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Alex Wagner

Zwischen Pflicht und Kür

30. 10. 2009 - 15:30

Egal, was Sie gut finden - wir sind dagegen!

Das Satiremagazin Titanic ist dreißig Jahre alt geworden und feiert seinen Geburtstag mit dem Buch "Das Erstbeste aus 30 Jahren".

Glänzende Augen habe ich bekommen, als mich meine Kollegin Zita gefragt hat, ob ich nicht Zeit für einen Beitrag zum dreißigjährigen Jubiläum des Satiremagazins TITANIC und zum unlängst erschienenen Buch "TITANIC - Das Erstbeste aus 30 Jahren" hätte. Klar habe ich und zudem noch Expertise, bin ich doch seit mehr als sechs Jahren Abonnent des Magazins.

An dem Buch gibts wenig, was sich bekritteln lässt. Es liefert einen guten Überblick über die erfolgreichsten Cover, Geschichten und Aktionen seit Bestehen der TITANIC inklusive rückblickender Kommentare von den alten TITANIC-Haudegen Pit Knorr, Hans Zippert, Martin Sonneborn, Mark-Stefan Tietze und Oliver Maria Schmitt.

Titelbild Titanic Kohl und Merkel

Titanic

Altes vs. neues Cover: "Wiedervereinigung ungültig: Kohl war gedopt!" und Angela Merkel im Natascha-Kampusch-Outfit: "Kohls Mädchen packt aus! - Ich musste Kanzler zu ihm sagen!"

Die schärfsten Kritiker der Elche, waren früher selber welche

Wenn man sich mit Menschen älterer Generation über die TITANIC unterhält, bekommt man immer "früher war alles besser" zu hören. "Wenn man die damaligen Cover mit heutigen vergleicht, sieht man, wie schlecht die TITANIC mittlerweile geworden ist." Das strotzt nur so vor Glorifizierung alter Zeiten, als die, die ihn von sich geben, selbst noch jung waren. Nur die besten Cover bleiben in Erinnerung und werden mit Erlebnissen aus der eigenen Jugend verknüpft. Die schlechteren Cover - und davon gibt es heute wie damals viele, da Satire immer vom aktuellen Geschehen und von der Kreativität ihrer Erschaffer abhängig ist - verschwinden im Nirvana des Großhirns. Doch auch heute wird die TITANIC heimlich im Matheunterricht gelesen und dabei gelacht. Allerdings ist es jetzt viel schwieriger, Tabus zu brechen, als noch zu Zeiten der Titanic-Vorgängerin Pardon.

"Als etwa das satirische Blatt Pardon 1962 von Hans A. Nikel und Erich Bärmeier gegründet wurde, konnte (und daher: musste) man noch dafür streiten, dass das Wort 'Brüste' auch außerhalb des Beichtstuhls geflüstert werden durfte. Heute schreien bisexuelle kinnbärtige Bischöfinnen der nordelbischen evangelisch-lutherischen Kirche regelmäßig jeden Sonntag unter obszönen Beckenkreisbewegungen Fachbegriffe wie 'Fotzenenthaarungscreme' von der Kanzel, zu ungelungener Techno-Musik von Scooter."

Titelbilder Titanic Zonengaby Fritzl

Titanic

Altes vs. neues Cover: "Zonen-Gaby (17) im Glück (BRD): Meine erste Banane" und "Höchststrafe für den Horror-Opa: Fritzl wird EM-Maskottchen!"

Wer die TITANIC nur an Hand ihrer Cover beurteilt, dem entgeht, was sie so besonders macht: Die bunte Mischung aus Klamauk, Comics, Realsatire, Medienkritik und wissenschaftlichem Statement. Gerade die letzten Punkte machen die TITANIC zu einem ernstzunehmenden, weil kritischen Magazin.

Das Buch "Das Erstbeste aus 30 Jahren" konzentriert sich jedoch auf die medial am stärksten wahrgenommenen Sujets, was zur Folge hat, dass hintergründigere Geschichten im Buch keinen Platz finden. Wo bleiben die medienkritischen Leitartikel, die beispielsweise die redundante Verwendung des Gesellschaftsbegriffs von Jürgen Habermas thematisieren?

Die verbotenste Zeitung Deutschlands

Von 360 Ausgaben wurden 27 Titel der TITANIC verboten. In den letzten fünf Jahren gab es lediglich eine indizierte Ausgabe. Die Schlussfolgerung, dass die TITANIC weniger angriffslustig geworden wäre, ist jedoch falsch. Vielmehr ist die Rechtslage in punkto Satire liberaler geworden. Zudem haben die Opfer der Satire bemerkt, dass sie durch ihre Klage nur noch mehr Aufmerksamkeit auf das verschmähte Sujet lenken und damit das Gegenteil dessen erreichen, was sie eigentlich mit der Klage bezwecken wollten.

Focus-Chef Helmut Markwort zum Beispiel verklagte das Blatt, das sich bis heute weigert, die neue Rechtschreibung zu verwenden, auf Grund einer TITANIC-Parodie des Focus-Werbespots. Aus "Fakten, Fakten, Fakten" wurde "Ficken, ficken, ficken und nicht mehr an die Leser denken". Die Klage ließen die TITANIC-Redakteure nicht auf sich sitzen. Sie verkleideten sich - alle über dreißig Jahre alt - als Schülerzeitungsredakteure und statteten der Focus-Redaktion einen Besuch ab, als Markwort gerade nicht in der Redaktion saß. Sein Stellvertreter bemerkte keineswegs, dass die Redakteure für eine Schülerzeitung ziemlich alt aussahen. Geduldig beantwortete alle Fragen der SchülerInnen und seither weiß ich, dass man als Topjournalist nicht nur alle Comic-Helden, sondern auch deren Hunde beim Namen kennen muss.

Zur Geschichte der TITANIC

"Der Chefredakteur des Vorwärts hatte Ende 1977 den Verlegsberater Gerhard Sondermann, früher in Diensten von Gruner+Jahr, in die Bonner Redaktion geholt. Sondermann schlug vor, ein Satireblatt nach dem Muster des französishen Canard enchaîné zu produzieren. Und dank seiner Verbindungen gelang es, Gruner+Jahr 20000 Mark für die Produktion einer Nullnummer zu entlocken. Den satirischen Inhalt sollten unter anderem Pit Knorr und Chlodwig Poth besorgen, die beim Vorwärts die Humorseite betreuten und von denen man erwartete, daß sie weitere ehemalige Pardon-Mitarbeiter anwerben würden.
Als Titel wählten die Bonner Vorwärts-Satiriker den Namen Devot, der eher auf eine Sadomaso-Vereinsillustrierte hindeutete. Tatsächlich begannen sofort die Machtspielchen. Obwohl die Frankfurter Titel und Inhalt dieser vollkommenen Nullnummer für ziemlich misslungen hielten, bestanden die Bonner Herausgeber auf der Weiterführung des unseligen Konzepts. Es kam zu einem schroffen Briefwechsel und dann zur Trennung. Nur wenig später plante Pit Knorr mit Sondermann ein SPD-freies Satiremagazin."

Und die TITANIC war geboren. Die Gründungsväter Robert Gernhardt, Pit Knorr, Chlodwig Poth, Hans Traxler und F. K. Wächter zahlten 50.000 DM aus Privatkapital und sicherten sich somit eine Sperrminorität von 25,1 Prozent, damit sich die Verleger inhaltlich nicht einmischen konnten. Richtiges Glück hatte die TITANIC aber nie mit ihren Verlegern. Sondermann verschleppte Honorare in Höhe von einer Million DM und finanzierte damit zwei weitere Zeitschriften, sein Nachfolger Erik Weihönig benutzte die inzwischen weit verbreitete TITANIC vor allem dazu, seinen West-Berliner Elefanten-Press-Verlag zu sanieren. Immer wieder konnte man deshalb Sticheleien gegenüber den Verlegern in den TITANIC-Ausgaben ausfindig machen.

BSE - Gottschalk

Titanic

"Erik Weihönig, notorischer Verleger der TITANIC, sucht nach neuen Geldquellen. Wenn Sie eine kennen, schreiben Sie bitte an die TITANIC-Redaktion, Stichwort 'Reibach', Brönnerstr. 9, 60313 Frankfurt. Bitte nur ernstgemeinte Zuschriften; Karten mit Vorschlägen wie 'Mal mit ehrlicher Arbeit versuchen' werden sofort weggeworfen."

TITANIC live

Wer bekannte TITANIC-Autoren live erleben will, hat heute (30.10.2009) im Wiener Rabenhoftheater die Chance dazu. Die TITANIC-Boygroup mit Martin Sonneborn, Oliver Maria Schmitt und Thomas Gsella startet um 20 Uhr ihre Jubiläumsleseshow "30 Jahre TITANIC - Piefkeschmäh at it´s best!"

Was einen da ungefähr erwarten kann, zeigt die Sendung Zimmer Frei mit Götz Alsmann und Christine Westermann im WDR, bei der Martin Sonneborn vor einigen Tagen zu Gast war. Die Sendung hätte ursprünglich gar nicht ausgestrahlt werden sollen, da sie "inhaltlichen Qualitätskriterien" nicht entsprach. Nach lautem Protest zeigte der WDR die Sendung dann doch noch spät in der Nacht.

Westermann: Muss man intelligent sein, um Ironie zu verstehen?
Sonneborn: Ich glaube nicht.
Stille. Close Up Westermann. Verschämt verzieht sie das Gesicht.
Westermann: Hier hagelt es Komplimente.
Das Publikum lacht.
Sonneborn: Ich glaube, es schadet nicht. Intelligenz schadet ja selten beim Verstehen von Dingen. Hab ich gehört.
Westermann: Angenommen, man ist jetzt nicht so super, man ist einfach nur praktisch veranlagt und man sitzt mit Ihnen an einem Tisch, wie soll man am Besten den Abend hinter sich bringen?
Sonneborn: Essen und den Mund halten.