Erstellt am: 20. 10. 2009 - 16:58 Uhr
Journal '09: 20.10.
Als kurze Replik auf das gestrige Journal (wiewohl es letztlich um mehr als diesen einen Eintrag, sondern das Prinzip der letzten Journale überhaupt geht) hat Christian Schachinger, wohlgemerkt nicht als Standard-Redakteur, sondern als mein Facebook-Freund folgende prinzipielle Zeilen geschrieben:
"tolle sache. fünf prozent der geschätzten konsumenten sind beim täglichen untergangs-ballaballa dabei, der rest nicht. betrifft es sonst jemand? ... was du seit einigen jahren betreibst ist, entschuldigung, eine elitendiskussion, die niemand auch nur ansatzweise erfüllen wird können oder wollen. die mehrheit der medienkonsumenten liest krone. aus. das wird sich zwar irgendwann ändern. aber nicht zu deinen lebzeiten. was ihr inzwischen bloggometrisch alles macht, ist für burschen wie uns wichtig. aber wurscht. hast du loslabern von rainald goetz gelesen? da steht alles drin, wogegen man sein muss."
Schachinger hat vollständig recht.
Und irrt sich gleichzeitig kapital.
Vor allem mit den 5%
Der Five Percenter an sich ist ja eine alte Geschichte.
liegt er natürlich richtig. Wenn man nämlich eine der frommen Lügen der Werbe-Industrie (nämlich die ausgabekräftigen Entscheider auf die Gruppe der 14-49jährigen zu beschränken), die gern die ausschließlich für diese Alterskohorte richtigen Zahlen als relevant ausschickt, korrigiert, geht sich, im überalterten und immer noch mehrheitlich rural/kleinstädtisch strukturiertem Land, auch nichts anderes aus.
Für gar nix.
Die avancierte Popmusik, mit deren Beschäftigung ich vor vielen Jahren journalistisch begonnen habe, die Schachingers Hauptbeschäftigungs-Feld im Standard ist, liegt da sogar noch drunter.
Der alte und der neue Club 2: 5%.
Kunst, Kultur, Debatte, politischer Diskurs: 5%.
Ars, Linz 09, Elevate: 5%.
Viennale: vielleicht 6.
Die alternative Popmusik von FM4, der andere Journalismus des Standard, die etwas breiter gestreut sind: 5%., manchmal 7.
Ausreißer in besonderen Fällen, wenn etwas in den Mainstream crossovert: 10 Prozent.
Alles andere wird vielleicht als Begriff wahrgenommen, aber sicher nicht wirklich angenommen oder gar mit Befassung geadelt.
Deshalb, richtig: alles eine Elitendiskussion.
Und zwar nicht von oder für eine Elite der Privilegierten, der Oberschicht (da wird recht wenig und wenn, dann nur kleinstzirkelig, diskutiert - das ist alte schlechte österreichische Tradition), sondern mit und durch eine Elite, in die jede/r reinstoßen kann, der/die sich interessiert.
Und auch da hat Schachinger recht, wenn er - ironisch und selbstironisch - von den "Burschen wie uns" (die auch die Mädchen beeinhalten) schreibt: weder er noch ich kommen aus einer entsprechenden Nomenklatura, wir sind Produkte eines früher einmal sinnhaften, in der Ära Kreisky auf den Weg gebrachten Bildungssystems, das uns die Teilnahme in Bereichen erlaubt, die für unsere Eltern noch unerreichbar waren.
Stellt sich die Frage der Konsequenz die man draus zieht.
Natürlich ist es möglich sich auf den Standpunkt, dass sich eine wirklich dramatische Änderung zu niemandes Lebzeiten ausgehen wird, zurückzuziehen.
Und selbstverständlich ist es legitim, sich innerhalb der 5% noch einmal zu verlieren, also die Minderheit der Minderheit zu bedienen, indem man zb, um Schachingers anderes Beschäftigungs-Standbein, das lebenskluge Buch, herzunehmen.
Rainald Goetz nämlich, großer Autor, der mir leider nie zugänglich war, ich hab noch jedes Buch von ihm nach kurzem Reinblättern weglegen müssen (und es ist wohl mehr meine Schuld als seine), hat sicher mehr zu sagen, als Schachinger und ich und unsere gemeinsamen 800 Facebook-Freunde, großteils Mitglieder der erwähnten Elite und supergscheite Menschen, zusammen. Allerdings erreicht das/er halt nur fünf Prozent der 5%.
Denn das Buch, zumal das gute, das man liest und verinnerlicht und streichelt und an einen guten Platz ins Regal stellt, hat eine große Macht auf den innehaltenden Einzelnen - einen nachhaltigen Diskurs kann es allerdings nicht führen; maximal anstoßen.
Der Diskurs, um dieses böse Wort einmal aufzuklappen, ist ja keine Erfindung von Diedrichsen, sondern das, was realiter eh andauernd stattfindet, ein "hin und her gehendes Gespräch", also nix Ansteckendes, sondern eine möglich öffentliche, möglichst weitgefasste Diskussion.
Und wenn man will, dass der sich nicht auf Themen wie "Ausländer - Gfrasta oder Tschapperln?" oder "Brangelina - geil oder wie?" beschränkt (wie das in Österreich aktuell der Fall ist), dann muss man selber was dazu beitragen.
Und Sachen anschleppen, die so interessant sind, dass sich viele angesprochen fühlen. Oder sie (das ist vor allem dann, wenn sie unangenehm sind, wichtig) halt so in einen Vordergrund rücken, dass man nicht so leicht dran vorbei kommt.
Hin- und hergehende Gespräche
Das alles klappt nur bei einer Minderheit.
Den 5%.
Den Interessierten.
Logisch. Wer sollte auch sonst? Die denen alles/das meiste wurscht ist? Die sind nicht zu erreichen, für etwas, was trainiertes Mitdenken erfordert. Das geht sich nur in einem künftigen (nicht zu unseren Lebzeiten erreichbaren) von Bildungsoffensiven durchflutetem Land voller mündiger und reflexionsstarker Bürger aus.
Das zu schaffen ist Aufgabe der Politik.
Und ein bissl auch unsere. Oder zumindest seh ich das als meine.
Indem wir neugierig machen. Natürlich in erster Linie die Interessierten, aber potentiell eben alle, die guten Willens sind.
Unter anderem deswegen beschäftige ich mich seit Jahren mit etwas scheinbar profanen wie Fußball: weil die mit diesem Thema Ansprechbaren großteils andere sind als die üblichen verdächtigen Popkultur-Wastln oder die Medien-Diskursler oder die Polit-Thesendreher.
Klar: auch hier kann jeder Schmieranski wohl nur 5% der 5% erreichen (überraschenderweise sind die echten Zahlen da fast richtig), aber durch thematische Streuung verlässt man sein Stammklientel zumindest einmal.
Letztlich wird auch Robert Misik mit seinen wunderbar gesetzten, klug argumentierten und vergnüglich vorgetragegen Video-Blogs nicht mehr Menschen erreichen, vielleicht einen weitesten Seherkreis von 10 Prozent zusammenkriegen.
Bloß: Ist all das ein Argument dafür nichts zu tun, die Hände auf die Oberschenkel zu legen, als wären wir Jerry Espenson?
Das, was der Markt nicht schafft, eben selber machen.
Und hier, nämlich in der Anmutung der Konsequenz aus alledem irrt sich Christian Schachinger dann kapital.
Ja, die Medien-Konvergenz-Debatte, die da mitten in der Drehtür ins volldigitale Zeitalter gerade geführt wird, betrifft "nur" die Medienmacher. Bloß: als Medienmacher verstehen sich (durchaus zurecht) heute weitaus mehr Menschen als jemals zuvor. Und das Interesse einer Kommunikationsgesellschaft am Thema ist auch hoch wie nie.
Ja, die Diskussion um die blasse Performance der Generation 20-29 mag eine recht spezielle sein - aber auch das betrifft und interessiert weitaus mehr als nur die (allzu) schmale Generation selber.
Und ja, selbstverständlich sind die Anzeichen für ein in den Autoritarismus kippendes Österreich nicht erst heuer auszumachen, und keines der Probleme ist brandneu - aber ist es nicht immer notwendig anderswo bloß gerauntes, von vielen nur als gefühliges Kommuniziertes mit einem klaren Signet auszustellen?
Meine Antwort darauf kennt ihr.
Mein Gefühl sagt mir seit jeher, dass ich das, was ich (medial) gerne selber rezipieren würde, aber vom Markt einfach nicht geliefert bekomme, eben selber herstellen muss.
Und zwar nicht nur dann, wenn es eine "tolle Geschäftsidee" ist, sondern auch dann, wenn es außer mir vielleicht echt nur eine Handvoll andere Narren oder Facebook-Freunde interessiert.
Wie gesagt, die banalen Zahlen sagen mir, dass es mehr sind, genug um eine kritische Masse zusammenzubekommen, für die es sich lohnt angreifbar zu sein.
Loslabern von Rainald Goetz darf ich unbekannterweise trotzdem empfohlen.
Deswegen: alles richtig, bester Schachinger.
Und trotzdem auch alles falsch.
Weil: nicht wurscht.
Zwar nicht mehrheitsfähig; vielleicht nie. 5%, ja.
Aber eben nicht wurscht.