Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Was wissen wir schon von Albanien? "

Anna Katharina Laggner

Film, Literatur und Theater zum Beispiel. Und sonst gehört auch noch einiges zum Leben.

4. 11. 2009 - 15:06

Was wissen wir schon von Albanien?

Wenig. Zur Neuerscheinung "Eine Frau aus Tirana"

das cover des buches eine frau aus tirana zeigt eine frau von der seite

Residenz Verlag

Helena Kadare: Eine Frau aus Tirana.
Aus dem Albanischen von Basil Schader
Residenz Verlag, 2009

Eine Frau versäumt ihren Bus und kommt zu spät zur Arbeit.
An der Pforte wird sie mit Genossin angesprochen.
Man stutzt.
Eine literarische Neu-Erscheinung und man grüßt sozialistisch?
"Eine Frau aus Tirana" wurde zwar erst 2008 ins Deutsche übersetzt, ist aber im Jahr 1995 auf albanisch erschienen. Auch damals war die Diktatur in Albanien bereits Geschichte. Doch all das nimmt dem Buch nicht seine Legitimation, ganz im Gegenteil: "Eine Frau aus Tirana" verwebt die Zeitlosigkeit einer Liebesgeschichte mit dem Zeitzeugnis einer gar nicht so lang vergangenen Diktatur.

Die Frau aus Tirana heißt Susanna, ist Mitte 20 und arbeitet in einem Verlag, wo sie Manuskripte auf ideologische Fehler prüft. Ihr Geliebter, Viktor, ist verschwunden. Als er plötzlich aus der Versenkung auftaucht, treffen sich die beiden heimlich in einer Vorortwohnung inmitten von grauen, gleichförmigen Wohnsilos. Kurz darauf findet die Hochzeit statt. Susanna betrachtet diese Liebe zwischen ihr und Viktor als erhaben und frei von Zwängen, ungreifbar vor allem für die Klauen des diktatorischen politischen Systems. Man muss nicht darauf hingewiesen werden, dass diese Vorstellung naiv ist. Helena Kadare präsentiert uns Susanna als Idealistin jener Sorte, die Teile der Wirklichkeit zwar wahrnimmt, aber als persönliche Bedrohung ausklammert, um leben zu können. Man kann es ihr nicht verdenken.

Helena Kadare

residenz verlag

Helena Kadare

An den Wänden im Verlagshaus hängen Fotos vom Großen Chef – dem Diktator Enver Hoxha – Susanna ist umgeben von Klassenkampfparolen und Aufrufen zur Wachsamkeit gegenüber dem so genannten Feind, auf der Chefetage befindet sich eine eiserne Gittertür. Erst als ein ihr nahe stehender Kollege und Übersetzer verurteilt und verbannt wird, erkennt Susanna: sie ist von Denunzianten umgeben. So wie Susanna sukzessive das Ausmaß des Grauens dämmert, so entfernt sie sich auch von Viktor. Was an Ungerechtigkeiten rund um sie geschieht, betrachtet Susanna als ihre Sache – für Viktor ist all das deren Sache.

Ich bin mit einem Konformisten verheiratet, dachte sie verloren. Ja, genau, das ist er: ein Konformist.

Es ist eine der wenigen Stellen im Buch, an der Helena Kadare ganz deutlich macht, wie wenig sich die alltäglich gelebte Liebe zweier Menschen über äußere Einflüsse hinwegsetzen kann. "Eine Frau aus Tirana" erzählt vom Alltag im Albanien unter Enver Hoxha und macht gleichzeitig deutlich, wie sehr Lebensbedingungen und –umstände eine Beziehung prägen und sie beeinflussen – egal, ob Diktatur oder nicht.