Erstellt am: 7. 11. 2009 - 20:27 Uhr
Journal '09: 7.11.
Das ist der ungefähre Wortlaut dessen, was ich dort im Auditorium erzählt habe. Unterschiedlichkeiten zu dem, was im Stream zu hören ist, sind Improvisation geschuldet. Auch der Q&A-Part ist logischerweise nur dort zu sehen. Danke an Alexandra Ganser für die einleitenden Worte!
Hallo, mein Name ist Martin Blumenau und ich bin ein Studienabbrecher. Ein Drop-Out.
Das Schlimmste also, was einer Ausbildungsstätte wie der Universität passieren kann, Ungemach für die Statistik, verschwendetes Leergut. Anhand der Dropout-Zahlen bemisst man einiges, im universitären Kontext; und es ist nie gut.
Ich bin vielleicht sogar der schlimmstmögliche Dropout-/Abbrecher-Bösewicht, weil ich diese Untat nämlich auch noch mit Vorsatz begangen habe.
Bin ich ein Feind des Systems?
Ich seh das, logisch, komplett anders.
Ich sehe die Universität nicht als Ausbildungs-Ort, als Vorhölle der Produktionsstätten, als Erfüllungsgehilfe der Wirtschaft, sondern als Bildungsstätte, die allen, jeder und jedem mit der entsprechenden Vorqualifikation offenstehen muss.
Als ich mich im Mai 1978 parallel zur Matura hier umgesehen habe, um herauszufinden, was und ob ich studieren soll, war schnell klar, dass das Angebot, das meinem Berufswunsch entsprach, alles mögliche, aber sicher keine Ausbildung darstellt.
Im Gegenteil: das Publizistik&Kommunikationswissenschafts-Institut hat in allen einführenden Gesprächen und auch in den Anfangs-Vorlesungen deutlich drauf hingewiesen, dass man Journalismus nicht bei ihnen, sondern in der Praxis lernen muss. Dass die wissenschaftliche, die historische Abteilung, und die halbwegs weltlich orientierten Vorlesungen zur Praxis der Publizistik maximal Unterstützer sein könnten.
Das tut man, höre ich, bis heute. Man kann heute auf die Fachhochschulausbildungen im Gebiet des Journalismus verweisen - eine richtige Ausbildung, wie sie in Deutschland seit Jahrzehnten üblich und selbstverständlich ist, kann aber auch dieser Kurs nicht ersetzen. Aber die FH orientiert sich stark an der Praxis und bildet vergleichsweise marktorientierter aus.
Das Publizistik-Studium bildet.
Aber nicht aus.
Mir war diese Klarstellung sehr recht.
Ich habe mir aus dieser doch arg defensiven Einstellung des Systems das selbstverständliche Recht abgeleitet, wenigstens die Bildung abzubekommen, wenn schon keine Ausbildung drin war.
Und mir war klar, dass die mehr als enden wollende Finanzkraft meiner Eltern, die wiederum direkt dazu führte, dass ich vom ersten Tag an nebenbei die diversesten klassischen Studentenjobs erledigen musste, um mich selber zu erhalten, mir sicher nicht die nötigen 4 oder 5 Jahre zum (damals möglichen) Doktortitel Zeit geben würde.
Weshalb ich für mich nach drei Semestern mit dem Studium fertig war. Die Devise: alles, was interessant und machbar ist, aufsaugen. Und auch die trockenen Kekse (Statistik, Medienrecht etc.) runterwürgen.
Es ist meinem damaligen Zweitfach, der Politologie, zu verdanken, dass ich länger inskribiert war: dort lauerten viele schmackhafte Angebote, die meinen Aufenthalt auf Hauptuni und im NIG noch um einige Zeit verlängerten.
Die Uni, meine Bildungseinrichtung.
Das war natürlich nur möglich, weil der Zugang frei war, die Bibliotheken noch halbwegs gut bestückt und auch weil die damalige Struktur den damaligen Hörerzahlen noch halbwegs entsprochen haben.
Es war auch schon im Herbst 1978 von überfüllten Hörsälen die Rede, keine Frage. Aber: der Begriff "überfüllt" hat - im universitären Kontext - einen ziemlichen Begriffswandel hinter sich. Damals saß man schon einmal auf den Stufen der Hauptvorlesung, wenn man 5 Minuten zu spät kam. Im Vergleich zu heutigen Elends-Szenarien sind das allerdings allemal Luxus-Zustände.
Was das alles mit dem Hier und Heute zu tun hat?
Ich hab kürzlich irgendwo, in einem sich als seriös gebenden Medium, eine Beschwerde drüber gelesen, dass die Forderungen der Studenten nicht nur diffus wären, sondern sich auch täglich ändern würden.
Das ist mir entgangen.
Mir sind von Anbeginn an ganz klare Sätze aufgefallen, die meiner Meinung nach die Anliegen sonnenklar auf den Punkt bringen, so klar, dass es einen Tiefseetaucher-Helm auf dem Kopf oder einen riesenhaften Balken im Auge braucht, um sie zu übersehen.
Der Satz, der mich gepackt hat, war - man kann es bereits erahnen: Bildung statt Ausbildung.
Ein einfach zu begreifender, im Protest 2.0-Zusammenhang oft erwähnter Satz, der für einige aber immer noch zu komplex zu sein scheint.
Tageszeitung, die: Medium, das von knapp 30% der 20-29jährigen als wichtiger Info-Geber eingeschätzt wird. Die Web-Medien, sagt diese Quelle in der FAZ, kommen auf 50%.
Apropos 30%. Das ist, sagt Politologe Fritz Plasser, die Anzahl der österreichischen Politiker, die die Kronen-Zeitung als ihr Leitmedium betrachten. Was im übrigen nur 7% der Journalisten so sehen. Interessante Schieflage, oder?
In der Kurier-Zeitung vom Tag (Cover-Schlagzeile: "Wie stark sind die Studenten?") schreibt auf Seite 2 Gert Korentschnig in einem Kommentar unter dem Titel "Wo bleibt die Ideologie?", nachdem er Begriffe wie "Sympathie", "Ausbildungsbedingungen" droppt und dann auf die politisch motivierten 68er zurückgreift, folgenden Schlusssatz: "Heute hat man das Gefühl, dass es weniger um gesellschaftliche Anliegen, als um die eigene Karriere geht. Ein sehr egozentrischer, ja geradezu kapitalistischer Zugang. Aber sehr symptomatisch für unsere Zeit."
Ich finde das interessant.
Korentschnig ist nicht nur das anti-karrieristische Motiv des Wunsches nach der Möglichkeit von Bildung statt Ausbildung entgangen (aber man kann ja nicht verlangen, dass sich jemand, der eine Sache zu bewerten gedenkt, auch mit den Forderungen derer, die er da evaluiert, auseinandersetzt - das ist für österreichische Journalisten, Menschen ohne echte Ausbildung, deutlich zuviel verlangt) - er beschwert sich auch darüber, dass hier eine neue Generation so ist, wie man sie von Seiten der Industrie, also auch der Besitzer des Kurier, ja haben wollte: karriere-orientiert, kapitalismus-unkritisch. Man hat diese Generation, unter der Androhung von Liebesentzug und der Verweigerung von Arbeitsplätzen unter gleichzeitiger Züchtigung via Superpraktikantentum, genau in diese Realität hineingedrängt.
Verwunderung darüber ist also pure Verhöhnung.
Wäre der aktuelle Protest ein rein ideologischer im alten, politisch punzierten Sinn, wäre es ein "linker" Protest der alten K-Gruppen-Schule, dann würden sich die Korentschnigs, die jetzt genau diese ideologische Abwesenheit beklagen, genau darüber das Maul zerreißen.
Einzelne noch drüberfahrerischere Skandalisierungs-Medien der Mainstream-Nomenklatura probieren das, vorbei an jeglicher Realität, ja auch, kommen damit aber nicht einmal bei ihrem Stammtisch-Publikum durch.
Weil aber genau das, trotz einiger, getrost als jammervoll gescheitert zu betrachtender Versuche der zurecht marginalisierten K-Gruppen(man erinnere sich an die jämmerliche Versuche, für die letzte NR-Wahl zu einer Plattform zu finden), die Kontrolle zu erlangen, eben nicht passiert ist, watscht man die Audimaxisten dann als konforme Ego-Fucker ab - also als das, wozu man sie seit Jahren hingedrillt hat.
Das ist eine perfide Doppelstrategie,
die allerdings nur solange funktioniert, solange die alten Medien ein Monopol über Meinungsmache hatten. Es geht mir im übrigen nicht darum, das an einer konkreten Person wie Korentschnig oder Rainer, oder an einer konzertierten Aktion wie der der "Presse" festzumachen - diese Strategie ist in den Medien des politischen Mainstreams Usus, weil sie der Denke der wirtschaftsmächtigen und politischen Kaste entspricht.
Dort hat man nämlich nichts aus den mittlerweile ja schon mehr als nur ein paar Stunden dauernden Protesten gelernt.
Hab ich erst später gefunden, das Mail von Walter Gröbchen mit diesem wunderbar passenden Link über die von der Rasanz der Studentenproteste 2.0 überforderte Politik.
Und, ganz neu: Volksbegehren in Planung.
Interessanterweise steht in nämlichem Kurier auch dieser Teil der Wahrheit. Auf Seite 31 schreibt die für Medien-Beobachtung zuständige Birgit Braunrath unter dem Titel "Ungewöhnlich uneitel" über die fehlgeschlagenen Versuche, die Audimaxbesetzer medial lächerlich zu machen. Und sie sagt auch, woran dieser Versuch scheitert: am besseren und klügeren Verständnis der Protestbewegung, was die Wirkung der neuen, der direkt funktionierenden Medien betrifft. Weil für das alte Establishment eben nur die Holzklasse (wir erinnern uns: 30%) Bedeutung hat, stellt das, was sich seit den Bestzungen an neuer Kommunikationsfähigkeit entwickelt hat, geradezu revolutionäres Potential dar, medien-revolutionierendes.
Sagt die Frau Braunrath: "die teilweise arrogant belächelte "Twitteria" hat Information und Kommunikation in eine neue Dimension gehoben."
Das sehe ich genauso.
Apropos Armin Thurnher: der ist plötzlich, nachdem er sich monatelang einer Debatte entzogen hat und selbst bereits zugesagte Veröffentlichungen von Repliken ohne Angabe von Gründen zurückgenommen hat, ganz gierig auf Dialog und spricht mich direkt an.
Leider nicht auf der Falter-Site, also mit fürs Publikum sinnvoller Querverlinkung, sondern wieder nur on paper, aber immerhin.
Aktuell beeinsprucht er den ihm zugeschriebenen Begriff der Diffamierung des Partiziaptionsansatzes des Webs. Nun, wenn jemand "das Internet" ablehnt, weil ihm die Rückkanäle zu anonym bespielt werden, dann halte ich diese Wortwahl für durchaus opportun. Er glaubt auch, gelesen zu haben, dass ich seinen grandiosen Auftritt im Audimax als diesem Irrtum geschuldete Wiedergutmachung bezeichnet habe - in Wahrheit spreche ich (hier nachzulesen) von einem Treppenwitz. Thurnher macht sich in der Folge über den Ausspielweg (auch so ein Wort, das ihm zu modern erscheint) des Video-on-Demand lustig und mokiert sich über 1735 Zugriffe.
Nun, mittlerweile sind es bereits über 2000, die Zahlen des Live-Streams sind darin nicht enthalten, und schon allein das wäre für einen langen Vortrag wie diesen sehr beachtlich.
Nun kommt der Falter, wie man hier nachschlagen kann, auf eine offizielle durchschnittliche Leser-Zahl von 80.000.
Wenn davon 10% die Thurnherschen "Seinesgleichen Geschieht"-Leitartikel lesen, würde ich das schon für einen hohen Wert halten (auch weil die Reader-Scans, wie ich sie hier erwähne, zeigen, was eher und was eher nicht gelesen wird).
Da kommen die gesammelten Anwesenheits-, Live-Stream und On-Demand-Klick-Werte auch schon fast ran.
Das Problem dahinter ist folgendes: die Distinktions-Hochmut der Holzklassen-Kommentierer fußt nicht auf den tatsächlich Erreichten (von denen hat man ja, weil anonym und als potentielle Heckler punziert, eher Angst), sondern auf die Bedeutung innerhalb der eigenen Kaste. Stichwort Herrschaftswissen, Stichwort 30% der Politiker beten zur Krone. Motto: Wichtig ist, dass die Wichtigen das lesen, was man schreibt. Da das Denk-Modell der Web-Medien genau daran kratzt, die Schieflagen dieser Rezeptions-Diskrepanzen auszugleichen, wird ihnen von den Profiteuren des herrschaftsjournalistischen Denksystems solch abgrundtiefes Misstrauen entgegengebracht.
Unnötigerweise, wie ich meine. Weil sich auch in diesen Medien das Interessante über das Uninteressante erhebt. Man müsste nur die Furcht vorm Retour-Kanal ablegen...
Und darüber schreibe ich, seit Tagen und Wochen, hier, im Netz, also in einem Raum, vor dem auch die Armin Thurnhers dieses Landes so unglaublich viel Angst haben - woraus sich dann auch die von Braunrath angesprochene, so lächerlich daherkommende Arroganz speist. Angst vor dem Rückkanal, weil da Menschen zurückschreiben oder reden oder sonstwie agieren können, Angst vor Reaktion, Angst vor der scheinbaren Anonymität von Menschen, die man nicht kennt.
Ich bekomme für die, wie es Werner Lobo nannt, Hagiographie (ich wußte auch nicht, was das ist, ich bin nicht katholisch) der Ikonografie der Proteste Lob und Schelte. Weil ich die hier auftauchenden Aspekte womöglich überbewerten würde.
Mag sein.
Mir geht es aber nicht um eine Heiligsprechung dieser nicht neuen, aber hierzulande eben erstmals wirklich flächendeckend umgesetzten Praxis der neuen Medien, die ihre Wirksamkeit und Macht, ja Macht, demonstrieren kann, mir geht es um das Ausrufezeichen, das hinter der Praxis eurer Kommunikationsarbeit zu setzen ist.
Da können die Verdreher noch so viele falsche Bildausschnitte platzieren, da können noch so viele Zahlen gefälscht und Aktionen diffamiert werden - ihr könnt auf Knopfdruck einen direkten Einblick geben, den direkten Link zu allen Aktionen setzen. Und dieses sich-gläsern-machen schlägt alle ungustiösen Versuche der Desavouierung.
Und, weil ich mitbekommen habe, dass es Diskussionen gab, den Stream aus dem Audimax abzustellen, weil man sich eben allzu gläsern macht: tuts das bitte bloß nicht.
Genau das ist eure große Stärke.
Das, dieses kleine Beben in der Medien-Entwicklung dieses Landes, ist meine eigentliche Expertise.
Weil ich aber dazu nichts weiter beitragen kann, als eine Analyse dessen, was ihr eh schon wisst und maximal "Gut so! Weitermachen!" sagen kann, was ja nicht gerade abendfüllend wäre, wollte ich diese andere, mir inhaltlich wichtige Angelegenheit ansprechen, mein quasi exklusives Outing als Drop-Out, als bewusster Abbrecher.
Ich sehe in der Forderung Bildung statt Ausbildung genau das, was mir damals widerfahren ist: die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit, diese Anstalt mehr als nur als schlichtes Ausbildungswerk zu nutzen. Vor allem, wenn ein Studium eben kein direkter Weg in ein Berufsbild (Mediziner, Juristen, Techniker weghören - oder doch nicht, auch euch täten Exkurse gut; das merkt man in jeder Sekunde des praktischen Umgangs mit euch) ist.
Das Prinzip Humboldt sei tot, hat ein bald ehemaliger Wissenschaftsminister gesagt. Das ist der falsche Weg.
Der Kollege Robert Misik hat, um da noch einen draufzusetzen, in seinem letzten Videoblog sinngemäß gemeint, dass die vielen jungen Menschen, die sich in dieser Protest-Bewegung einbringen, mehr an politischer Bildung, an praxisorientierter und kollektiv geprägter Arbeit, an Spezialwissen in den einzelnen AGs mit auf den Weg bekommen haben, als die Vorgänger-Generationen im gesamten Studium. Wissen, das ihnen und damit auch uns, der gesamten Gesellschaft, später noch einmal gnadenlos zu Gute kommen wird.
Noch ein kleiner Exkurs in die Vergangenheit
Ich kann das an Hand eines Mikro-Beispiels aus meiner Uni-Zeit nachvollziehen. Wenn ich mich damals nicht mit meiner Institutsgruppe (einer linken, vergleichsweise gemäßigt agierenden) herumschlagen hätte müssen, mit ihrer Demagogie, ihrer argumentatorischen Klasse, dann hätte ich wahrscheinlich ein spielentscheidendes Duell viele Jahre später nicht überlebt.
Das war in einem Kampf mit einem aus einer der vielen linksrevolutionären Gruppe in den Karriere-Mainstream übergetretenen, mittlerweile zum Erz-Kapitalisten gewordenen Super-Demagogen, der als verbal und intellektuell unbezwingbar galt und vorgeschickt wurde, 1994, um ein bestimmtes Projekt zu verhindern. Meine Umgangserfahrung war stark genug, um effektiven Widerstand zu leisten und das Projekt (ein neues Radioprogramm) auf Schiene zu setzen.
Danke Bildungsstätte Universität, auch für diese Lektion an politischer Praxis.
Das Produzieren von Drop-Outs
ist also, so sehe ich das, nicht nur nichts Schlimmes oder Vermeidenswertes, sondern die Pflicht der Uni, die Pflicht des Staates, nämlich Bildungs-Angebote abseits von Ausbildungs-Lege-Batterien zur Verfügung zu stellen.
Alle Abbrecher gehen bereichert durch ihr weiteres Leben und werden ihr Wissen und Können umsetzen - letztlich kommt dann eine System-Freiheit dem gesamten System zu gute, ist eine Investition, die sich mit Leichtigkeit rechnet.
Dass ein banaler Satz wie "Bildung statt Ausbildung" jenseits von vorgestanzter Propaganda und nichtssagender politischer Ankündigung mit Sinnhaftigkeit unterfüttert wurde und jetzt für etwas steht, etwas einfordert und damit mehr bewirken kann, als es alle Protest-Generationen davor zustandebrachten, das ist euer Verdienst.
Danke dafür.