Erstellt am: 9. 11. 2009 - 18:15 Uhr
Journal '09: 9.11.
Siehe dazu auch die Blogs von Verena Ringler -Audimax ist ein Prototyp für Österreich. und von Florian Klenk - Den Audimaxismus braucht das Land.
Seit klar wurde, dass den aktuellen Studenten-Protest mehr als das sonst übliche leise Lüftchen durchweht, stellt sich/man mir die Frage, ob dieser Aufschrei denn das, was anhand der heuer sehr stark auftretenden Indizien und mehr als deutlichen Symptome als Tipping Point zu einer unumkehrbare Entwicklung hin zu einer Post-Demokratie zu erkennen war, aufhalten kann.
In anderen Bereichen, wie etwa der schnellen Umsetzung der neuen Kommunikations-Tools oder dem postideologischen Pragmatismus, mit denen die Audimaxisten das jeweilige, noch allzu stark im letzten Jahrtausend verhaftete Establishment in ihren Grundfesten schockte, ist die Antwort leicht: Ja. Da hat sich Entscheidendes bewegt.
Wer jetzt noch über digitale Medien und Social Networks witzelt, wird von der Mehrheitsgesellschaft bereits schief angeschaut. Wer die junge Generation jetzt noch nach alt-ideologischen Maßstäben misst, erntet nur mehr Kopfschütteln.
Denn in diesen, ein wenig überschaubaren Bereichen hat sich was gedreht, ist was gekippt.
Ob der Studentenprotest aber als Pars pro toto herrangezogen werden können, was gesamtgesellschaftliche Entwicklungen des Landes betrifft: ich weiß nicht. Ich bin da alles andere als überzeugt oder gar sicher.
Das Cockpit des Gesellschafts-Dialogs
Aktuell haben sich aber durchaus besonnenere Menschen als ich es etwa bin zu dieser Erkenntnis durchgerungen. Das ist gut, weil sie mich dazu zwingen, das schon einmal Überlegte noch einmal durchzudenken und meinen bisherigen Erkenntnisstand durchzuargumentieren.
Die sonst Besonnenen sind Florian Klenk, Falter-Politik-Chef oder auch die Politologin Verena Ringler, die - wie der Zufall so spielt - direkt vor mir eine Gastrede im besetzten Audimax gehalten hat.
Beide fassen ihre Gedanken in einer sehr grundsätzlichen Analyse zusammen. Zuerst zu Ringler, auch weil sich Klenk später auf sie bezieht.
Verena Ringler schreibt im hier bereits vielfach verlinkten und erwähnten Blog-Magazin ZiB21.com unter dem Titel Audimax ist ein Prototyp für Österreich davon, dass der Protest mittlerweile ein "Cockpit des Gesellschafts-Dialogs in Österreich" geworden sei. Und davon, wie erstaunlich es wäre, dass weder Politik (von der es allerdings auch niemand erwartet hat, auch weil dort die primitivsten Management-Routinen nicht mehr funktionieren) noch vor allem die Opnion Leader der Wirtschaft von der Struktur des Protests lernen wollen.
Zitat Ringler: "Diese Bewegung ist einerseits ein selbstverwaltetes 24/7 Organisationswunder an diversen Unis, ... andererseits ... längst die gesellschaftliche Rückkopplung auf ein unzureichend modernisiertes politisches System im geografischen Herzen der EU."
Details dazu in der Lang-Variante des Vortrags von Verena Ringler.
Warum sie das so optimistisch mache? Drei Gründe sagt Ringler: "Audimax, dieses sozio-politische Experiment im Saal, ist prozesshaft wie die Europäische Union, hochqualifiziert wie ein Center of Excellence und partizipativ wie 2.0. ... Audimax ist ein Center of Excellence. ... Audimax, dieses über Nacht entstandene Cockpit des Gesellschafts-Dialogs in Österreich ist damit weit mehr als ein Protest. Die Bewegung für Bildung hat das Zeug, zum Prototypen für Österreich zu werden; nein, zum Prototypen für Österreich 2.0."
Österreich 2.0
Dem ist nicht zu widersprechen.
Es sei nur festgestellt, dass dieses Modell eben ein studentisches, ein bessergebildetes ist, das (bei drastisch auseinandergehender Bildungsschere) nicht für andere gesellschaftliche Bereiche gilt.
Die von Ringler und später auch von Klenk erkannte Miteinbeziehung von migrantischen Gruppen sehe ich nicht. Die zweite Generation ist in ihrer Marginalisierung verharrt.
Wie es im gestrigen Im Zentrum ausgerechnet die Personalentwicklerin Gundi Wentner ansprechen musste, werden da die Weichen der Selektion viel früher, nämlich bereits mit 10 Jahren gestellt.
Die Bindestrich-Österreicher bleiben im aktuellen Protest unsichtbar, weil sie nicht Teil der Bewegung sind.
Das hat vor allem mit ihrer Sprachlosigkeit zu tun.
Das sensationelle und wirklich überraschende an der Sprache der #unibrennt-Bewegung ist die Ruhe, Gelassenheit und Eloquenz, die in ihrer analytischen Unaufgeregtheit das peinlich berührten Gestammel der Verantwortlichen umso drastischer ausleuchtet.
Hatte es die Politik, auch die Uni-Politik, früher mit ideologisch-erregten Aktivisten und brav-gedrillten ÖH-Parteisoldaten leicht, so stinkt man aktuell mit Minister-Sätzen wie "Wir haben den Studenten ein Geld gegeben." brutal ab, wenn die unprovozierbaren Gegenüber mit postideologischer Gleichmut wohlfeile humanistische Grundsätze deklamieren.
Das war vor zwei Jahren beim Prototypus Barbara Blaha (ihrer Zeit voraus...) spürbar, ist jetzt flächendeckend der Fall.
Audimaxismus für ganz Österreich
Wie ich gehört habe, ist Klenks Analyse auch im aktuellen Falter 45/09 nachzulesen.
Florian Klenk greift das in seinem Blog unter dem Titel Den Audimaxismus braucht das Land und führt den Ringler'schen Gedanken vom neuen Gesellschafts-Dialog weiter - in Richtung Generationen-Vertrag.
Klenk meint, dass es im Protest nur vordergründig um bessere Bedingungen im Uni-Betrieb und Bologna, um Geldnot und Schikanen (=Gebühren und Beschränkungen) gehe: "Hinter der Klage über Geldnot und Schikanen steht auch die Enttäuschung über das Ausbleiben von Visionen für dieses Land, dessen Grenzen nach Osten vor genau 20 Jahren fielen und das sich in einer globalen Welt nur durch mehr Bildung behaupten kann. Die Studenten spüren, dass die großen Versprechen der Leistungsgesellschaft nicht eingehalten werden."
Weil nämlich nicht Bildung und Susbildungsstatus, sondern immer noch Herkunft und die Zugehörigkeit zur richtigen Partie mehr zählen würden - normalerweise (das sagt jetzt nicht Klenk, sondern ich, ihn interpretierend) ein sicheres Indiz für eine Bananenrepublik auf dem Weg in den Ruin.
Eine handlungstechnisch gelähmte Polit-Elite, sagt Klenk "trägt zwar große Worte im Mund: Sicherheit, Leistung, Gerechtigkeit, Europa. Doch wenn es um die Umsetzung dieser Ideale geht, regieren Inkompetenz und Intrige. Nicht nur die Bestellung für die EU-Institutionen, auch die großen Debatten der letzten Monate haben das vor Augen geführt. Banken, Bildung, ORF, Justiz, Migration, Sicherheit: Über keinen Bereich wird in diesem Land noch vernünftig verhandelt."
Der andere Protest, der diffuse...
Der Unmut gegen diese Erstarrung, diesen Un-Diskurs, diese politische Unkultur hat sich bislang in einem ganz anderem protest kanalisiert: den Protest-Stimmen für den politischen Populismus, der in Österreich ausschließlich rechts stattfindet, und dort auf Xenophobie, Sündenbocksuche und Anti-Intellektualismus zurückgreift.
Dass sich nun hier (sage wieder ich, Klenk als Ausgangspunkt nehmend) auch von der anderen Seite, der Intellektuellen gezielter Protest regt, ist die eigentliche Überraschung.
Denn damit war bislang nicht zu rechnen: die heimischen Essayisten und Autoren sind zu sehr in internen kleingeistigen Grabenkämpfen verhaftet um eine breite Diskussion loszutreten, die Holzmedien haben ziemlich versagt und der ORF ist diesbezüglich, als Teil der Debatte in einer verdammt schwierigen Position.
Aus dieser Überraschung nun, dass die bislang als Protest-Lulus abgestempelten Studenten das leisten, was die Intelligenzia des Landes nicht zusammengebracht hat, leiten Ringler oder Klenk ihre Generalisierung ab.
Klenk auch unter Einbeziehung der anderen gesellschaftlichen Teile: "Die Studenten thematisieren aber nicht nur Ausbildung und Auswahl der Eliten, sondern auch das drohende Schicksal der Unterschicht. Anstatt deren Ausbildung zu reformieren, reibt sich ein pragmatisierter Lehrer-Gewerkschaftsblock die Hände.
Genau da aber ist die Sollbruchstelle.
Gefühlt mag der Studentenprotest auch Ümit aus Wien 17, Branko aus Leoben oder Cem aus Telfs gefallen - weil dort die Mächtigen blöd ausschauen. Wenn es aber schon die sogenannten Qualitäts-Medien nicht schaffen aus den Protesten eine Gesamt-Bildungs-Debatte zu machen und das zentrale Thema des Ganzen, nämlich Zugang zu Bildung zu schaffen, auf die Agenda zu setzen, dann droht die Debatte zu einer Special-Interest-Angelegenheit zu verkommen. Die dann wiederum nur (zurecht) einen Teil der Menschen interessiert. Was dann wiederum niemals zu einer Debatte über einen neuen gesellschaftsvertrag im Sinn Verena Ringlers (Stichwort: Cockpit für Österreich) oder im Sinn Florian Klenks (Stichwort: Visionslosigkeit, ungehaltene Versprechen der Leistungsgesellschaft) führen kann. Das und eine daraus folgende sehr sehr breite Debatte ist wiederum die wohl einzige Möglichkeit das mehr als nur drohende Kippen in einen postdemokratischen, autoritären Secuity-Staat zu verhindern.
Und daran mag ich, allen grandiosen Ansätzen zu Trotz, eben nicht wirklich glauben.
Weil diese hier schon am Horizont heraufdräunden Debatte über sowas wie einen neuen Gesellschafts-Vertrag jetzt zwar ein (unerwartetes) Startfenster bekommen hat, auch weil die medialen Tools, mit deren Hilfe sie stattfinden könnte, den Praxistest bestanden hätten - aber der entscheidende Part noch nicht gecastet ist.
Elitenversagen, Casting-Versagen
Dass in einem solchen Umfeld eine Regierungspartei ein derart unsensibles Signal in die falsche Richtung geben kann wie das hier hätte ich vor ein paar Tagen noch für nicht möglich gehalten.
Florian Klenk spricht das eh in seinem Schlusssatz an: Die Generation Erasmus spürt, dass das Elitenversagen Auswirkungen auf ihr eigenes Fortkommen und das des Landes hat. Medien und Parteien müssen die Aufbruchsstimmung erkennen und die wichtigsten Akteure dieser Bewegung in politische Institutionen locken."
Ich habe meiner Hoffnung darüber bereits Ausdruck verliehen (um mir da auch Kritik einzuhandeln.) - aber verlassen darauf würde ich mich nicht.
Denn: in der unterirdisch schwachen Form, in der sich die für diese Matches zuständigen Player seit Monaten übers Spielfeld schleppen wird das nicht passieren. Egal ob im Medien- oder im Polit-Bereich.
Deswegen ist es möglich, dass wir im Oktober/November dieses Jahres durch den hochdiskursiven Input der studentischen Protest-Bewegung die Rettung der österreichischen Demokratie erlebt haben. Es ist aber zumindest genauso möglich, dass die, die diesen Traumpass aufnehmen und im Tor unterbringen müssen, versagen und diesen Sitzer verschludern.
Österreich kippt also weiter, auch wenn es gerade soviel Hoffnung gab wie schon seit vielen Jahren nicht mehr.