Erstellt am: 27. 10. 2009 - 13:45 Uhr
Neues Label: Comfortzone
Comfortzone
Das hat ja gerade noch gefehlt – und dieser sonst so ironische Ausruf ist hier ausnahmsweise einmal knochenernst gemeint: Ein Label für feministische und queere (elektronische) Musikproduktionen. Hatte man sich doch schon lange genug gefragt, wieso es eine solche Plattform eigentlich nicht gibt, und sei es nur, um all jene Lügen zu strafen, die immer unken, radikale Politics und maximaler Spaß auf dem Dancefloor (oder auch mal im Ohrensessel) gingen nicht zusammen. Nachdem in Wien schon seit Jahren das von DJ Electric Indigo initiierte Netzwerk female:pressure für alle Frauen, die im weitesten Sinne mit elektronischer Musik zu tun haben, existiert, kommt nun quasi auch das fehlende Label dazu – obwohl es hier nicht nur um Club-Musik geht. Die GründerInnen Christina Nemec und Konstantin Drobil, beide wohlbekannte, lang gediente AkteurInnen der Wiener Szene, setzen dabei nämlich statt auf nur eine Spielart von Musik auf die Akzentuierung von Mikrogenres.
Comfortzone
„Comfortzone spezialisiert sich auf die verschiedensten Ausformulierungen elektronischer Szenen – von Klangforschung zum Club, von Electro-Disco zu Minimal Soundart bis zu Lo.Fi Weirdness...“ heißt es in der Selbstbeschreibung von Christina, die neben ihrer Tätigkeit als DJ und Musikerin (SV Damenkraft, Mopedrock) auch in Projekten wie der queeren Burleske „Orlanding the Dominant“ sowie als Moderatorin ihrer eigenen Minisendung „Popplastikka“ auf Okto TV auftaucht, und Konstantin, dem Gründer des Musikvertriebs Trost und Betreiber des Wiener Plattenladens Substance. Als Auftakt des frisch gegründeten Imprints gibt es gleich eine Überraschung, ist doch die erste Katalognummer das Solo-Debüt der Label-Chefin persönlich. Unter dem Alias Chra veröffentlicht Nemec das Album „Derive“, auf dem sie sich, mit deutschem und englischem Gesang und einem Repertoire an experimentierfreudigen Sounds, zwischen klopfenden Clubrhythmen, kühlen New-Wave-Anwandlungen, auffrisierten Neo-Chansons und Kopfnicken zu Kolleginnen wie Gustav und Chicks on Speed bewegt. Und an theory & politics darf es natürlich auch nicht fehlen: „To be male is not to be sexed, to be white is not to be raced.“ Wie wahr, und wie erleichternd, dass dies auch mal im Elektronik-Kontext ausgesprochen wird.
Comfortzone
Auf diesem Debut ruhen sich die frisch gebackenen LabelgründerInnen aber mitnichten aus, denn die nächsten Katalogeintragungen jagen gleich nach der ersten um die Ecke. In einer projektierten 12“-Reihe mit bis dato eher unbekannten, internationalen KünstlerInnen – Comfortzone legt laut Eigenaussage viel Wert auf die Pflege internationaler Beziehungen – versammeln sich immer zwei spannende up-and-coming Acts mit je zwei Stücken auf einer Maxi. Bei der Nummer 2 sind das Bonnie Li aus Paris und Berlin, die mit heißem Pop-Appeal eine Art Vocal-Cut-Up-Swing betreibt, und Frau Herz aus Wien, deren melancholischer Orgel-Gitarren-Sound mit schmelzendem Gesang geradezu herzzerreißend ist. cz003 gehört auf der A-Seite Alloy Alloy, einem Duo aus Kopenhagen mit peitschend-kühlem Wave-Electro und auf der B-Seite den Wahlberlinerinnen von Stereonucleose die mit ihrem verspielten Gedaddel und der aufregenden Sprachmischung ein wenig an die Kolleginnen von Rhythm King and Her Friends erinnern.
Gemütlich und saturiert geht es, ganz entgegen des Namens, in dieser Comfortzone nun also wahrlich nicht zu. Auch wenn das Hitpotenzial einiger Songs durchaus gefällig ist und gefällt, ist ein Label wie Comfortzone wohl eher der Stachel im Fleische einer immer maroderen und einfallsloseren Musikindustrie bzw. Szene. Willkommen in der Discomfort Zone.