Erstellt am: 24. 10. 2009 - 07:00 Uhr
Weinen um Nauru
Dieser Artikel basiert großteils auf Informationen aus den jeweiligen Wikipedia-Artikeln zum Thema, was hiermit vermerkt und verlinkt sei.
"Die Klimakrise und die Wirtschaftskrise hängen direkt zusammen", lautet eines der Credos am diesjährigen Elevate-Festival. Doch kaum irgendwo ist dieser Zusammenhang der ökologischen und ökonomischen Fehlplanung so sichtbar wie auf der kleinen Pazifikinsel Nauru. Der drittkleinste Staat der Welt hat in den letzten Jahrzehnten eine dermaßen tragische Geschichte erlebt, die den rund 21 Quadratkilometer großen Rohstofflieferanten in kürzester Zeit vom zweitreichsten Staat der Erde zum Entwicklungsland gemacht hat.
Seit mich mein lieber Freund Manfred Neuper vor einigen Jahren auf das Schicksal der Koralleninsel aufmerksam gemacht hat, verfolge ich die Geschehnisse auf Nauru mit zunehmender Bestürzung.
http://de.wikipedia.org/wiki/Nauru
"Entdeckung" und Ausbeutung
Angefangen haben Aufstieg und Untergang mit einem Fund um die Jahrhundertwende. Nachdem Nauru 1798 "entdeckt" und 1888 von den Deutschen annektiert worden war (übrigens mit finanzieller Unterstützung einer Handelsgesellschaft), entdeckten die Eroberer im Jahr 1900 riesige Phosphatvorkommen auf der Insel.
Die Ausbeutung der ohnehin nicht gerade großen Inselfläche begann. Mit dem Ersten Weltkrieg endete die Präsenz der Deutschen auf Nauru, die gaben die Herrschaft an die Briten, beziehungsweise die Australier ab.
http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Naurus
Dann kam der Zweite Weltkrieg. Um vor der drohenden japanischen Invasion zu fliehen, evakuierten die Briten die Insel, nahmen allerdings nur einen Großteil der Europäer und ein paar chinesische Gastarbeiter mit. Die Naurer selbst blieben und wurden von den Japanern besetzt. Das führte dazu, dass die US Army die Insel bombardierte und neben den Phosphatanlagen auch die wichtigsten Nahrungsmittel-Lieferwege zerstörte. Die japanische Armee deportierte daraufhin die einheimische Bevölkerung, von denen ein Drittel im Exil verstarb. (Die Bevölkerungszahl sank unter 1.500) Bis Kriegsende verhungerten rund 300 japanische Soldaten auf der Insel, Kannibalismus war keine Seltenheit.
Phosphate werden unter anderem in Dünge- und Waschmitteln eingesetzt. Wegen der möglichen negativen Folgen (Algenwachstum, Fischsterben, Gestank) ist der Einsatz in einigen europäischen Ländern verboten. In Softdrinks und Schmelzkäse ist es trotzdem drin.
Als auch dieser Krieg vorbei war, ging das Ausbeuten der Bodenschätze weiter. Die Australier verdienten gutes Geld mit Naurit - einem Düngemittel mit naurischem Phosphat. Doch dann kam das Jahr 1968 und auch die Naurer erreichten das, von dem sie all die Jahre geträumt hatten: nämlich ihre politische Unabhängigkeit.
Das goldene Zeitalter
Mit der Unabhängigkeit konnte die einheimische Bevölkerung erstmals von den profitablen Bodenschätzen profitieren, auf denen sie bisher nur als Zuschauer gesessen sind. Der wirtschaftliche und soziale Aufstieg der Insel in den nächsten Jahren war beeindruckend. Es gab keine Steuern oder andere Gebühren, ein umfassendes Straßennetz, die großen Investitionen in die Bildung führten zu einem Alphabetisierungsgrad von 99 Prozent, und jeder Einwohner besaß zwischen zwei und drei Autos. Arbeiten musste eigentlich auch niemand mehr, da soviel Geld da war, dass für die beschwerliche Bergbauarbeit Gastarbeiter von anderen Inseln ins Land geholt wurden. Nebenbei kaufte Nauru ein paar Immobilien in Australien und produzierte ein (gleich nach der Premiere wieder abgesetztes) Musical in London.
Der Abstieg
http://de.wikipedia.org/wiki/Nauru
Ein großes Problem des Phosphat-Abbaus wurde aber leider nicht wirklich bedacht: Wo Phosphat gefördert wird, wächst nämlich nicht nur sprichwörtlich kein Gras mehr. Dort verödet alles quasi irrevisibel. Aus der hübschen Pazifikinsel wurde eine karge Mondlandschaft, auf der sich nicht einmal Grundwasser sammeln konnte, weil alles in den Steinmulden liegen bleibt und verdunstet. Den Einwohnern blieb irgendwann nur mehr ein schmaler Küstenstreifen zum Wohnen. Und als das meiste Phosphat abgebaut und verkauft war, geriet Nauru ordentlich ins Trudeln.
Das Vertrauen in den ewigen Reichtum war nämlich so groß, dass sich praktisch kein einziger anderer Wirtschaftszweig entwickelt hatte. Und plötzlich war der sehr hohe Lebensstil der Naurer schlichtweg nicht mehr finanzierbar und das Land kaputt.
Richtig bergab ging es dann in den 90er Jahren. Die Regierungen versuchten, aus Nauru ein Steuer- und Geldwäscherparadies zu machen, um Geld ins Land zu bringen. Das führte allerdings zu lautstarken Protesten der internationalen Gemeinschaft und die Geschäftsidee musste aufgegeben werden.
http://de.wikipedia.org/wiki/Nauru
Marcus Stephen hat 1990 bei den Commonwealth Games die Goldmedaillie im Gewichtheben (Reißen) gewonnen und ist amtierender Präsident der Republik Nauru.
Ebenfalls ins Wasser fiel die geplante Gewichtheber-WM auf Nauru. Die Regierung hatte den internationalen Funktionären und Sportlern angeboten, alle Flüge und sogar Preisgeld zu bezahlen. Der Zuschlag war natürlich flugs in der Tasche. Als sich aber abzeichnete, dass sich das die Insel nicht leisten kann, wurde alles abgesagt.
Und irgendwann meldete sich dann die alte Herrschaftsmacht Australien zurück. Man bot den Naurern eine andere kleine Insel an, und zwar mit dem Argument, dass Nauru selbst sowieso hinüber ist. Es gab sogar die Idee, den ganzen australischen Atommüll nach Nauru zu schippern, was (bislang) aber noch keine Zustimmung fand. Was allerdings sehr wohl angenommen wurde, war ein Internierungslager der australischen Regierung für unerwünschte Asylanten. Dafür bekam Nauru auch ordentlich Geld.
http://de.wikipedia.org/wiki/Nauru
Den Abstieg zum Entwicklungsland konnte das aber nicht aufhalten. Die Negativspirale kannte nur mehr eine Richtung: steil bergab. 2005 verkündete eine öffentliche Bank aus den USA, dass das einzige Flugzeug der Air Nauru zurückgegeben werden muss, weil die Schulden zu hoch waren. Damit war die Insel für fast ein Jahr praktisch von der Außenwelt abgeschnitten.
Die Chinesen boten an, die Airline zu unterstützen, wenn Nauru dafür seine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abbricht, was auch geschah. Da China sein Versprechen aber brach, kam dann Geld aus Taiwan und die diplomatischen Beziehungen wurden wieder aufgenommen. Einen ähnlichen Deal gab es mit Japan: Nauru trat der internationalen Walfangkommission bei und stimmte im Sinne Japans. Dass dafür auch ordentlich Geld floss ist zwar nicht bewiesen, aber irgendwie wahrscheinlich.
Eine andere Finanzierungsidee basiert auf der chronischen Fettleibigkeit der Naurer. Auf der Insel sind 80 Prozent der männlichen Bewohner übergewichtig und die Diabetesrate liegt je nach Altersgruppe bei bis zu 50 Prozent. Seit 1997 gibt es jetzt eine Langzeitstudie vom Internationalen Diabetes Institut. Und wenn dabei was finanziell Brauchbares rausschaut, darf Nauru ein bisschen was mitverdienen.
http://www.flags.de/flaggen-fahnen/Oesterreich/Freundschaftspins-Oesterreich-Nauru.html
Als das Schicksal der Insel am Elevate diskutiert wurde, beschlossen einige Leute spontan, eine ordentliche österreichisch-naurische Freundesgesellschaft zu gründen. Bei Interesse daran mitzuarbeiten, bitte E-Mail an mich. Inzwischen kann man hier auf die Webpräsenz der deutsch-nauruischen Gesellschaft ausweichen.
Verschiedene Projekte, andere Wirtschaftszweige wieder zu forcieren, waren bisher eher zum Scheitern verurteilt. Beispiel Fischfang: Jahrzehntelang haben nur wenige Naurer wirklich gearbeitet und das ganze Wissen über Fischfang ist mehr oder weniger verloren gegangen. Ähnlich verhält es sich übrigens mit der ursprünglichen Sprache: Alte Volkslieder die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgenommen worden waren, verstehen nur mehr sehr wenige Menschen.
Nauru heute
Nach zahlreichen politischen Krisen scheint die Regierung auf Nauru derzeit recht stabil zu sein. Dass für fünf Jahren neue Phosphat-Vorkommen unter den bisherigen Abbaustellen entdeckt wurden, hat die Exportrate zwar wieder erhöht, das ökonomische und vor allem das ökologische Desaster wird dadurch aber nicht gerade beseitigt. Vonseiten Australiens gibt es immer wieder Signale, die Unabhängigkeit Naurus rückgängig machen zu wollen und die Atom-Endlager-Idee ist auch noch nicht vom Tisch. Das alles könnte allerdings sowieso obsolet werden, weil Nauru durch seine geringe Größe direktes Opfer des Klimawandels werden könnte. Denn einen Anstieg des Meeresspiegels würde der letzte bewohnbare Küstenstreifen wohl nicht überleben. Und dass das der Meerestropfen ist, der den übriggebliebenen Steinhaufen zum Überlaufen bringt, ist zwar ein dummes Sprichtwort, aber leider sehr sehr wahr.