Erstellt am: 16. 11. 2009 - 16:10 Uhr
Aus "Gehen" wird "Ausgehen"
Als ein gewisser Karrer verrückt und in Steinhof eingeliefert wird, geht der Ich-Erzähler zwei Mal die Woche mit ein- und demselben Mann spazieren, der nicht verrückt geworden ist. So weit der Ausgangspunkt von Thomas Bernhards Erzählung "Gehen" aus dem Jahr 1971.
Als eine gewisse Bojana vom Clubben genug hat und nur mehr vor der Glotze herumhängt, geht die Ich-Erzählerin zwei Mal die Woche mit ein- und derselben Freundin aus, die, die eben noch nicht genug davon hat. So weit der Ausgangspunkt von Barbi Markovic Erzählung "Ausgehen" aus dem Jahr 2006. Die junge Serbin – damals Germanistikstudentin in Belgrad, heute lebt Markovic in Wien – hat Thomas Bernhard remixt, also die Grundstruktur aus "Gehen" verwendet und daraus "Ausgehen", eine Schimpftirade in einer anderen Welt und einer andren Zeit, gemacht. Ein Gespräch mit der Autorin Barbi Markovic.
suhrkamp verlag
AKL: Thomas Bernhard ist eine literarische Größe, die fast unantastbar geworden ist. Hast du das Gefühl, es ist als Ausländerin leichter, Bernhard zu verfremden?
BM: Klar. Es ist leichter, weil ich das noch in Belgrad gemacht habe, wo Thomas Bernhard einer der großen toten Literaten ist, einer unter allen andren. Seitdem ich hier bin, hat das eine andre Bedeutung bekommen. In Belgrad ging es mehr um das Verfahren und dass das mit so einem Text möglich war. In Österreich geht es auch darum, dass eine unantastbare Größe angetastet worden ist.
AKL: Man kann "Gehen" und "Ausgehen" parallel lesen, um zu vergleichen. Zum Beispiel machst du aus dem Handschuh eine Freitagtasche, verhasste Kinder bei Bernhard werden bei dir zu beschissenen Partys und was bei Bernhard das Gehen ist, sind bei dir Drogen. Wie bist du vorgegangen?
BM: Ich wollte die Satzstruktur behalten, aber die Variablen, also einzelne Wörter ändern, so dass ich eine andere Geschichte erhalte. Das war ein Spiel. Aber mein Buch musste auch alleine funktionieren. Es ist zum Beispiel nicht eins zu eins so, dass Handschuh immer Freitagtasche ist. Da musste man ein bisschen lockerer damit umgehen, damit der Text Sinn macht.
AKL: Was war zuerst da? Die Idee, einen Text über die Belgrader Clubszene zu schreiben, die Faszination für Thomas Bernhard oder die Suche nach einem Buch zum remixen?
BM: Einiges gleichzeitig. Ich hab damals in einem Verlag gearbeitet, wo ich viel mit vielen modernen Texten, die sich mit Musik befassen, zu tun hatte. Und es gab immer so kleine Enttäuschungen. Ich hab mir immer gewünscht, dass man die Texte in Büchern, die man als Remix bezeichnet, wie Musik behandelt. Dann gab es die Tatsache, dass ich Germanistik studiert habe, und ich wollte das Buch (Anmerkung: "Gehen") übersetzen, zum Spaß, als Übung. Aber das ging nicht so leicht damals und dann hab ich mir gedacht, ich mach es so wie ich kann und will. Plötzlich habe ich angefangen, das mit Clubbing zu tun. Das hat mich auch überrascht. Ich wollte immer so eine falsche Übersetzung machen. Es gibt immer mehrere Möglichkeiten wie ein Wort übersetzt werden kann, was wäre wenn wir rücksichtslos falsch übersetzen würden, das war meine Idee für das Buch.
AKL: Und damit radikal aufzuzeigen, dass eine Übersetzung immer auch abhängig ist von der Zeit und dem Kontext, in dem sie stattfindet.
BM: Ich behaupte nicht, dass es nur so ist. Ich glaube an Übersetzung. Aber mit dieser Grenze wollte ich spielen, wie viel ist man Übersetzer, wie viel ist man Autor. Wie weit kann man gehen und bleibt Übersetzer. Ich bin dann aber zu weit gegangen.
AKL: Das Charakteristischste an Thomas Bernhard sind die sprachlichen Kaskaden und die Rhythmik seiner Texte. Du verwendest diesen Rhythmus eins zu eins, um über den jämmerlichen Zustand des Belgrader Nachtlebens zu berichten.
BM: Mir war komplett egal, worum es da geht, aber ich wollte den Rhythmus, die Wiederholungen, das Übertriebene behalten. Ich hatte das Gefühl, man kann mit dieser Sprache über alles Mögliche sprechen, so dass es auch interessant bleibt und es hat sich herausgestellt, dass man es tatsächlich kann.
suhrkamp verlag
"Ausgehen" von Barbi Markovic
Aus dem Serbischen (genial übersetzt) von Mascha Dabic
Suhrkamp Verlag, 2009
AKL: Es geht ja in deinem Buch auch ganz dezidiert um Musik - das Wummernde, Pochende, Repetitive von Clubnächten spiegelt sich sprachlich und inhaltlich, etwa wenn deine Protagonistinnen nicht aufhören, alles, was sie umgibt, nieder zu kritisieren.
BM: Es gibt etwas Allgemeines in dieser Art, die Welt zu betrachten. Es geht um die negative Einstellung. Und das ist auch etwas, was ich machen wollte, nämlich das Schimpfen in die serbische Literatur einzuführen. Das ist typisch österreichisch, diese ganze Tradition gibt’s schon länger, wenn man etwa an Krauss denkt. So was hat mir in der serbischen Literatur gefehlt. Mich hat es interessiert, dass man da etwas einpflanzt; ob es sich dann fortpflanzt ist eine andere Frage. Darauf warte ich noch.
AKL: Ist oder war der Trotz über das Belgrader Nachtleben so groß?
BM: Ja, den gab es schon. Aber das war mehr ein Trotz, der mit allem zu tun hatte. Das ist so wie im Buch, es fängt mit dem Clubbing an, weil die Charaktere jung sind und alles erleben wollen, aber eigentlich sind sie zugesperrt, weil nichts in Ordnung ist. Die Situation im Clubbing steht in paradigmatischer Beziehung zur Situation im Land, das war auch etwas, worauf es ankam. Ich hab das genommen als einen Ausschnitt aus dem ganzen gesellschaftlichen Leben. Es gibt immer mehrere Seiten, von denen man Dinge beobachten kann und ich finde auch den Kontrast interessant: die populäre Kultur einerseits und diesen Bernhard andererseits zu verbinden und zu sehen, was passiert.
AKL: Ein Kontrast, der auch darin liegt, dass Bernhard männlich, alt und sarkastisch ist und du Mitte 20, Clubberin und frech.
BM: Stimmt, das hat mich ziemlich gefreut, als ich gemerkt habe, was daraus entsteht. Das freut mich heute noch.