurige Augen, Klick, Blitz, und ein müdes "Passt schon", als ihm das Bild alibihalber am Display gezeigt wird. Die Norm hat gewonnen. Als er den Laden verlässt, sieht er so aus, als wüsste er jetzt schon, dass nach dem nächsten größeren Betriebsausflug irgendjemand dieses Foto kopieren und mit einem dummen Spruch in der Teeküche aufhängen wird. Gleich neben den kopierten Arschbacken.

Ich bin die nächste.
Es ist an der Zeit, den Schal, die Jacke und die eigene Eitelkeit am (zur Garderobe umfunktionierten) Feuerlöscher abzulegen und sich zu setzen.