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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

30. 10. 2009 - 14:59

Vlog #8: Das Kino 2.0

Internet kills the Movie Star. NOT. Wie die digitale Welt dem Kino zu einer Wiedergeburt verhelfen kann.

Ich habe an dieser Stelle schon einmal, nämlich hier, darüber nachgedacht, wie sich die österreichischen Filmverleih- und Festivalstrukturen (nicht) ergänzen. Soll heißen, was also alles an schönen, interessanten, guten Filmen liegen bleibt, weil ihnen von vornherein entweder a) kein künstlerisches und/oder b) kein kommerzielles Potenzial zugestanden wird. Wir wissen es alle, die Viennale ist, wie auch immer man zu ihr stehen mag, eine Utopie, in der die Dynamiken, die Filmauswertungen und –verwertungen ansonsten steuern, außer Kraft gesetzt sind.

In den letzten Jahren hat sich aufgrund der Ausdünnung und Uniformierung der jeweiligen nationalen Verleihpolitiken (und glaubt mir, wir in Österreich sind sowohl in punkto Quantität wie auch in punkto Qualität im innereuropäischen Vergleich bestens bedient), eine neue Filmgattung entwickelt, die ausschließlich auf diversen Filmfestivals all over the world zu sehen ist. Mir fällt dazu unweigerlich das Wort "Inzest" ein, denn bei den meisten dieser jungen, radikalen und oftmals durchaus talentierten Autoren sieht die Wahrnehmungskette folgendermaßen aus: sie drehen einen Film, der – oha, altmodisch, romantisch gar – aufgrund seiner ästhetischen, formalen und inhaltlichen Beschaffenheit den Originalitäts-Stempel aufgedrückt bekommt. Und zwar von einem der wenigen Kritiker, die einen ungemein breiten Filmhorizont mit einer Anti-Establishment-Haltung verkuppeln und noch dazu das Privileg haben, in einem Medium zu publizieren, das vor allem branchenintern hohes Ansehen genießt.

Comic

www.koreanfilm.org.uk

Faceless Things: der brutale Debütfilm des jungen Koreaners Kim Kyung-Mook

Es entwickelt sich ein Paradoxon: Cinephile, Kuratoren, Archivare und Kritiker schreiben sich selbst eine Filmgeschichte herbei, die bei einem Großteil der kinointeressierten Öffentlickeit kein Echo mehr erzeugen kann, ganz einfach, da sie bei diesen Personen nicht einmal mehr ankommt. Jetzt kann man natürlich sagen, dass in Zeiten des digitalen Datentransfers nichts einfacher ist, als an einen obskuren Film zu kommen. Stimmt schon: nur hilft es eben auch nicht, wenn interessierte Privatpersonen sich, sagen wir, den neuen Film von Albert Serra, Kim Kyung-Mook oder Vimukthi Jayasundara via spezialisierter Filesharing-Plattformen auf den Heimcomputer saugen. Denn daraus entsteht noch keine öffentliche Diskussion darüber, keine breitere Auseinandersetzung mit dem Regisseur und seiner Arbeit. Bin ich altmodisch? Kann sein. Ich rauche noch nicht Pfeife.

Michael Jackson

www.theimagist.com

Harmony Korines "Mister Lonely" war in Österreich nie in den Kinos zu sehen. Zeit, die Sache selbst in die Hand zu nehmen

Wir sind das Kino

Der Schlüssel zu einer neuen Filmgeschichtsschreibung, die – lasst uns mal utopisch sein – eventuell auch den Gang der Filmgeschichte in gewisser Art und Weise lenken kann, der liegt in den Händen nicht zuletzt von den offensichtlich kinointeressierten Lesern und Leserinnen dieses Journals. Wieso? Ganz einfach: nehmen wir an, Frau Agathe interessiert sich im Besonderen für das thailändische Trash-Kino der Siebziger Jahre und ordert regelmäßig über diverse Online-Shops neue, spannende DVD-Editionen dieser Filme. Vermutlich schaut sie sich die oftmals hundigen Transfers der objektiv betrachtet schlechten Schundler auf einem zehn Jahre alten Röhrenfernseher an, saugt die DVD-Extras begierig auf und geht mit ihrem immensen Wissen schlafen. Was Frau Agathe nun machen sollte, ist folgendes: ihre Gedanken, Informationen und Urteile zu diesem Film publizieren. Dabei kommt es gar nicht mehr so sehr darauf an, dass sie gut formulieren oder schön schreiben kann: einfach weil es wichtig ist, dass ihre Gedanken dazu in die Kanäle eingespeist, also veröffentlicht werden.

Monstervogel

http://episteme.arstechnica.com

"The Giant Claw", eines der schönsten Filmmonster aller Zeiten: vielleicht bald auch im Kino?

Aus dem Netz. In das Kino!

Es geht darum, einen ganz gewaltigen Schritt zu unternehmen. Nämlich den Schritt von der digitalen Liebhaberei und Filmdiskussionskultur hin ins analoge Leben, auf die Leinwände. Das Kino ist ohne die legalen wie die illegalen Kauf- und Tauschplattformen im Internet nicht mehr denkbar, nicht mehr überlebensfähig. Die übersteigerte bis teilweise sicherlich gerechtfertige Kriminalisierung der grassierenden Piraten-Bewegung macht vor allem eines klar: dass nämlich die Nachfrage nach guten Filmen entgegen aller Unkenrufe vom Tod des Kinos nicht etwa gesunken, sondern vermutlich sogar noch gestiegen ist, gerade aufgrund der schnellen und jederzeitigen Verfügbarkeit.

Nur sind die momentanen Distributionskanäle derart schwerfällige Monstren, dass sie der sich radikal veränderten Medienlandschaft nur mehr hinterher hinken können. Reaktionäre Puristen verteufeln den vereinfachten Filmkonsum auf Mobiltelefonen, Laptops und Fernsehern, weil damit freilich auch ein Stück weit die tradierte Kinokultur mit abgebaut wird. Ich wage aber zu behaupten, dass sich niemand gerne Filme auf einem kleinen Display ansieht, wenn er sie in weitaus besserer Qualität auf der Leinwand sehen könnte. Diverse Umfragen und Forschungen haben ergeben, dass der überwiegende Teil der aus dem Internet gesaugten, demnach raubkopierten Filmen aktuelle Produktionen sind.

Männer

www.screencrave.com

Richard Linklaters "Me and Orson Welles" feierte seine Weltpremiere im vergangenen Herbst - und ist dann verschwunden. Am 25. November startet der Film in den US-Kinos. Ein Sprung über den großen Teich ist sehr unwahrscheinlich.

Der Leviathan ist tot

Der Leviathan Hollywood mit seinen kraken-artig um sich greifenden Studio-Tentakeln wähnt sich außerstande, auf die gewaltige Nachfrage nach seinen Produkten adäquat zu reagieren. Kein Wunder, dass wenn man in der alten Welt teilweise Monate darauf hoffen muss, dass ein Lieblingsfilm in die heimischen Kinos kommt, und, wenn die Risikostrategen grünes Licht gegeben haben, er dann bis auf eine Handvoll Ausnahmen in synchronisierten Fassungen gestartet wird, dass sich die mündigen Konsumenten, die sich über das Internet von den alten Distributionswegen emanzipiert haben, Alternativen suchen. Selbst dann, wenn es unbefriedigende Alternativen sind. Das Kino ist tot. Lang lebe das Kino!

Liebe Leserinnen und Leser: falls ihr euch jetzt wundert, was meine Ausführungen mit der gerade laufenden Viennale zu tun haben, kann ich nur sagen: sehr viel. Denn das verdienstvolle Filmfestival ist wie jedes andere auch eine altmodische, jedenfalls nicht mehr zeitgemäße Idee, geboren aus dem gegenkulturellen Ansatz heraus, eben das Kino zu fördern und zu unterstützen, welches von den üblichen Verteilungskanälen vernachlässigt bis unterdrückt wird. Anstatt hier jetzt diese virtuellen Seiten nur damit voll zu schreiben, was auf dem Filmfestival – gezwungenermaßen – alles fehlt, ist es an der Zeit, unsere Ärsche von den Stühlen und Sofas zu hieven und unser Filmglück selbst in die Hand zu nehmen.

Für eine neue Ordnung

Damit meine ich zum einen die Kommunikation über Film: International agierende Plattformen wie etwa The Auteurs, über die ich hier bereits berichtet habe, entwerfen im Internet eine ganz eigenständige Utopie Film. Eine Art der Online-Videothek, in der man pro Filmsichtung einen gewissen Betrag bezahlt oder eben das gesamte Angebot der Seite monatlich abonniert, die aber, und das ist das eigentliche Geheimnis, auch eine wichtige Vernetzungsplattform geworden ist. Wie bei Facebook, stellt man auf der persönlichen User-Seite seinen eigenen Filmgeschmack aus, diskutiert über einzelne Werke und Regisseure.

Mann

www.filminfocus.com

Todd Brown, Gründer von Twitch

Von Fanjungs und –mädchen aufgezogene Seiten wie Todd Browns Twitch vermitteln vor allem über ein international florierendes Leidenschaftler-Netzwerk einen unorthodoxen Ausschnitt des gegenwärtigen und vergangenen Kinos. Im deutschsprachigen Raum gibt es unzählige empfehlenswerte Blogs und Initiativen wie die OFDB, eine umfassende Filmdatenbank inklusive User-Rezensionen, die einen Schwerpunkt auf die verschiedenen kursierenden DVD-Fassungen (geschnitten oder nicht) legt, oder die österreichische Seite Filmtipps, die gerade erst einen sehr empfehlenswerte Bereich zu Giallo-Filmen angelegt hat.

Filmfestival 2.0

Ich meine: es ist an der Zeit für das Kino 2.0, für ein user-generiertes Filmfestival. Es muss doch möglich sein, die im Internet bestehenden Netzwerke und Allianzen (vor allem jetzt mal hier in Österreich) zu bündeln in einen Filmklub, mit dem Ziel, dass dieser Pool von Leuten, diese utopische Gemeinschaft einmal im Jahr eine Convention, ein Festival ausrichtet in einem Kino (!), bei der man sich dann eben nicht nur trifft, sondern bei der dann die Filme zu sehen sind, die ihr sehen wollt.

Es gibt so viele unsichtbare Experten und Expertinnen da draußen, die teilweise so viel mehr wissen, als jene Schreiber und Kritiker (mich eingeschlossen), die das Privileg haben, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Ihr alle sollt über Filme, obskur oder nicht, schreiben, sie vorstellen, argumentieren, warum oder wieso sie in Österreich zu sehen sein sollen. Die anderen Klubmitglieder können und sollen dann darüber abstimmen. Fünf Euro im Jahr, vielleicht zehn Euro. Als Gegenleistung hat man freien Eintritt bei einem Film des Festivals. Das könnte bei entsprechender Mitgliederanzahl im Klub reichen, um ein feines Startkapital auf die Beine zu stellen. Um einen Kinobetreiber (ich habe eh schon mit einigen geplaudert) davon zu überzeugen, die Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Um auf die Suche nach Sponsoren zu gehen. Denn welches Unternehmen würde nicht eine Veranstaltung unterstützen oder auf einer Veranstaltung werben wollen, die garantiert gut besucht sein wird? Natürlich wird man nicht jeden Film bekommen, natürlich ist so eine Initiative abhängig von vielen anderen Variablen. Aber wäre es nicht einen Versuch wert?

Kino

flickr

Orgie gefällig? Ich bitte um Kontaktaufnahme

Ich bitte all jene, die das hier lesen, um Feedback. Postet unter den Artikel, schreibt mir an meine Mail-Adresse, freundet euch auf Facebook mit mir an. Es kann voran gehen. Filme müssen ins Kino. Das Kino braucht Publikum. Es braucht uns. Ohne Atempause.