Erstellt am: 3. 11. 2009 - 17:16 Uhr
Fußball-Journal '09-101.
Die bisherigen 100 Einträge des Fußball-Journals dieses Jahres.
Ich bin kein Freund der Pyromanie, auf die sich die heimischen Ultras als optimale Form der Anfeuerung geeinigt haben. Diese Entwicklung hat sich unhinterfragt als "Super!" in die Köpfe der meisten Fans gefräst - und das ist recht gedankenlos. Wer jemals in eine an einen Giftgasangriff gemahnenden Luftströmung geraten ist und sich das Beuschl aus dem Leib husten musste, weiß wovon ich rede.
Trotzdem: aktuell gilt es meine ganz private Meinung hintanzustellen.
Denn das, was dieser Tage von Regierungsseite angestellt wird, um die pyrotechnischen Elemente aus den Fußball-Stadien rauszukriegen, erinnert stark an klassische Anlassgesetzgebung samt Lobby-Einflussnahme und Privilegien-Wirtschaft.
Das, was am Donnerstag in den Innenausschuss gehen soll, um dann ein Gesetz zu werden, hat eine Geschichte mit einem so himmelschreienden Beigeschmack, dass eine genaue Betrachtung Bürgerpflicht ist.
Kein Bengale beim Bengalen
Der Standard zum Thema, samt pdf der Original-Aussendung der Ultras.
Nun sind lustige Spiele mit Rauch und Feuer keine vom Fußballgott vorgegebene Verpflichtung - im Gegenteil: weltweit kommen fast alle Fußball-Kulturen ganz ohne aus; vor allem in den ärmeren Regionen wird darauf verzichtet, weil derlei ja auch ein Schweinegeld kostet, das man oft einfach nicht hat.
rapid ultras
In Österreich hat sich in den letzten paar Jahren eine Pyro-Kultur entwickelt, die eigentlich halbwegs gezähmt schien. Es wurde tatsächlich seit Ewigkeiten kein Feuerwerkskörper aufs Spielfeld geschossen (stattdessen hageln die Dümmsten der Dummen gegnerische Spieler bei Eckstößen mit Bechern und Feuerzeugen ein) und die alles vernebelnde Rauchbombe kommt einmal so alle acht Spieltage zum Vorschein.
Die Ultras (wie immer vorneweg: die von Rapid) hatten/haben ihre Spielerei also halbwegs unter Kontrolle.
In vielen heimischen Stadien gab es klar ausdefinierte Übereinkünfte wie eine Pyro-Show mit bengalischen Feuern aussehen kann - und wer die im Wiener Stadion vor Rapid - HSV gesehen hat, weiß wie eindrucksvoll das wirken kann.
Wirklich böse Dinge wie der neben Georg Kochs explodierende Böller war nicht Teil der Pyro-Choreografie, sondern kamen von bewusst agierenden Einzeltätern - das ist auch per Gesetz nicht verhinderbar.
Herrschaftsdenken aus dem Ministerium
Parallel zu dieser Entwicklung am Fan-Sektor und der zunehmenden (und alle zufriedenstellenden) Einigung zwischen Ultras und Vereinen kam es zu einem Gesetzes-Vorschlag des kompletten Pyro-Verbots.
Ohne dabei die, die es betreffen würde, zu befragen.
Das (Innen-)Ministerium ging dabei nur aufgrund einer plötzlich bemerkten Steigerung von Anzeigen, Verwaltungsdelikten und steigendem Sicherheitsaufkommen vor - ein klassischer Fehler als Folge rein herrschaftlichen und bürokratischen Denkens.
Im Sommer kam es dann zu einer prototypischen Verhärtung.
Ministerin Maria Fekter argumentierte mit einem Anstieg von Gewaltdelikten. Wie die kleine Recherche des Ballesterer belegt, liegen diesen Zahlen willkürliche Zeitrahmen und die mit nichts davor vergleichbare EM-Zeit zugrunde: man hat sich also, ganz vorsichtig gesagt, die Statistik so hingedreht, dass sie passt.
Leider reagierte auch die Gegenseite wie gehabt: von den Vereinen kam wenig; die wollten sich's mit niemandem verscherzen.
Und die Ultras reagierten wie erwünscht, wie die berechenbarste aller Labor-Ratten: mit Wut und daraus resultierenden dummen Sprüchen, die man dann wiederum argumentativ nützen kann. Dem da etwa:
rapid-ultras
Die Argumentationslinie, dass sich (trotz Gefahr) eh niemand verletzt habe, ist natürlich kindisch hoch zwei und ein gefundenes Fressen für jeden, der die Ultras als nichternstzunehmende Tschapperln diskreditieren will.
Dabei ist der zentrale Punkt der Ultra-Stellungnahme natürlich richtig: die Pyro-Aktionen würden fälschlicherweise automatisch mit Gewalt assoziiert.
Und auch der nächste Denkschritt ist nicht nur nachvollziehbar, sondern argumentativ unwiderlegbar: die Legalisierung der Pyrotechnik in den Fankurven ermögliche eine Kontrolle, stärke die gemeinsame Verantwortung, eine Kriminalisierung, ein Verbot hingegen fördere nur die hirnlose Einzelaktion (siehe Fall Koch), den deppischen Widerstand.
Debatten-Verweigerung
Dieser Debatte verweigerte sich das Ministerium aber seit jeher.
Und dort steckt alles fest.
Die Argumente aus der Praxis zählten seither zwölfe - Diskussion gab es keine.
Weshalb sich die Ultras zunehmend verzweifelter wehren (und natürlich mit ganz depperten Sachen drohen; denn natürlich ist mit den meisten - Ausnahmen bestätigen die Regel - kein seriöser Diskurs zu führen, das hat die Vergangenheit leidvoll gezeigt).
Wo hier noch defensiv argumentiert wurde:
sportnet
waren jüngere Spruchbänder schon voll von rohen Drohgebärden.
Die Fußball-Fans fühlen sich in einer Rolle, die sie gern einnehmen, sehr wohl: die der unverstandenen, von bösen Mächten geknechteten Unterprivilegierten, die allein deswegen immer schuldfrei flegeln dürfen und ein Recht auf das Drohen mit noch Schlimmeren ableiten.
Blöd bloß, dass sie diesmal auch noch rechthaben.
Wie das Portal Sportnet herausfand, wurde der Pyro-Gesetzesnovellen -Vorschlag nämlich von einem allgemeinen Feuer/Rauch-Verbot bei Sportveranstaltungen auf eine ganz konkrete Lex Fußball runtergebrochen.
Beim § 43 (2): Pyrotechnische Gegenstände und Sätze dürfen in sachlichem, örtlichem und zeitlichem Zusammenhang mit einer Sportveranstaltung 1. nicht besessen und 2. nicht verwendet werden wurde das Wort Sportveranstaltung durch das Wort Fußballsportveranstaltung ersetzt.
Eine Lex Fußball also...
Hintergrund: auf Pyro bei öffentlichkeitsträchtigen Ski-Parties (Hahnenkamm, Schladming, Kulm, Bergisel...) möchte man nicht verzichten; da ist der mächtige ÖSV davor.
Der ÖFB muß sich aktuell mit einer Rechnungshof-Kritik an der Challenge 08 herumschlagen, die sich selber allerdings durch grenzwertige Einmischung in sportliche Belange unabsichtlich desavouiert.
Der wenig mächtige (oder doch eher wurschtige?) ÖFB und die Bundesliga (die sich aktuell mit einer Präsidenten-Diskussion lähmt) sind in der gesamten Angelegenheit mehr als apathisch unterwegs (Lobby-Arbeit als Fremdwort?); die Fangruppen sind zwar - auch wegen der gemeinsamen Bedrohung - mittlerweile besser vernetzt denn je, weil sie sich aber auf eine Dauerposition der beleidigten Ausgestoßenen zurückziehen und ideologisch großteils auf einer translegalen Ebene argumentieren, können sie jedoch (noch) kein Gesprächspartner sein.
Interessanterweise findet diese Initiative auf der Rapid-Website keinen Niederschlag...
In diesem Zusammenhang ist die hier nachzulesende Aussendung der vereinigten Rapid-Ultras ein großer und bedeutender Schritt: raus aus der Realitätsverweigerung, rein in die Wirklichkeit.
Schade, dass das nichts nützen wird.
In der aktuelle Situation wird die Novelle am Donnerstag ohne große mediale Aufmerksamkeit beschlossen werden. Die Mainstream-Medien haben sich ja seit Sommer mit dem "Gewalt!"-Blinkschild der Ministerin wegbluffen und die Fans ordentlich im Regen stehen lassen.