Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Hedonismus, beatbetrieben, Lauschen in Andacht"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

27. 10. 2009 - 10:57

Hedonismus, beatbetrieben, Lauschen in Andacht

Die Tage 4 und 5 beim Elevate in Graz: Tanzen am Samstag, Konzerte am Sonntag: Glitterbug, Bodycode, Cluster, Jon Hopkins, Evangelista.

Mit dem Bleifuß durch die Ziegelmauer. Musiken, die es sich als ideologischen Teilaspekt ostentativ auf die Fahnen geschrieben haben, besonders krass, besonders hart, total rough, voll extrem und überhaupt uroag zu sein, muss man nicht sympathisch finden. Am Samstag Abend steht der kleinste Floor des Elevate Festivals, Uhrturm Kasematte, neben der recht schwammigen Losung "Mashup" hauptsächlich unter dem Motto "Breakcore/Hardcore": Unter erhöhten BPM-Zahlen wird da ein Gewitter ins Gemäuer gebrettert - es ist so ziemlich die menschenfeindlichste Musik von überhaupt. Ohne verallgemeinern zu wollen. Welcome to the Thunderdome, da bleib' ich lieber bei Zwölftonmusik.

Aber, aber, Elevate, good ol' box of chocolates: Weniger reißerisch, dafür zehnmal einem von Exaltiertheit, leidenschaftlichem Glimmen und gutem Benehmen getragenen Dancefloor dienlicher erweisen sich wieder die beiden anderen Floors. Im kleineren Stollen gilt es unter den Vorzeichen von angehoustem Dubstep und Funky beispielsweise die jungen englischen Boys Jackmaster und L-VIS 1990 mit einem fantastischen Set zu erleben oder den mit einem Wimpernschlag locker die Genregrenzen verwischenden Bass Clef, samt Cowbell und Posaune.

Clara Moto

Philipp L'heritier

Clara Moto
Bass Clef

Philipp L'heritier

Bass Clef

Die Grazerin Clara Moto ist nicht nur eine ausgezeichnete Produzentin (wie übrigens in einem schon etwas angestaubten Text an dieser Stelle schon einmal bemerkt), sie ist auch eine ausgezeichnete DJ, das hat sich vielleicht schon herumgesprochen. Sie eröffnet den Samstag Abend auf dem Hauptfloor im Dom im Berg mit einem Set, in dem sich - ähnlich wie in ihren eigenen Stücken - das Druckvolle und das Gefühl für den schwelgerischen Popmoment gut ergänzen. Die sehr gute Single "Silently" von Clara Moto feat. Mimu sei nochmals ausdrücklich empfohlen.

Überhaupt gibt sich das Programm für einen großen Floor und einen Samstag überraschend und erfreulich unranschmeißereisch und antigrell. Auf Clara Moto folgt ein Höhepunkt des ganzen Wochenendes, ein Eldorado der Kontemplation: Glitterbug, die Musik für stilsicheres Tanzen in Andacht. Der Kölner Till Rohmann hat 2008 unter dem Namen Glitterbug 2008 mit seinem Debütalbum "Supershelter" eines der vielseitigsten House-Alben des letzten Jahres veröffentlicht, gemeinsam mit der aus Jerusalem stammenden Videokünstlerin Ronni Shendar betreibt er das Medienkunst- und Musikfestival C.Sides, sowie das eigene Plattenlabel gleichen Namens. Auch die Auftritte von Glitterbug werden immer gemeinsam bestritten. Shendar wirft verwaschene Bilder von Stränden, Tauben, an die Küste schlagenden Brandungen auf die Leinwand, Autofahrten, durch einsame Waldstücke hindurch, über leere Landstraßen.

Das Set von Glitterbug ist ein leicht melancholisches Driften zwischen den Orten, ein Set, mit richtiger Dramaturgie, nicht das bloße Abfeuern von Tanzbodenfüllern, ein Aufbau, eine zwingende Aneinanderreihung von verblassten Postkartenerinnerungen aus einer schöneren Vergangenheit. Glitterbug lässt sich Zeit. Es knistert, es tropft, nach einem Ambient-Intro darf langsam die Bassdrum hochfahren, Streicher flackern auf und verebben wieder im Niemandsland, andächtiges Glockengebimmel und heftiges Hi-Hat-Gezischel. Das erinnert nicht selten an die von wohliger Schwermut beflügelten Produktionen des Hamburger Labels DIAL rund um die Produzenten Larwence, Carsten Jost, Efdemin und Pantha du Prince. Da reichen sich bedächtige Listening-Elektronik und unbedingte Tanzbarkeit die Hände, da kann zwischendurch mühelos auch wieder der Druck rausgenommen werden und können kitschlose Trance-Flächen in den Mix geschoben werden. Dass Rohmann und Shendar hinter ihrem Pult, lächelnd und tanzend, sichtlich Spaß an der eigenen Performance haben, macht die ganze tatsächlich großartige Angelegenheit nur noch erfreulicher. Auf einer zärtlichen Bassdrum reiten wir durchs zerbröselnde Herbstlaub.

Glitterbug

Philipp L'heritier

Glitterbug und Ronni Shendar
Glitterbug

Philipp L'heritier

Mit einem ähnlich guten, sonst aber ziemlich anders angelegten Set, bringt danach Bodycode den Dancefloor endgültig in Wallungen. Der eigentlich aus Südafrika stammende, mittlerweile in Berlin lebende Alan Abrahams hat schon unter dem Namen Portable einige sehr schöne, tendenziell aber eher dem Schaukelstuhl zuarbeitende Stücke veröffentlicht, als Bodycode drückt er mit seinen Produktionen ausdrücklich auf den Dancefloor. Mit Stil.

Sein Album "Immune" ist eines der besten House-Alben des Jahres, ein Labyrinth an Ideen, in dem klassisch - gerade so als wär' man in Chicago - jackender House mit absurd auseinanderbrechenden Soundeinfällen zusammenkommt. Vocal-Schnippsel, haufenweise Percussios und Geklapper, hier gibt gerade noch die große Göttin Bassdrum im 4/4-Takt die Strukturen vor, und kurz darauf stehen wir vor einem Scherbenhaufen der Songdekonstruktion. Live ist Alan Abrahams ein komplett den Hedonismus versprühender Alleinunterhalter, Mini-Discokugel, Theremin und Funker-Mikrofon zur eigenen Stimmverfremdung inklusive. Großartig glüht der Dancefloor, da kann der darauffolgende Omar S, bei allen berechtigten Vorschusslorbeeren, nicht ganz mithalten.

Bodycode

Philipp L'heritier

Bodycode
Bodycode

philipp L'heritier

Bodycode

Philipp L'heritier

Omar S

Philipp L'heritier

Omar S
Party Elevate

Philipp L'heritier

Weihevoll wir der Sonntag begangen, man scheint sich auf einem anderen Festival als an den Tagen zuvor eingefunden zu haben: Wiederum wird nur der große Floor bespielt - und bestuhlt. Zumindest anfänglich. Für den Abschlussabend haben die Programmgestalter des Elevate ein Programm von hoher Pietät in den Dom gebucht, das eher denn den Raucher als den Raver anspricht. Seefeel, die wiedervereinigten, englischen Verknüpfer von Shoe-Gazer-Gitarren und blubbernder Elektronik haben leider abgesagt, als erster Act des Abends zeigen die zwei elektronischen Urväter (Roedelius mag das Wort "Krautrock" nicht gar so gerne) von Cluster, dass man auch nach über 40 Jahren des Musikmachens noch an aktuellen Entwicklungen andocken kann - und diese mitunter auch weiterdenken. Überraschend dubby, unüberraschend super, Moebius und Roedelius.

Nachdem mighty Carla Bozulich mit ihrem Projekt/ihrer Band Evangelista eine im bestmöglichen Sinne erschütternde Messe aus Todes-Gospels, von Industrial unterfüttertem Verzweiflungsfolk, quietschendem Cello und sinistrer Patti-Smith-Heiligenverehrung im Dom errichtet hat, bittet der junge englische Wonderboy Jon Hopkins (einige seiner Verdienste wiederum hier) mit einem unerwartet beatlastigen Liveset ("more "ravey" than on record!" nennt er das) noch einmal auf den Dancefloor. Big Beat in gut, more ravey in deed.

Auf sehr gute Art und Weise mag beim Elevate vieles nicht so recht zusammenpassen, einmal mit der Clownhose zum Begräbnis, das bringt Prickeln ins Leben. Es soll ja auch Leute geben, die MÖGEN tatsächlich die Rosinen im Kaiserschmarrn.

Roedelius/Cluster

philipp L'heritier

Hans-Joachim Roedelius, Cluster
Evangelista

Philipp L'heritier

Evangelista
Evangelista

Philipp L'heritier

Jon Hopkins

Philipp L'heritier

Jon Hopkins