Erstellt am: 28. 10. 2009 - 06:00 Uhr
Summer of Love
Seit Jahren schlurft der Genre-Zombie namens romcom ewig blutleer und geistarm über die Leinwand und wiederholt variationsmager und zahlos die Geschichte von boy meets girl. Starr beißt er sich in Biologismen und Klischees fest, nicht nur Erzählbogen, sogar Soundtrack und Ausstattung gleichen einander wie Lotte einst Luise. Irgendwann sitzt immer die Frau in Jogginghosen weinend am Laura Ashley Sofa, trinkt Rotwein und zupft Taschentücher aus einer dieser quadratischen Boxen. Irgendwann wird eine der Figuren minimal geläutert und bald darauf Hochzeitsglocken geläutet.
Von Zeit zu Zeit die Vorzeichen ändern, Gewohntes umdrehen oder zumindest mit der publikum'schen Erwartungshaltung spielen: das funktioniert in allen anderen Genres recht gut, immer wieder tauchen da Filme auf, die festgewachsene Genrekrusten abwerfen. Nur bei der romcom setzt man gerne allzusehr auf Nummer Sicher. Videoclip-Regisseur Marc Webb setzt dem Genre jetzt die Defibrillatoren an und verpasst ihm einen Indie-Anstrich. (Das mit diesem Begriffquirks muss bald ein Ende haben, dieses indie, das so gar nichts mit der eigentlichen Bedeutung eines independent Films zu tun hat, sondern nur mehr Filme einer Nische beschreibt, in der sich vor allem Fox Searchlight erfolgreich breit gemacht hat, das nervt. Wenn das so weitergeht, dann entsteht hier nämlich der nächste Genre-Käfig.)
Centfox
This is not a love story
"(500) Days of Summer" stellt die Bausteine des romantischen-Komödie-Grundgerüsts um: Während die gewöhnliche romcom so tut, als sei mit dem ersten Ton des Films noch nicht in Stein gemeißelt, dass die beiden Protagonisten früher oder später vor dem Altar landen werden, also um die "Werden sie sich kriegen oder nicht"-Frage rankt, geht es bei "500 Days of Summer" um die Frage, was denn hier schiefgegangen ist. Gleich zu Beginn sagt uns eine Stimme this is not a love story, dann versetzt der Film der Chronologie einen Tritt in den Hintern und lässt uns an Grußkartenzeichner Toms Erinnerungsmelange an 500 Tage mit seiner Arbeitskollegin Summer teilhaben. Beide hören gerne The Smiths, bekanntlich sind some girls bigger than others und Summer ist für Tom die Größte. Die Bezauberndste. Die Umwerfendste. Die Schwer-Verständliche.
Centfox
Didn't have a dream in a long time
Hier trifft Boy (Joseph Gordon-Levitt) trifft zwar immer noch girl (Zooey Dechanel), nur die will partout nichts von Liebe wissen. Von Beziehung noch weniger. Tom hingegen geht davon aus, dass er erst wirklich glücklich sein wird, wenn er die Eine zu der seinen gemacht hat. Der Pullunderträger ist so einer, dem man ein "hoffnungslos" vor die Bezeichnung "Romantiker" stellt; er hält selbst das Ende von "The Graduate" für ein glückliches. Und weil man verliebt ja gern mit Anlauf und Freude in offene Messer rennt, lässt sich Tom auf Zooeys "wir wollen nur Freunde sein"-Pakt ein. Nur Freunde die beim Bürokopierer schmusen, nur Freunde, die händchenhaltend durch Ikea laufen, nur Freunde, die miteinander schlafen. Und irgendwann wieder wirklich nur Freunde.
Kleine große Schwester
Bonus: Zooey Deschanel und Joseph Gordon Levitt tanzen bezaubernd schön durch das Musikvideo zu "Why do you let me stay here"
Die Nicht-Chronologie ist mehr als nur Zwangsoriginalität oder Gimmick, sie ist auch wahrhafter, was Erinnerungsdynamiken betrifft. Die halten sich ja auch an keine Chronologie, springen auch von hier nach dort von Herzensbruch zu erstem Kuss, von leiser Düsternis-Vorahnung zur Himmelhochjauchzerei. Aus Toms Erinnerungen erwächst ein Kaleidoskop aus Glück und Unglück, aus Euphorie und Enttäuschung. Doch nicht nur auf der Zeitebene verweigert "(500) Days of Summer" die Strickvorlage zur romantischen Komödie; zwar bricht er nicht mit der Heterosexualitäts-Regel, aber dreht doch zumindest ein bisschen an den klassischen Geschlechterrollen, indem er Summer den Part der Liebes-Atheistin zuweist und aus Tom keinen Dompteur macht, der die Widerspänstige zähmt. Auch geschlechter- und alterstechnisch gegen die Gewohnheit besetzt ist die Beziehung zwischen Tom und seiner kleinen Schwester, eine 11jährige, die Tom aus dem Liebesrausch auf den Boden der Tatsachen holt: "Just because she's likes the same bizzaro crap you do doesn't mean she's your soul mate."
Centfox
Formal gibt sich der Film verspielt, lässt den Manierismus aber zuhause; bringt eine wunderschöne split screen-Sequenz aufs Parkett, in der der spilt screen auch erzählerische Bedeutung hat und für all die Nörgler, die dem Film mit seinem Soundtrack berechnedes Indie-Liebäugltum unterstellen wollen, gibt es eine fantastische Musical-Tanzeinlage-Sequenz zu den doch bewiesenermaßen eher uncoolen Hall&Oates (und ein überraschendes "She's like the wind"-Zitat). Popkulturelle Zitate und Querverweise passieren hier ohne Naseweiß-Sein und mit Zweck. Doch bei aller formaler Schönheit und gelegentlicher Smiths-Musik steht und fällt ein Film dieser Art mit seinen Hauptdarstellern.
Centfox
Joseph und Zooey
Und die sind zugleich zum Niederknien und Aufhüpfen. Joseph Gordon-Levitt gibt nonchalant den jungen Mann mit dem großen Herz und den kaputtgemachten Träumen, lässt die großen Gesten und die Übertreibung Zuhause und seine Mimik einen Großteil der Schauspielarbeit machen. Zooey Deschanel ist die ideale Wahl für die Verkörperung der leicht entrückten, nicht wirklich greifbaren Summer, sie kombiniert Mädchenhaft-Sein mit Selbstbestimmung. Sie bleibt ein bestirnfranstes Mysterium mit Ringo als Lieblingsbeatle.
Gekritzel
Wenn in "(500) Days of Summer" die obligatorischen Kritzel-Zeichnungen (ich nenne es den "Napoleon Dynamite"-Fluch) auftauchen, so sind sie in der Geschichte verankert und nicht Indie-Stigma zum besseren Vermarktungszweck: Die im Film verwendete Grafik, die vor jeder Sequenz informiert, an welchem der 500 Tage wir uns befinden, nimmt Bezug auf Toms Zeichnungen, der zwar den Traum vom Brotberuf Architekt beiseite geschoben hat, nicht aber die Angewohnheit, Architekturskizzen anzufertigen.
Auch "(500) Days of Summer" ist eine Skizze; die einer Liebe. Dass diese teilweise nicht erwidert wird, macht weder diese Liebe noch diesen Film weniger groß.