Erstellt am: 25. 10. 2009 - 14:02 Uhr
ß
Die adelige, im Moment von tout Vienne angehimmelte Tilda Swinton hat dieses Problem verlässlich nicht. Gewiss wird auch sie hin und wieder auf internationalen Flughäfen mit abflugverzögernden Hindernissen konfrontiert sein. Aber sicher nicht, weil die Buchstaben, aus denen sich ihr Name zusammensetzt, mit dem Exotikfaktor ß ausgestattet sind. Aber mit unsereins, tscha, kann man´s ja machen.
Aber zurück zum Anfang. Zu dem Moment, in dem man datenmäßig erfasst wird in diesem Land. Die Geburtsurkunde. Da schreiben wir, die Familie Rußmann, seit Generationen allen Rechtschreibreformen und kaiserlichen Verfügungen zum Trotz ein scharfes ß in die Mitte. Und weil es auf diesem Dokument so festgehalten wurde, folgten andere Behördenschriftstücke demselben Muster. Dann kam die EDV. Und Spompanadel in der Größenordnung "ausschließlich Großbuchstaben" für den Familiennamen. Man stellte uns vor die Wahl: "SS oder SZ". Vom Regen in die Traufe. Das Familienoberhaupt entschied: "Weder noch!" Daher steht in unseren Reisepässen nun: RUßMANN. Aber erklären Sie das mal einem Zollbeamten in Taiwan! Oder einem dahergelaufenen Reisebüro. Oder einem Schwechater Checkin-Beauftragten. Die einen wollen ein b erkannt haben, die anderen tippen in völliger Umnachtung FF, und letztere verfügen lapidar: "Leider, auf dem Ticket steht ein anderer Name als im Reisepass. Wir können Sie nicht mitnehmen." Das war's dann mit der erhofften Ausreise. Da helfen weder biometrische Daten noch Passfoto-Real Life-Gesichtsvergleich, ein ß existiert außerhalb der österreichischen Grenzen nicht. Man muss noch froh sein, nicht als "Frau Rußwurm" angesprochen zu werden. ("Nein, wir sind nicht verwandt!" Wieso sollten wir auch?)
Radio FM4
Aber wie geht es den zahlreichen zugewanderten Mitbürgern und Mitbürgerinnen aus Ländern, deren Alphabete – sofern das die Mehrzahl von Alphabet ist – weitaus kreativer sind als das unsere? Hatschek hier, diakritische Zeichen da? Werden die alle über einen Tastaturenkamm geschoren, zurechtgeschliffen, zsammgestutzt, eingeösterreichert, bereits bei der Ankunft technokratisch eines Stückes ihrer Identität beraubt?
So ein Gschiss um einen süßen Buchstaben prägt. Man muss die zarten Rundungen verteidigen, muss sich einsetzen dafür, dass es bleibt, muss gegen Wegrationalisierung und Familiennamenverstümmelung eintreten, stundenlange Diskussionen in Amtsstuben inklusive.
Das ß und ich, wir sind eine emotionale Bindung eingegangen. Darwin hätte eine Freude mit mir. Das rezessive ß wurde mittels gepflegter Rußmann-Familientreffen zu einem charakterformenden Dominanzfaktor. Jahrzehntelang war meine Großtante im Wiener Telefonbuch die einzige Rußmann, nun sind es sogar schon zwei, mindestens. Soweit, dass Cousins und Cousinen ersten Grades untereinander verheiratet werden, kam es gottlob nicht, man will sich beim Anblick des Familienstammbaums ja nicht in Grund und Boden genieren, ich sage nur Sissi und Franzl. Aber, bereits als kleines Mädchen mit dem Aussterben des wertvollen Zunamens konfrontiert, war eine Bedingung prioritär: wenn Hochzeit, dann nur unter Beibehaltung des Geburtsnamens. Heiraten generell als diskussionswürdiges Konzept habe ich erst später in meinen Wertekanon aufgenommen.