Erstellt am: 3. 11. 2009 - 16:17 Uhr

Eine Lichtgeschichte

Massive Attack gestern im Wiener Gasometer. Mit Martina Topley-Bird und Leuchtschrift.

Keine Massive Attack Tour gleicht der anderen. 3D und Daddy G sind mit immer anderen Gästen und Musikern unterwegs. Gestern Abend waren Martina Topley-Bird und Horace Andy Teil der Live-Inkarnation von Massive Attack.

nikolaus ostermann

Anfang letzten Monats ist die neue EP von Massive Attack, Splitting the Atom, erschienen. Neben Tunde Adebimpe, dem Sänger von TV on the Radio und Guy Garvey von Elbow sind auch Martina Topley-Bird und Horace Andy auf dieser EP zu hören.

nikolaus osterman

Der Reggae-Sänger Horace Andy ist ein Mann, der keine Vorstellung braucht, wie 3D meint, denn Massive Attack arbeiten seit Blue Lines (1991) mit Horace Andy zusammen - seine zerbrechliche Stimme ist unter anderen auf "Angel" zu hören.

nikolaus osterman

Martina Topley-Bird trat im roten Ballkleid und mit Make Up irgendwo zwischen Black Metall, Vodoo und Katze beim Kindergeburtstag auf. Die Corpse Bride stand bei den von ihr gesungenen Nummern, in den Pausen statisch wie eine Marionette auf der Bühne. Sie übernahm den Part von Elizabeth Fraser bei "Teardrop". Das Unheimliche wird heraufbeschworen. Martina Topley-Bird singt im Neon Kimono und wird von hinten mit Sonnestrahlen beleuchtet. Eine elektronisch-sakral-barocke Geisterstunde.

nikolaus osterman

Daddy G und 3D wurden von einer fünfköpfigen Band begleitet. Das ganze Konzert war ein Wechselspiel aus laut und leise, aus Aufbau und Zerstörung von Harmonien. Und Stimmen, die gegen Soundwände ansangen.

nikolaus ostermann

Bei "Safe from Harm" und "Unfinished Sympathy" gegen Ende des Konzerts taucht eine Sängerin wie ein Geist aus der Vergangenheit auf und singt die Parts von Shara Nelson. Es hat sehr nach der Originalstimme geklungen, auf der Setlist des Konzert der Brixton Academy steht allerdings nur Debs.

massive attack

Auf der Lichtwand leuchten auf deutsch übersetzte Zitate von Orwell bis Chomsky, von Goethe bis Bakunin, Che Guevara und Artikel eins der Menschenrechtserklärung. Allesamt Textfragmente, die sich um Freiheit und Gewalt drehten. "Safe from Harm" verändert sich dadurch, es ist nicht mehr eine Nummer darüber, was man sich und seinen nächsten antut, sondern was dem Individuum von Staaten, Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen angetan wird.

nikolaus osterman

Die LED Wand hinter der Band war das wandelbare dramaturgische Zentrum. Es war eine weitere, zeitweise politische Ebene zur Inszenierung und nicht nur die Sinne irritierendes und stimulirendes Lichtgewitter.

Bei "Inertia Creeps" werden wir mit Schlagzeilen-Müll auf der LED Wand bombadiert. Bedrohungszenarien, die täglich heraufbeschworen werden, einem genauen Blick nicht standhalten, aber doch ein unangenehmes Gefühl zurücklassen. Etwa der letzte Satz, das Lieblingsargument bei der Zerstörung von Bürgerrechten: "Der Unschuldige hat nichts zu befürchten."

nikolaus ostermann

Fragen nach der Weltordnung drängen sich durch die in ungewohnten Zusammenhängen auftauchenden Informationen auf der LED Wand ins Bewusstsein. Seien es verfremdete Ausschnitte aus dem Film "Battle in Seattle", der 1999 beim WTO-Treffen spielt, oder Statistiken und Zahlen, die eine Relation herstellen zwischen den Spesenrechnungen von Parlamentariern, den Kosten einer Ikea-Küche und dem Betrag, mit dem afrikanische Familien zu überleben versuchen.

Ein gut überlegter Moment war die Simulation einer Flughafen-Abflugstafel. Links die Erdkugel, auf der die Fluglinien über den Globus eingezeichnet waren, rechts in grün die Nummer, Datum und Destination des Commercial Flights. Ab 2002 tauchten plötzlich mehr und mehr rote Flungnummern auf - die Rendition Flights ...

Massive Attack finden immer wieder einen neuen Blickwinkel auf ihr Werk und machen so jedes Konzert zu einem einzigartigen.