Erstellt am: 5. 11. 2009 - 16:33 Uhr
Vlog #14: Brand Down Your Brain!
Was bleibt mir anderes übrig, als zurück zu blicken? Jetzt, wo die Viennale 2009, gerade noch dampfend und in vollem Gange, wie ein erschlagener Koloss hinter mir liegt, versuche ich in meinem Kopf die Bilder, Eindrücke und Gefühle zu sortieren. Bei der abschließenden Pressekonferenz konnte Direktor Hans Hurch erneut einen soliden Besucherzuwachs vermelden. Ich lache in mich hinein. Aufgrund des Paradoxons, dass ein offensichtlich nicht nach dem Publikumsinteresse ausgerichtetes, sondern eigenständigen, teilweise seltsamen und fragwürdigen Qualitätsansprüchen folgendes Festival, wie ein aktiennotiertes Unternehmen seinen Bilanzgewinn präsentiert.
Hard Facts, das empfiehlt das Festival, sind für Ökonomen da, um den Steuerkurs eines Unternehmens zu korrigieren. Aktuell leiden viele Arbeitnehmer in Österreich unter diesem Fetisch für das Quantitative, das Bilanzierbare. Eine von Strategen festgelegte Kostenreduktion um xy % muss von der Theorie auf die Praxis umgelegt werden: soll heißen, wenn man das überschüssige Prozent verkörpert, wird man abgesägt. Das Papier hat gesprochen. Kann die Viennale nicht einfach mit einem Gefühl abschließen? „Wir hatten ein schönes Festival mit vielen Besuchern.“ Nein. Es heißt: „Wir haben 3.000 mehr Besucher als im Vorjahr.“ Wow. Wachse, Unternehmen, wachse. Und wenn du nicht mehr wächst, drehen wir dir den Geldhahn zu. Vielleicht muss man in diesen ökonomischen Depeschen so etwas wie eine Bringschuld sehen: denn wie Stadtrat Mailath-Pokorny bei seiner Abschlussansprache im Gartenbaukino noch einmal unmissverständlich klar gestellt hat, ist das Gesamtbudget der Viennale für dieses Jahr deutlich angehoben worden. Der Investor will den Erfolg sehen. Gemessen. Auf einem Blatt Papier. So läuft das im Unternehmen Politik eben.
Klaus Vyhnalek
Markenzeichen: Film
Um diesen Kurs durchdrücken zu können, muss sich die Viennale natürlich in jedem Jahr etwas Neues einfallen lassen: irgendwann wird dann die Auslastung der Kinos eine Obergrenze erreicht haben. Führt dieser Weg schnurstracks hin zum Beliebten und Beliebigen? Zum Glück nicht. Die Viennale ist in der österreichischen Kulturlandschaft eine heilige Kuh. Herr Hurch hat einen breiten Changier-Raum und kann programmieren, was er will: das Publikum kommt. Weniger zum jeweiligen Film, sondern ganz einfach weil Viennale ist. Es macht sich gut, wenn man dann Freunden davon erzählen kann.
Die Gefahr eines so erfolgreichen Brandings mit einem so loyalen Following vor allem unter Peer Group Leadern und anderen Meinungsmachern, ist der Stillstand: für mich hat sich die Viennale seit 2001, als ich sie das erste Mal besucht habe, kaum verändert. Ja, heuer tanzt man auf dem Badeschiff und nicht mehr in der Urania. Ja, mal fällt ein Kino weg und ein anderes kommt hinzu. Aber programmatisch tut sich wenig bis nichts. Keiner, der dieses Festival nicht zum ersten Mal besucht, wird überrascht sein von auch nur einem Film des Programms. Es ist ein bisschen so, als ginge man in ein großes Burger-Restaurant essen. Ich warte auf die erste Filmnährwerttabelle.
Robert Newald
No Country for A Serious Man?
Genug der Kritik: gestern wurde abgeschlossen und zwar mit dem neuen Film der Gebrüder Coen, den zynischen, jüdischen Märchenonkels aus dem amerikanischen Mittelwesten. Mich haben sie ja mit ihren letzten Filmen (eine Ausnahme ist „No Country for Old Men“) vergrault: sie waren mir zu distanziert, kalt und hart. Absoluter Tiefpunkt: als der unglücklich verliebte Ted Teffron, gespielt vom wundervollen Richard Jenkins, und damit die einzig sympathische Figur in „Burn After Reading“ für einen billigen Lacher abgeknallt wird. Eine Frechheit. Insofern ist meine Erwartungshaltung gestern Abend gedämpft.
A Serious Man ist der beste Coen-Film seit langer Zeit. Nicht wirklich gut, aber sehenswert. Schon der Prolog gefällt mir: er wirkt wie eine kurze moralische Erzählung, eine fantastische Rahmung für den folgenden Film. Vor langer Zeit erhält ein jüdisches Ehepaar, das in einem osteuropäischen Shtetl lebt, Besuch von einem alten Mann. Sie ist überzeugt, dass es sich beim Gast um einen Dybbuk, einen Dämon handelt. Nach einem Gespräch rammt sie ihm einen metallischen Gegenstand (ich konnte nicht erkennen, welchen) in die Brust: der Mann blutet und bricht zusammen. Er ist tot.
Der Rest des Films vermag diesen eröffnenden Stimmungsmacher nicht mehr einzuholen: weder atmosphärisch noch inhaltlich noch inszenatorisch. „A Serious Man“ folgt einer jüdischen Familie, die in einem Ranch-Style Einfamilienhaus in Minnesota lebt: das offensichtlich autobiografische Setting – der Film spielt im Jahr 1967 – ist perfekt choreographiert und inszeniert. Larry Gropnik ist Professor für Mathematik, in seinem Privatleben geht die Gleichung allerdings nicht auf: seine Frau hat eine Affäre mit seinem besten Freund, seine Tochter ist dauernd auf Achse und sein 13-jähriger Sohn (ein Stand-In für die Coens) raucht Marihuana und hört Jefferson Airplane. Die Gropniks sind nicht orthodox: aber um seine Probleme zu lösen, konsultiert Larry mehrere Rabbis.
Viennale
Funny HarHar
Das Thema ist schon im Prolog etabliert worden: es geht um Lebenskonzepte, um die existenzielle Frage, wieso ein durch und durch moralischer Mann, ein aufrechter Bürger, durch die Hölle gehen muss, wieso einem das höhere Wesen nicht zu Hilfe kommt, wenn man es braucht. „A Serious Man“ ist ein Ideenfilm: die Coens können keine Geschichten erzählen, ihre Filme drehen sich immer um Charaktere und bestimmte, oft absurde Situationen. In diesem Fall hätte ein Mehr an dramaturgischer Konzentration nicht geschadet, um die angerissenen Leitthemen zu etwas Überzeugenderem weiter zu entwickeln. Von ihrem Zynismus lassen die Regisseure auch hier nicht ab, auch wenn er merklich zurück geschraubt wurde: man kann nicht anders, als über den unbeholfenen Larry Gropnik zu lachen. Leid tut er mir keine Sekunde lang, vor allem da es mir nicht erlaubt oder ermöglicht wird, eine Bindung mit ihm einzugehen.
Viennale
Der einzige Charakter, der mir etwas bedeutet, kommt nur am Rand vor, ist aber die heimliche Hauptfigur und Triebfeder des Films: der 13-jährige Danny ist zu jung und unschuldig, als dass ihn die Coens mit ihren Drehbuch-Schikanen belasten könnten. Das würde ihnen selbst ein abgebrühtes Publikum nicht verzeihen. Aber in diesem Buben, der aufwächst zwischen poppigen Gegenkulturen, dem Auseinanderbruch der elterlichen Ehe und mythologisch überhöhten religiösen Instanzen, in diesem Buben lebt der Film. Aber leider nur dort. Der Rest sind Baukasten-Spiele auf höchstem inszenatorischem Niveau.
Meine Viennale-Momente 2009
Dennoch ist „A Serious Man“ ein gelungener Abschluss für die heurige Viennale, die beste seit Jahren. Mir sind nicht nur Filme hängen geblieben. Nein, denn ein Filmfestival ist mehr als die Summe seiner Teile. In mir toben Gefühle, es sind Momente, die mir bleiben und die ich jetzt, hier, am Ende meines Vlog mit euch teilen will. Eine Bitte noch: schreibt mir, was euch heuer gefallen und missfallen hat, was bei euch einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Ich bin neugierig auf eure Festivals.
- 10. Béatrice Dalle erzählt mir, dass der kanadische Schwulenporno-Underground-Regisseur Bruce LaBruce der einzige Regisseur ist, für den sie ein Drehbuch lesen würde.
- 9. Der verspielte Avantgardist und Urgestein des NY-Undergrounds Mike Kuchar gibt eine launige, verrückte, zerrissene, abgehackte, also großartige Einführung zum Kurzfilmprogramm mit Filmen von seinem Bruder George und ihm.
- 8. Der österreichische Regisseur Peter Kern gibt nach der Aufführung seines neuen Films Blutsfreundschaft Autogramme, die er auf dem Rücken des vor ihm knienden deutschen Filmvermittlers Olaf Möller schreibt.
- 7. Das Konzert der in den Keller verbannten Instrumente in Roy Rowlands zuckerlbunter, abgründiger Dr. Seuss-Verfilmung The 5,000 Fingers of Dr. T (Retrospektive „The Unquiet American“)
- 6. Ein jugendlicher Bürgerlichensohn sammelt mit zwei Ausgestoßenen, einer psychisch kranken Frau und einem leprakranken Mann, Brennholz in Lino Brockas Meisterwerk Weighed but Found Wanting (Tribute to Lino Brocka)
- 5. Der Electronica-Musiker und DJ Ricardo Villalobos erklärt dem Regisseur Romuald Karmakar die Moduleinheiten, die in seinem Studio vor sich hinblinken und selbstständig „Musik“ erzeugen.
- 4. Die beiden verfeindeten Clan-Oberhäupter aus George A. Romeros Survival of the Dead begegnen sich zum letzten Gefecht vor einer gigantischen Mondscheibe und schießen sich gegenseitig in den Kopf.
- 3. Die gesamten 70 Minuten von Timothy Agoglia Careys anarchischer Wahnsinnsparade Tweet’s Ladies of Pasadena
- 2. Ein außergewöhnliche Gruppe von Waldwanderern kommt auf einer Lichtung zur Ruhe. Ein unwirklicher Mond hängt über ihnen und ihren Träumen. Das Bild wird rot, sie setzen sich in die Natur und Baby Dee singt "Calvary". Aus Joao Pedro Rodrigues To Die Like a Man
- 1. Tilda Swinton betritt das Gartenbaukino
Alexander Tuma