Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Journal '09: 2.11."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

2. 11. 2009 - 17:54

Journal '09: 2.11.

Nutty. Ein Exkurs zur englischen Drogendebatte samt einer Forderung für ein Volksdrogen-Verbot.

Die Geschichte ist so simpel wie absurd: die Regierung feuert ihren Drogenbeauftragten, weil er zu wissenschaftlichen Erkenntnissen kommt, die ihr nicht passen. Er würde gegen die Regierungs-Politik campaignisieren. Er könne nicht gleichzeitig Berater sein und der offiziellen Linie widerprechen.

Diese empörende Peinlichkeit ist nicht Faymann-Pröll, Populisten wie Sarkozy/Berlusconi oder einem autokratischen Regime wie dem russischen passiert - diese Untat stammt aus dem Vereinigten Königreich, ist der ohnehin schon in inhaltlicher Auflösung begriffenen Regierung Brown unterlaufen, und trägt dazu bei, sie weiter als laufende Lachnummer ansehen zu dürfen.

Es ist schon bemerkenswert, wenn die Wissenschaft von den Herrschenden ganz öffentlich und offiziell nur dann anerkannt werden kann, wenn die Ergebnisse (die vor einer Forschung, und sei es auch nur eine evaluierende wie in diesem Fall) mit ihren Zielen übereinstimmen.
Damit gibt man in London ganz offen zu, Berater ausschließlich als Abnicker zu beschäftigen - das ist zwar eine weltweit gepflogene Tatsache, die bislang allerdings - zumindest offiziell - geleugnet wurde.
Konsequent weitergedacht bedeutet das einen grandiosen Zukunftsmarkt für bestellte oder gefällige Gutachten bzw. Forschungs-Ergebnisse, etwas was das aktuelle Uni-System (über die Umwege Bologna-Bachelor-Ausbildung für den Markt, anstatt Bildung für Wissenschaft) eh grad herbeizüchtet.

Drogen-Ranking

Noch eine Spur bemerkenswerter sind die Ergebnisse, deretwegen Professor David Nutt gefeuert wurde:

Nutt hatte im Rahmen seiner Arbeit (die auch aktuelle Gesetzgebung, samt Drogen/Doping-Missbrauchs-Verboten umfasst) die Wichtigsten aktuell im Umlauf befindlichen Suchtmittel nach ihrer Gefährlichkeit gerankt.
Kriterien: körperliche Schäden, soziale Auswirkungen und Abhängigkeitsgrad, also ein Mix aus dem sogenannten volkswirtschaftlichen Schaden und der individuellen Gefährdung, zwei Gruppen, die sonst ja gerne getrennt werden. weil man da besser politisch argumentieren kann.

Die Nutt-Liste ist zwei Jahre alt und sieht so aus:

Wer Einzelnes davon nicht kennt - bitte selber googeln, ist fast alles mit einem Klick erfahrbar!

Seriöse und auch historisch relevante Info dazu hier in einer 13teiligen Radiodoktor-Reihe von Ö1.

1. Heroin
2. Cocaine
3. Barbiturates
4. Street Methadone
5. Alcohol
6. Ketamin
7. Benzodiazepine
8. Amphetamine
9. Tobacco
10. Buprenorphine
11. Cannabis
12. Solvents
13. 4-Methylthioamphetamine
14. LSD
15. Methylphenidate
16. Anabolic Steroids
17. Gamma-Hydroxybutyric Acid
18. Ecstasy
19. Alkyl Nitrates
20. Khat

Und da liegt der Hase im Pfeffer: die Regierung schätzt es wohl gar nicht, wenn Cannabis deutlich hinter Tabak und sehr deutlich hinter Alkohol einläuft. Von der bisher offensichtlich drastisch überschätzten Gefährlichkeit der kleinen E-Pille ganz zu schweigen.

Die medizinische Anwendung von Cannabis ist im Übrigen von allem, was hier geäußert wird, ausgenommen, das versteht sich aber in einer seriösen Debatte eh von selber.

Dass in Kalifornien mittlerweile Cannabis weitestgehend auf Krankenschein erhältlich ist, trägt das seinige an der Hysterie der Diskussion bei.

Das alles sind zwar altbekannte Fakten, aber so eine Veröffentlichung macht auch die Bigotterie der Argumentation öffentlich. Allerdings sorgt der plumpe Return von Gesundheitsminister Alan Johnson dafür, dass ein altbekanntes wissenschaftliches Ergebnis zwei Jahre nach seiner Erst-Publikation wieder für Aufsehen sorgt.
Insofern: Danke an alle Beteiligte.

Einerseits heizt das die "Legalize!"-Debatte an. Und andererseits bringt das wieder einmal die sogenannten Volksdrogen ins Gerede.

Achtung: Betreten auf eigene Gefahr!

Ab hier wirds nämlich gänzlich meinungskommentarig.
Ich halte (das ist für alle die mich kennen keine große Überraschung) nichts von einer Legalisierung.

Das irgendwie schon auch im Bewusstsein der Unerfüllbarkeit dieser Forderung. Aber als Denkmodell muß das schon herhalten dürfen.

Ich trete für eine Verschärfung ein. Für ein Verbot der viel schlimmeren Drogen Alkohol und Tabak.

Das einzig sinnhafte Argument für die Legalisierung von Cannabis ist - seit Jahren, unverändert, trotz wiederholter Aufforderung an alle Befürworter ein positives Pro-Argument zu liefern, das über das in der Natur der Sache liegende Entkriminalisierungs-Argument hinausgeht, und auch standhält - die simple Aufrechnung: Wieso denn das eine verboten, wenn das andere, mindestens genauso Arge erlaubt ist?
Das ist Babygebrabbel, sorry.
Und kein Debattenbeitrag.

Als hätt' ich's bestellt: ein paar Minuten nach der Textfertigstellung poppt diese Geschichte auf orf.on auf: LA Times empfiehlt Urlaubsdestination Österreich als Raucher-Paradies. Ein Traum für die Österreich-Werbung!

Fakt ist: Österreichs Gesellschaft ist durch und durch versoffen und verraucht.
Politik und Wirtschaft sind ohne massiven Alkohol-Genuss der Proponenten nicht denk- und durchführbar, nicht erst seit den 1,77 Promille des Landeshauptmanns der Herzen weiß man das. Die hinterherhinkenden Nichtraucher-Schutzgesetze sind einer verpofelten Gesellschaft geschuldet, die sich im Kollektiv am Glimmstengel festzuzzeln muss, weil sie ja nichts anderes an Gemeinsamkeit hat; das Saufen ausgenommen.

Diese Geschichte ist übrigens Teil von "Wir sind gekommen, um zu bleiben. Deutsche in Österreich", Eva Steffen (Hg.), demnächst im Czernin-Verlag.

Dirk Stermann hat im vorvorletzten Album des Standard unter dem Titel Rot-Weiß-Rote Fahne eine exzellente und mehr als wahre Zustandsbeschreibung dieser Ungesellschaft des Suffs abgeliefert. Jedes (wiewohl literarisch überbetontes) Wort stimmt.

In einer Republik, die sich auf den Gründungsmythos der von Reblaus-Raab unter den Tisch gesoffenen Russen beruft, in einer Stadt, in der seit über 30 Jahren derselbe Bürgermeister-Witz (Warum ist Wien so sauber? etc.) erzählt wird, in einer Gesellschaft, in der schon die Kids vom Opa Bier und Wein eingeflößt bekommen, kann sich (die dreieinhalb besoffenen und trotzdem guten Künstler ausgenommen) außer eine Kater-Stimmung nichts entwickeln.

Man merkt: Ich halte jedwede Sucht für eine Schwäche. Da Schwächen menschlich sind, schätze und akzeptiere ich sie. Solange sie nicht in pures Selbstmitleid ausarten, solange sie nicht als peinlicher Überwurf, um simple Unfähigkeiten zu überdecken, herhalten müssen, solange sie also keine Ausreden sind. Weil: kummts ma mit kane Ausreden mehr, Ausreden, die kann i nimma mehr hean!

In einem Land, in dem sich eine Raucher-Mehrheit der Unsensibilität und inexistenten Rücksichtnahme auf den Mitmenschen ausschließlich über ihre Ellbogen definiert, in einer Gesellschaft, der ihre Gesundheit dermaßen wurscht ist, ist eine zielführende Debatte unmöglich.

Da, so wünschen es sich die Legalisierer, soll jetzt also auch noch die Weichbirne, der verlangsamte Kiffer, der zunehmend paranoide Angst-Österreicher dazukommen.

Na danke, höchst verzichtbar.
Es ist mit dem häusltschickenden Ego-Saufkopf, dem lallenden Selbstbemitleider und Nix-Weiterbringer, dem dauerspiegelnden Blockierer schon mühsam genug - da braucht es nicht auch noch den offiziell anerkannten Verschwörungstheorie-Pananoiker, die willenlose Weichbirne und den Zelebrateur der wirkungslosen Langsamkeit.
Von diesem Typus gibt es in der aktuellen Halblegalität bereits genug.

Rauchen und Saufen: schlichtweg verbieten

Ich kann keinen Sinn daran erkennen zu zwei bereits grauenerregenden, gesellschaftsbehindernden, abgestumpften und abstumpenden Problemgruppen freiwillig auch noch eine vergrößerte, dritte dazuzunehmen.
Stattdessen gehören die bislang legalisierten Süchtler in ihren Kontext gestellt: sie gehören kriminalisiert. Das ist die einzige Sprache, die sie verstehen - denn bislang glauben sie ja einer "Kultur" anzugehören.

Kettenraucher-Giftschleudern (9) ebenso wie besoffene Autolenker oder rasende Bullies (5) sollten ihren Platz zwischen Karlsplatz-Junkies (1 oder 4), Kiffern (11) und Sportdopern einnehmen.

Dazu wird es nie kommen. Weil die Alk-Lobby in diesem Land überlebensgroß ist; und weil sich die Tschikker noch ein paar Jahre lang aus den EU-Normen raushalten werden können, solange bis man das diesbezügliche, sprichwörtliche Albanien geworden ist.

Fordern wird man's aber wohl noch dürfen. Und sei es nur, um der lobbylosen Gruppe der Kiffer auch ein wenig ihre eigene Verantwortungslosigkeit vor Augen zu führen.