Erstellt am: 25. 10. 2009 - 17:41 Uhr
Alles, nur keine Szene
Vorwarnung
Der folgende Text wurde Anfang Oktober als Leitartikel des Musikteils des als Zelebrierung kreativer Umtriebe in Wien konzipierten Periodikums Departure Look/Book veröffentlicht.
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Robert Rotifer
Alles, nur keine Szene
Versuch einer Erforschung des aufregenden Netzwerks neuer Bands in Wien aus der Ferne
Wie sich nach langem Suchen herausstellte, war das zur täglichen Regelung des Aggressionshaushalts unentbehrliche Kreisky-Album eh nur hinter die Vinyl-Single-Kommode gerutscht. „Terror/Karrieren“, die eigentlich dort hinein gehörende Seven-Inch von Maximilian Freudenschuß, tauchte indessen unter einem Zeitungsstoß in der Küche auf. Wolf Van Den Ends „Stills From Travelling Light“ und das „A Thousand Fuegos“-Album fanden sich schließlich im Stapel „Neulich gespieltes Vinyl“, und für den weiterhin rätselhaft ungeklärten Verbleib der CD „Walzerkönig“ von Laokoongruppe entschädigt immerhin der wiederholte Youtube-Konsum des erstaunlichen Videos zum Titelsong.
Robert Rotifer
Ich könnte das gehäufte Verschollensein all dieser Tonträger als den Fluch der WienerInnen deuten. Oder auch als Testament meiner Sauwirtschaft, obwohl letzteres nicht erklären kann, warum „Ohne Di“, der alle Altersklassen einende Liederreigen von Ernst Molden, Willi Resetarits, Walther Soyka und Hannes Wirth, schon seit mehr als einer Woche nicht den langen Weg zu mir quer über den Kontinent gefunden hat.
Auffällig bleibt, dass ich als einer, der vor über 12 Jahren dem Pop zuliebe nach England zog, mich in letzter Zeit verdächtig oft über Plattenpost aus Wien freue. Und prompt plumpst, während ich dies schreibe, gerade „Down In Albern“, das neue Album von Der Nino aus Wien, durch den Briefschlitz. Schon der zweite Song darauf nimmt mich mit in eine Erinnerung an einen Wien-Aufenthalt vor einem Monat.
„Die Nächte sind länger, als es mir manchmal gut tut ... Ich weiß gar nicht, wo ich lebe / Vielleicht bin ich hier, vielleicht bin ich schon benebelt“ („weit weit weit“)
Wir saßen am Lerchenfelder Gürtel im nächtlichen Regen unter Bäumen vor einem der dortigen Lokale, ich und einer der professionell mit Musik befassten Menschen der Stadt. Es sei ja „total lieb“ von mir, meinte er, dass ich in der Stadtzeitung Falter meine Begeisterung für all die neuen Bands aus Wien bezeugt hätte, „aber du weißt genauso gut wie ich: Das geht sich alles nicht aus.“
Nun habe ich lange genug an meinem Geburtsort gelebt, um die Kunst des vernichtenden Lobes im Kanon der beiläufigen Boshaftigkeiten zu deuten. Leute wie Kreisky, Ernst Molden, Das Trojanische Pferd oder Gustav können auf ganz verschiedene Weise sehr gute Lieder darüber singen.
Was mich aber wesentlich mehr wurmte, war die in der Formulierung des „Sich-nicht-ausgehens“ mitschwingende, obsolete Annahme eines internationalen, sprich angloamerkanischen Standards der Popmusik.
Ich versuchte meinem Gegenüber zu erklären, dass sich etwa eine gelungene Nummer von Aber das Leben Lebt oder Bernhard Schnur gerade in ihrer Eigenart solchen Kriterien entzieht. Er schüttelte nur den Kopf, rollte die Augen und betonte wieder, wie lieb es von mir sei, sowas zu sagen.
Dunkle Melancholie und postkatholischer Herrenausstatter-Punk
Robert Rotifer
Back home in der wunderbar unpassenden Umgebung meiner englischen Emigrantenbehausung liefert die Platte von Nino Mandl alias Der Nino aus Wien nun als Soundtrack der Erinnerung an jene Nacht den überzeugendsten Beleg meiner Schnellschussthese.
Wohlmeinende Kritiker haben diesen jungen Songschreiber mit André Heller verglichen, genauso wie es früher Ernst Molden erging, der in seiner Liederschreiberei in Wahrheit nicht die österreichische Popgeschichte, sondern zutiefst amerikanische Idiome verarbeitet.
Im Fall Mandls steckt bereits im Albumtitel ein selbstironischer Verweis auf „Down in Albion“ von Babyshambles bzw. somit auch auf Pete Doherty als urbane Poetenfigur. Doch während unsereins in den Neunzigern angloamerikanische Einflüsse noch ungebrochen zu übernehmen pflegte (die damalige Band des Autors wurde als österreichische Inkarnation des Britpop vermarktet), übt sich Der Nino aus Wien weder in Imitation, noch Assimilation oder Übersetzung.
Es klingt vielmehr so, als hätte sich da eine Generation in ihrem Umgang mit Pop vom Mutterbiest vollständig emanzipiert, ähnlich wie es der deutschsprachige Hip Hop schon lange vorgemacht hat. Nicht ganz zufällig mündet „Du Oasch“, Mandls zeitgenössisches Dialektlied über die Eifersucht, in einen geloopten Beat und zwei halb dahingerappte, wiederholte Zeilen: „I brich eam es Gnack / I wü ned in Häfn wegn eam, oba I brich eam es Gnack“. Raphael Sas von der Band mob, Co-Beitreiber des im Albumtitel referenzierten Selbstbaustudios am Alberner Hafen, wo Mandls Album entstand, übernimmt die Rolle des sich entschuldigenden Liebesrivalen, während anderswo der omnipräsente Sir Tralala die Geige spielt.
Wo immer man in Wien derzeit anstupst, scheinen sich über musikalische Verschiedenheiten hinweg die Kreise zu schließen. Die Familienverhältnisse lesen sich dementsprechend komplex: Kreisky, ihrerseits teilweise personalident mit Mord, teilen sich ihren Proberaum mit Aber das Leben Lebt und Velojet. Der post-katholische Herrenausstatter-Punk ersterer Band hat mit der dunklen Melancholie zweiterer oder der Gitarrenpop-Euphorie letzterer aber auch schon nicht mehr gemein als einen Bart am Schlüsselbund.
Eine ähnliche Probelokalsbeziehung bestand bis vor kurzem auch zwischen Ja, Panik und den Meistern melodischer Emphase namens A Life A Song A Cigarette, deren Gitarrist Hannes Wirth in Ernst Moldens Begleitband seine wunden Gitarrentöne einstreut, während Sänger Stephan Stanzel dort erst kürzlich in der Bassistenrolle von Marlene Lacherstorfer von Velojet abgelöst wurde.
Auf „Black Air“, dem jüngsten Album von A Life A Song A Cigarette, taucht dagegen wieder Marilies Jagsch auf, die andererseits auch mit Bernhard Fleischmann kollaboriert, in dessen Live-Line-Up sich wiederum Mitglieder von Aber Das Leben Lebt tummeln, die ihrerseits unlängst eine Split-Single mit Gustav herausgebracht haben, auf der man sich gegenseitig covert.
Verstrickt ins Netzwerk
Robert Rotifer
Und das ist erst der Anfang. Nach und nach füllt sich der Stadtplan aus Songs und Sounds in meinem Kopf mit den Kreisen, die die zugehörigen Figuren durch seine Straßen ziehen: Über Ernesty International, in dessen Live-Line-Up auch der Bassist von M185 spielt, führt der Weg zu Bell Etage und Hotel Prestige.
Anna Kohlweis, die selbst als Paper Bird zwei Alben akustischer Songs veröffentlicht hat, verleiht ihre Stimme sowohl an Das Trojanische Pferd als auch an die in variabler Besetzung auftretenede Live-Umsetzung von A Thousand Fuegos, das dichtmaschig folk-psychedelische Soloprojekt ihres Freundes Matthias Peyker.
Beim Trojanischen Pferd, auf deren Platte auch René Mühlberger und erwähnte Marlene Lacherstorfer von Velojet mitsingen, trommelt Bernd Mooshammer alias Börn, der seinerseits gemeinsam mit Mika Vember, einem Ex-Mitglied der Band von Clara Luzia, die Platte „Fame & Success“ aufgenommen hat.
Clara Luzia, deren eigenes Label Asinella Records CDs von Mika Vember und Marilies Jagsch veröffentlicht, nennt dieses muntere Karussel „Freunderlwirtschaft im besten Sinn des Wortes.“ Das Wort „Szene“ vermeidet sie aber genauso bewusst wie Kreisky-Schlagzeuger Klaus Mitter: „Ich bin ein absoluter Hasser von Szenen, weil die ja nur unter Ausschluss anderer funktionieren.“
Mitter spricht lieber von einem „Netzwerk“, und Matthias „A Thousand Fuegos“ Peyker pflichtet ihm in dieser feinen, aber wesentlichen Unterscheidung leidenschaftlich bei. Jenseits der derzeitigen Phase des fröhlichen, unschuldigen Mischens kreativer Säfte ortet er aber auch schon erste Zeichen der Ausdifferenzierung zwischen den mit dieser losen Community assoziierten Labels wie Siluh, Wohnzimmer, Konkord oder Seayou Records.
Die einen würden versuchen, sich als Business zu etablieren, die anderen betrachten die Produktion von Tonträgern dagegen eher als idealistisches Kunst(handwerks)projekt: „Fettkakao (das Label, bei dem u.a. die LP von "A Thousand Fuegos" auf schwerem Vinyl mit Siebdruckcover erschienen ist, Anm.) bringt jetzt nur Seven Inches raus und ist grad auf dem Dampfer, schöne Sachen zu produzieren, die die Freude am Haptischen vermitteln.“
Den Tastsinn über die Ökonomie stellen auch erwähnte M185, die ihre LP „Transformers“ in einem Stoffcover veröffentlicht haben.
Das Kleinlabel Problembär Records (mob, Der Nino aus Wien) gefällt sich mit seiner programmatischen Selbstverortung „am Rande von Wien“ wiederum in einer kultivierten Außenseiterrolle.
Und Songwriter Pieter Gabriel, dessen Demos sich unter seinem alten Pseudonym 1981 zu kleinen FM4-Hits auswuchsen, wird sein schwermütiges Debüt-Album „City of Last Things“ überhaupt im Alleingang veröffentlichen. „Das, was ich mache, passiert sowieso auf Inselbasis“, sagt er am Telefon von einem Wiener Gastgarten aus, wo er sich gerade mit dem verdienten Einfädler Rainer Krispel getroffen hat, um ein möglichst gutes Gedeihen dieser vermeintlich einsamen Insel auszuhecken.
„Eine ganz andere Welt“
Robert Rotifer
Laut Clara Luzia trägt „die Idee des Eigenverlags“ zur künstlerischen Eigenständigkeit bei. Das Schielen auf Rezepte für den kommerziellen Erfolg habe sich aufgehört: „Das, was jetzt der Wiener Boom genannt wird, ist auch dem Umstand zu verdanken, dass die Bands weniger den Major-Label-Deals nachrennen.“
Die einstige Verheißung des Vertrags bei der österreichischen Außenstelle eines siechenden Weltkonzerns erscheint der heutigen Generation nämlich als „die größte Sackgasse überhaupt“ (Klaus Mitter).
Aber bei aller instinktiver Independent-Selbstbescheidung: Sollte nicht eine wie Clara Luzia, die im ausverkauften WUK vor 750 Zahlenden spielt, irgendwann auch ihren Teilzeitjob bei der APA aufgeben können?
Bei den ähnlich erfolgreichen Kreisky ist Sänger Franz Adrian Wenzl der einzige in der Band, der von seiner Kunst allein zu leben vermag - allerdings bezeichnenderweise nur dank seiner Zweitexistenz als Austropop-Parodist im Gewand der schnauzbärtigen Kunstfigur Austrofred.
Wirtschaftlich gesehen ist das, was Clara Luzia, einen Boom nennt, jedenfalls absolut paradox. Der ohnehin schon brustschwache Independent-Markt ist im Download-Zeitalter weiter geschrumpft und akut abhängig von Geldquellen wie dem SKE-Fonds und dem Österreichischen Musikfonds oder Airplay auf FM4.
Unter den Neuzugängen in diesem einzig durch gebündelten Idealismus bestehenden Business findet sich übrigens auch das Label Cheap Rec. Rocks (Das Trojanische Pferd, Freud), ein Ableger von Erdem Tunakan und Patrick Pulsingers maßgeblichem Techno-Label Cheap - und als solches wohl die konkreteste Verbindungslinie dieses Netzwerks zur Dance Culture der Neunziger, an der es in Wien lange Zeit kein Vorbeikommen gab.
Wenn einer wie Matthias Peyker heute zugibt, dass er die Elektronik-Szene seither „aus den Augen verloren hat“, spricht er wohl für einen Großteil seiner Bekanntschaft. Die Aktivitäten des international gefeierten Beat-Monteurs Dorian Concept hat er etwa nur über Medienberichte wahrgenommen: „Das fühlt sich an wie eine ganz andere Welt.“
Robert Rotifer
„Es war schon einmal träger“
Am Tag nach unserem Telefonat stehe ich im einzigen verbliebenen Megastore von Canterbury und sehe, dass man dort in der Rock & Pop-Abteilung ein eigenes Abteilungsschildchen für Anja Plaschg alias Soap & Skin eingerichtet hat.
Sowas ist einem österreichischen Produkt meines Wissens nach zum letzten Mal bei Kruder & Dorfmeisters „DJ Kicks“ und „K&D-Sessions“ passiert. Damals drängelten sich alle, die im Kaffeehaus grooven und einen Kontrabass samplen konnten, mit ins Boot und hofften, mit in die große Welt hinausgespült zu werden. Heute scheint sich niemand allzu offensichtlich an Soap & Skins schwarz samtene Rockzipfel hängen zu wollen.
Nicht aus Provinzialität, sondern, weil die WienerInnen ihre Nische als eine von vielen gleichwertigen wieder erkennen.
Da gibt es keinen Grund, den Namen zu ändern, wenn etwa Paper Bird mit einer gleichnamigen Band aus Denver, Colorado, verwechselt wird. Genauso wie Kreisky kein großes Problem damit haben, dass das, was sie selbst als Schriftsprache verstehen, nördlich von Bayern auf wenig Verständnis stößt.
Die eine zeitlang unter deutschsprachigen Bands grassierende Unsitte, einen Hamburger Zungenschlag nachzuempfinden, sei seiner Band „immer schon zuwider“ gewesen, meint Klaus Mitter. In Wien sind Kreisky mit ihrer Basis bei Wohnzimmer Records und ihrem zur Stadtlaune passenden, kultivierten Missmut ohnehin gut aufgehoben. „Ich wollte immer schon nach Wien“, gibt der geborene Oberösterreicher zu, „Sobald wir hier her gekommen sind, ist bei uns alles sehr schnell gegangen.“
Insofern klingt es fast schon ein bisschen undankbar, wenn die selbst aus der Weinstadt Retz stammende Clara Luzia auf ihrem jüngsten Album Wien als „Tired City“ besingt: „Ich empfinde es schon auch als träge, mich inklusive“, sagt sie, „Aber ich habe das Gefühl, es war schon einmal träger.“