Erstellt am: 3. 11. 2009 - 16:56 Uhr
Vlog #12: Lieber tot als lebendig
Für mich leuchtet das Gartenbaukino. Ganz andächtig bin ich gestern Abend, stehe auf den Stufen, die bedeuten, dass ich mich von der physischen Welt entferne und mich der metaphysischen Welt ausliefere. Endlich wieder den Körper vergessen. Der Abend ist gut verlaufen: anstatt im Kino war ich mit guten Freunden bei meinem Lieblingskoreaner.
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Endlich kann ich wieder Ddeokbokki essen, den Reiskuchen in scharfer, orangeroter Soße, den man in Korea vor allem auf der Straße kauft, für den ich mich hier aber auch gern hinsetze. Im Sommer habe ich gravierende Schwierigkeiten mit der traditionell scharfen koreanischen Küche: im Winter liebe ich sie, da sie meinen Körper aufheizt und zum Schwitzen bringt.
Ein Abend in Blutrot
Es ist ein besonderer Abend, das weiß ich. Alles hat etwas Magisches an sich: die laminierten Sushi-Schaukarten im Restaurant, die Pfütze, die sich unter den Regentropfen ständig bewegen muss, alles trägt für mich zur Stimmung bei. Was interessiert mich die Welt? Ich baue mir meine eigene. Oder so ähnlich. In einer Bar trinke ich, saufe mir das Kino herbei, wenn ich schon nicht selbst drin sitze. Gespräche, Gespräche. Selbst dabei fühle ich mich gestern außergewöhnlich artikuliert. Ich lache immer im richtigen Moment, lache mit den Anderen, der Schmäh rennt, die Pointen fliegen. Und tiefrot spiegeln sich im Wein die Straßenlichter vor der Albertina. Unweigerlich denke ich an Blut. An die Things to come.
Ich wusste schon am Morgen, dass dieser so gestaltlose Montag ohne besondere Merkmale ein guter Tag werden würde. Mein japanisches Horoskop verrät mir, dass ich in Liebesdingen aufpassen muss, dass das Geld fließt (allerdings von mir weg), dass ich in der Arbeit erfolgreich bin. Meine Glücksfarbe für diesen Tag ist pastellblau. Entsetzlich! Die Sterne sind sarkastisch gestimmt. Ich liebe den Winter, weil ich den Sommer hasse. Aber ich liebe den Sommer, weil ich gerne T-Shirts trage. Wer sagt, dass immer alles Sinn ergeben muss? Ich mag T-Shirts mit Aufdrucken und heute Abend hätte ich jenes anziehen müssen, auf dem die klassische Ernährungspyramide um einen Spitz erweitert worden ist. Statt dem Menschen, der weidende Kühe, Weizenfelder und Gemüsebeete leer frisst, thront über allem der Untote, der Zombie.
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Famous Monsters of Filmland
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Aber ich trage dick auf, einen Pullover und eine Jacke. Ich muss meine Leidenschaft anders ausdrücken, stehe auf den Stufen im Gartenbaukino und ahme einen Zombie nach. Arme im rechten Winkel nach vorn gestreckt, Hände baumeln lassen, Kopf auf die Schulter legen und stöhnen, brüllen, jaulen, Instinktwesen sein. Ja, George A. Romero hat alles verstanden. Und diese Erkenntnis lasse ich mir von niemandem kaputt reden. Die Zombies in seinem ... of the Dead-Zyklus sind keine Monster, sie sind menschlich. Wie du und ich. 1968 schafft der hoch gewachsene Amerikaner einen Sinneinschnitt im fantastischen Kino, eine Kino-Revolution während der gesellschaftlichen Revolution, in der die Wirklichkeit auf den Albtraum trifft. So hart, echt und wahr wie niemals zuvor. Freilich: ich habe mich schon früher eher mit den Monstern als mit den Menschen identifiziert. Weil jeder Horrorfilm in seinem Kern ein mikroskopisches Abbild unserer Lebensrealität mit sich herum trägt, weil sich die Dynamiken von Ausgrenzung und Abschiebung gerade im extremen Kino veranschaulichen lassen.
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Die Geschichte von James Whale bewegt mich schon als Jugendlicher: ich gehöre zu jenen, die mit seinem Frankenstein (1931) die Essenz des Kinos verbinden. The movie to end all movies. Ein trauriger, manischer Wissenschaftler kreiert in seinem Turmlabor einen Übermenschen aus Leichenteilen: von Blitzen zum Leben erweckt torkelt das arme Monster durch eine verschreckte Gesellschaft, die sich bewaffnet, um dem Unbekannten und vermeintlich Monströsen zu Leibe zu rücken. Gewalt ist der ureigene Ausdruck dieses Wesens, in dem sich das Sakrileg mit dem Göttlichen mühelos zu vereinigen scheint. Das missverstandene Monster, das Blumen ins Wasser wirft, wie das kleine Mädchen, das neben ihm steht. Reine Unschuld, die letzten Endes in einer brennenden Windmühle umkommt. Gejagt von einem sich gegenseitig aufheizenden Mob mit Fackeln und Heugabeln: mit dem Monster haben sie auch sich selbst umgebracht.
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Regisseur James Whale war homosexuell: er hat das Geschöpf mit einer Zärtlichkeit und Menschlichkeit aufgeladen, die sich aus Mary Shelleys hartem Roman nicht unbedingt heraus lesen lässt. Nachdem die Horrorfilme an Popularität verlieren, Whale an Glanz und Maskerade einbüßt, verkriecht er sich in seinem Luxus, feiert ausschweifende Parties, feiert sich zugrunde. Am Ende kann nur der Selbstmord stehen, um ein Leben zu beschließen, das nur im Kino sein durfte.
„Ich bin ein Monster“, sagt mir der britische Horrorschriftsteller, Fotograf, Künstler und Regisseur (Hellraiser) Clive Barker vor einem guten Monat, als ich ihn in Sitges treffe. Es ist die Antwort auf meine Frage danach, wie sich all seine Geschichten verbinden lassen würden. „Schauen Sie, ich bin als schwuler Junge aufgewachsen, bin geschlagen, getreten, verspottet worden. Ich habe mich immer als Monster gefühlt.“ Ob sich daran jemals etwas ändern wird? „Nein“, meint Barker. „Wir sind die Zombies“, sagt mir George A. Romero während des Interviews. „Die Gesellschaft ist das Monster“.
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Die Toten überleben
Survival of the Dead heißt der neue, mittlerweile sechste Teil seines Zombie-Zyklus. Ein gesellschaftspolitisches Traktat ist das, kein Kommentar. Romero glaubt nicht, er weiß. Ich sitze im annähernd ausverkauften Gartenbaukino. Nicht schlecht für eine Montagnacht. Das Publikum ist erwartungsvoll, mit dem Namen Romero verbinden alle etwas, aber jeder etwas anderes. Das Schöne an seinem Kino ist die Einfachheit, das Fehlen jedweder Anmaßung. Wer will, der kann in diesen 90 Minuten einfach sein Hirn ausschalten und die Achterbahnfahrt genießen.
Romero ist ein virtuoser Regisseur, weiß genau, was die Zuseher von ihm verlangen. Er ist Philosoph und Kind und Agitator gleichzeitig. Ein Visionär. 2007 beginnt er mit „Diary of the Dead“ von vorne. Er erzählt noch einmal aus jener Nacht, in der die Zombies zum ersten Mal in der Filmgeschichte auf Erden gewandelt sind, erzählt lediglich aus einer anderen Perspektive als 1968 in „Night of the Living Dead“. Filmschüler nutzen die Gelegenheit, wollen Kapital schlagen aus der Apokalypse. „Diary“ ist angefüllt mit krudem Humor, Selbstreferenzen, spielt sich auf diversen medialen Ebenen ab. Romero bemüht sich, die alltägliche Komplexität von Kommunikation in einen unterhaltsamen Horrorfilm zu quetschen. In „Survival“ gibt es keine Handkameras, keine mediale Offensive. Nur einmal sieht man ein YouTube-Video: Patrick O’Flynn gibt sich darin als „Captain Courageous“ aus, lockt Orientierungslose zum Slaughter Beach Hafen. Ein neues Eden.
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Eine Gruppe von Soldaten kommt an, schießt sich aus der Falle (O’Flynn ermordet die Ankommenden, sackt deren Habseligkeiten ein) frei und besteigt eine Fähre. Ziel ist Plum Island, eine idyllische Insel vor der Küste von Delaware. Eine alte Welt. Ohne Fernsehen. Ohne Internet. Die Musik kommt von Schallplatten. Romero macht klar: es ist vollkommen gleichgültig, in welcher Gesellschaft man lebt. Liebe und Krieg, Zuneigung und Hass: alles ist menschlich. „Survival“ ist ein Western, zeigt zwei konkurrierende „reinblütige“ Sippschaften, die auf dieser Insel bereits seit Jahrzehnten um die Vorherrschaft kämpfen. Bilder ihrer Verstorbenen erinnern an den Ahnenbaum: wieso sie sich hassen, wieso sie sich bekämpfen, wissen sie nicht mehr.
Viennale
Die Zombies sind, wie in jedem Romero-Film, ein bloßer, aber ein spektakulärer Katalysator. Die Untoten reißen den Lebenden die Masken von den Gesichtern: darum geht es Romero vor allem. Um subversive Gedanken, die er den Konsummenschen in der einzig denkbaren Verpackung serviert. Als Unterhaltungsfilm. Und was sieht man? Die menschliche Natur in einer Krise. Nach der wüsten Dekade, die hinter uns liegt, wirkt der Wunsch nach Isolation beinahe normal. Auf der hermetischen Insel (Zombies können – noch – nicht schwimmen) scheint das Glück der Zukunft zu liegen. Die Anderen, die mit unreinem Blut, sind dort steuerbar. O’Flynn will sie erlösen, durch einen gezielten Schuss in den Kopf. Muldoon will sie zähmen, hält sie in seinem Stall wie Nutzvieh. Das Monster soll verwertbar gemacht werden. Vielleicht bringt es Geld ein? Der kapitalistische Traum ist untot.
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Ich habe mich schon längst entschieden. „Survival of the Dead“ ist für mich einer der wichtigsten Filme des Jahres. Ein großes subversives Kunststück. Vielleicht geht es aber nur mir so. Weil ich ein Monster bin.