Erstellt am: 30. 10. 2009 - 18:36 Uhr
Glasgow again
Das letzte Mal war Mai 2007 und das Wetter war natürlich genauso vom Nass dominiert. Der Himmel vielleicht blauer, aber ohne Gratisduschen kein Schottland. Was ich denn hier mache, fragt die Lady unter mir im Zugabteil während ich den Koffer verstaue: "Weiterfahren", antworte ich. Die längsten 17 Stunden Anreise nach Schottland, um ein bisschen weniger zu fliegen, aber noch in der richtigen Luftlinie zu bleiben. Es wären ja 16 Stunden, aber wer hätte wissen können, dass der fehlende Zusatz ob meine Bleibe eine Street, ein Circus, ein Terrace oder eine Avenue ist, zur Bekanntschaft einiger neuer Nachbarn führen würde. Was ich denn hier mache, fragt der Mitbewohner auf Zeit und es bleibt nur ein "Stehenbleiben" als Antwort. Ich hätt noch gern ein paar Neue-Grippe-Witze gemacht, aber er war wirklich krank. Und außerdem: selbst wenn ich sehe, wie sich seine Lippen bewegen kommt außer Konsonanten nicht viel Zusammenhängendes an. Ein local mit Sprachtalent. "He, she it – s geht mit" hilft hier nicht weiter. Während ich hier drei Wochen ausatmen werde, wird er drei Wochen einpacken. Madrid heißt die nächste Station. Wegen des Wetters natürlich, und er zeigt mir, wo ich meinen Regenschirm verstauen kann.

fm4 ond
Dieses Mal wohne ich an einem fremden Ende der Stadt: East End, nahe der Barras. Baustelle und viel Sirenen. Zehn Minuten weg vom Mono, dem besten Plattengeschäft und angeschlossenem Pub inkl. (eh klar) Bühne. Zwei japanische Touristen stehen an der Kassa und unterhalten sich mit dem Platten-Verkäufer über das hektische London und dass sie so froh sind, noch ein paar Tage in der relaxten Stadt zu sein aus der ihre Lieblingsmusiken kommen: Mogwai u.a. Ein Klischee, aber so hat es sich abgespielt. Ein anderer Kunde stellt dem Verkäufer seine schwedische Bekanntschaft vor. Er habe sie schon vorgewarnt, sie soll nicht ihr ganzes Geld auf einmal im Mono liegen lassen. Es wird gelacht, denn sie wirft ein, dass sie doch gerne in Vinyl investiert. Ich für meinen Teil frage mich, welches 4AD Lager gerade aufgelöst wurde, sprich, warum die meisten Platten der Cocteau Twins im Cheapo-Eck liegen und ob ich mir zwei dieser Sorte oder Felix Kubins "Idiotenmusik" 7inch zulegen soll. Die fünf Pfund lass ich stecken – nicht das ganze Geld auf einmal investieren, got it.
Im studentischeren West End – nahe meiner Bleibe vor zwei Jahren - hat auf der Great Western Road ein neuer Club namens Captains Rest aufgemacht, wo Our Brother The Native performen sollen. Wenn ich mich beeile, schaffe ich es zu Fuß in 30 Minuten. Ich bin sogar zu früh dran und sehe noch beide local supports. Der eine verschnupft, der andere traurig. Ich döse auf der Couch vor mich hin, darauf wartend dass mich die Effektgeräte und Beep-Maschinen schon rechtzeitig aufwecken werden.

fm4 ond
Captains Rest ist ungefähr so groß wie der erste Stock vom B72. Nur, dass es sich im Keller befindet. Ein bisschen traurig, dass sich zum Konzert von Our Brother The Native gerade mal 20 Menschen einfinden. Vielleicht war es das Überangebot vom Wochenende. Neben einem Screening vom ATP Film "Our True Intent" mit einer special performance von Les Savy Fav hat auch das Oxjam Music Festival stattgefunden, hunderte Bands auf verschiedene Locations aufgeteilt, alles zu Gunsten von Oxfam. Man kann auch sagen, Our Brother The Native haben niemanden interessiert oder der "List" die Schuld zuschieben, die haben das Konzert mit falschem Datum angekündigt. Egal.

fm4 ond
Wer Alben von Coco Rosie oder Animal Collective (inkl. Panda Bear) sein eigen nennt oder von mir aus auch Radioheads Spätwerk zu schätzen weiß, es aber gerne progressiver hätte - wird diese Band lieben. Auf ihrem aktuellen Album "Sacred Palms" experimentieren sie mit Gamelan Musik. Und ich mag nicht mal Gamelan Musik. Ich mag auch keine Frösche, aber auf dem Debüt "Tooth and Claws" (erschienen auf dem ehrwürdigen Fat Cat Records Label) quietschen sich tierische Sounds über Schichten von Gitarrenriffs und BeepBleeps, die allesamt wie letzte Atemzüge klingen. Stimme hat das ganze natürlich auch. Und welche eine! Herrliche verzweifelte Stimme.
Es war nicht die beste Idee vor dem Homecoming Gig von Camera Obscura noch "schnell" ins Kino gehen, aber es war die letzte Vorstellung von Andrzej Wajdas "Katyn".

fm4 ond
Auch auf die Gefahr hin wegen Überlänge Emma Pollock als Support Act zu verpassen: Andrzej Wajda hat vor zwei Jahren seinen Film über Familie und "historische Wahrheiten" gedreht. Ein Film, in dem die wichtigste Information im Vorspann nicht untertitelt war: "Für meine Eltern". Wajdas Vater war einer der über 20.000 Opfer des Katyn-Massakers, das 1940 verübt und erst 1990 offiziell von russischer Seite "zugegeben" wurde. In Wajdas Film tragen die hinterbliebenen Frauen, Töchter und Schwestern die Hauptrolle. Die Zusammenfassung "berührend" wird dem Film nicht so sehr gerecht, wie das Prädikat "wichtig".
Zwecks der Rückführung ins aktuelle Jahr, weg aus den russischen Wäldern und der Krakauer Uni, also noch ein Abstecher ins Barrowlands zu Camera Obscura, die dort in voller Montur mit einem Streichquartett auftreten. Zur Feier des Tages singt das Publikum mit. Ich auch ein bisschen. 2009 Mal klatsche ich in die Hände, klopfe ich an mein Hirn.

fm4 ond
Nächste Woche dann: Dananananananakroyd, Simon Amstell, Grizzly Bear u.a.