Erstellt am: 19. 10. 2009 - 21:26 Uhr
Journal '09: 19.10.
Ich frag mich ja manchmal, ob das, was ich hier gern veranstalte, denn zulässig ist: einzelne zentrale Sätze rauslösen und behandeln/weiterdenken; also eine Art raubkopierendes Sampling damit zu betreiben.
Denn natürlich ist der einzelne Satz weniger als der Gesamtzusammenhang, in den er gebettet ist. Und jeder von uns kennt das, den Ärger über die, die einem eine Aussage aus dem Zusammenhang reißen, egal ob (unsabsichtlich) privat oder professionell, womöglich mit Vorsatz.
Insofern bin ich ganz froh, dass mir das umgekehrt auch einmal passiert - und ich merke, dass das (wenn man es sinnhaft angeht) durchaus was Positives sein kann.
Es war ein eher zufällig hingeschriebener Satz mitten in der Abt-Armin-Zusammenfassung, der mir dann plötzlich via Twitter zurückgeschickt wurde: geraldbaeck 100% Zustimmung: "Das Wesen der Netz-Kommunikation: sich angreifbar machen" von @martinblumenau http:/ /is.gd/4laAx.
Ich muss ehrlich sagen, dass es erst dieses Zurückschlagen des Satzes bedurfte, damit ich drüber nachzudenken begann.
Sich angreifbar machen
Ich bin von einer mutigen und ehrlichen Aussage ausgegangen, die deswegen erwähnenswert war, weil sowas selten ist; dass man sich nämlich angreifbar macht. Aber das ist das Wesen des Blogs, das Wesen der Netz-Kommunikation: sich angreifbar machen. Im doppelten Sinn des Wortes.
Das ist es, was die alten Medien, so wie sie sich heute dar/aufstellen, von den neuen unterscheidet: die Angreifbarkeit, sowohl im kontroversen als auch im intimen Sinn, die Abänderbarkeit durch den Dialog - im Gegensatz zum altbackenen Frontalvortrag.
Natürlich haben es immer wieder einzelne Menschenfischer, spezielle Kommunikations-Talente und grandiose AufdenPunktBringer in allen Medien aller Zeiten verstanden mit ihrem Publikum, ihrer Leser-, Hörer-, Seherschaft zu verbünden, sie zum Dialog einzuladen. Im Wesen aber ist die Gutenberg-Galaxis aber One-Way-Kommunikation; ein klassischer Frontalvortrag ohne (oder nur mit vorgetäuschtem) Rückkanal.
Per se kein Übel.
Wenn aber im Abwehrkampf mit den neuen Medien, die dieses unendlich wertvolle Feature in den Schoß geworfen bekommen haben, dann diese konservativen Werte der alten Herrschaftssicherung plötzlich als demokratische Tugenden verkleidet ins Rennen geworfen werden, dann ist recht klar, woher der Wind weht.
Die Angst vor der neuen Welt in der man sich mit dem (in seiner Grundzusammensetzung natürlich) schrecklichen Publikum auseinandersetzen muss, motiviert bisher unangetastete Argumentations-Reserven.
Denn ein solcher Paradigmen-Wechsel, der weg von der One-Way-Befehlsaugabe, hin zur Angreifbarkeit, hin zum Dialog, ist unvermeidlich.
Herrschaftliche Befehlsausgabe
Ich hab mich dann gefragt, warum ich, der ich mich durchaus auch als Vertreter der alten Nomenklatura verstehe, diesen Wechsel, scheinbar unmerklich, bereits vollzogen habe.
Und festgestellt, dass das - ohne bewusstes Zutun - als Nebenprodukt einer anderen Entwicklung (einer, die in zwei Schritten stattgefunden hat) einfach passiert ist. Warum ich diese ranzige Geschichte aus alten Zeiten hier jetzt kurz erzählen will, hat damit zu tun, dass ich sie für strukturell recht heutig halte.
Ich kenne die bewahrende Position der blanken, frontal vorgetragenen Befehlsausgabe aus eigener Anschauung. Ich war Teil des unerbittlichsten Zentralkomitees heimischer Medienkultur: der "Musicbox".
Das alles war nur möglich, weil sowohl die avancierte Medien- als auch die entsprechende Kulturlandschaft nahe am Karst vegetierte.
Was wir dort an Themen aus- und vorgaben, war Gesetz. Die Musik, die die "Box" spielte war cool, kulturell wertvoll oder radikal, alles andere war allein durch die Tatsache, dass wir es nicht behandelten, als Mist gekennzeichnet; dasselbe galt für alle anderen Kultur-Äußerungen des Landes.
Das Publikum wurde von unserem (unfreiwillig) herrschaftlich organisiertem Distinktions-System so behandelt wie Leibeigene im Mittelalter: es hatte die ausgegebenen Befehle zu fressen, wenn es nicht verachtet werden wollte. Sowas wie Irrtümer gab es nicht. Und, besonders perfid: wenn wir uns einmal täuschten, dann war das Publikum schuld, das auch das Falsche brav und unkritisch abgenickt hatte.
Spielerisches Feedback-Gequengel
Das alles änderte sich durch einen Zufall, der bei der Neu-Installierung von FM4 eher passierte: einem Hörer-Telefon im Abwicklungsstudio, einem direkten Draht zu denen, die draußen zuhörten. Gerade weil wir vorher im Wolkenkuckucksheim operiert hatten, war das, was diese wahnsinnigen Narren und Närrinnen off air in die Feedback-Apparate quengelten, so ungeheuerlich. Es fühlte sich neu und beflügelnd an, führte zu einer neuen Betrachtung dessen, was man so tut - und floss ein. Die neue Angreifbarkeit wirkte beidseitig - man betrachtete einander als Versuchsobjekt und war dementsprechend inhaltsbezogen.
Letztlich war diese, als Nebenprodukt und zufällig entstandene Versuchsanordnung aus dem Jahr '95 eine Vorwegnahme dessen, was sich weltweit seit etwa '05, in Österreich wohl erst ab '10 ändern wird - dem Abschied vom Vortrags-Medium, dem Willkommenheißen des Dialog-Mediums.
Weil das damals recht spielerisch und nicht bedrohlich vonstatten ging, war der ganze Distinktions-Blödsinn, der im aktuellen Abwehrkampf mitschwingt, außen vor. Kein Wunder: das sind vorgeschobene Konstrukte, die die Angst vor der Abgabe von Macht verdecken sollen.
Denn eine Audience Participation ist im althergebrachten Herrschaftssystem und seiner medialen Entsprechung nicht vorgesehen. Dort glaubt man noch an die Macht des Frontal-Vortrags an den Bedeutungsvorsprung von musealen Inszenierungen und andere eingeführte Kulturtechniken.
Der verpasste Sprung nach vorne
Die werden vom digitalen Zeitalter auch nicht mit einem Handstreich hinweggewischt. Allein ihre Bedeutung (besser: ihre Aufladung mit Bedeutung) wandelt sich gerade drastisch. Denn, je digitaler die jungen Menschen sozialisiert werden, desto verständnisloser stehen sie diesen alten Techniken gegenüber.
Klar ist das mühsam: auch weil man sich natürlich durch einen Wust von blödsinnigen Rückmeldungen kämpfen muss, ehe man zu einer sinnvollen privaten Feedback-Kultur findet. Das ist es, was die Thurnhers und die anderen Zuspätkommer aktuell so nervös macht. Sie haben den Sprung, der mir anno 95 in den Schoß gefallen ist, dessen Wissen sich dann im neuen Jahrtausend in einer neuen Philosophie des Umgangs mit der Hörer/Userschaft des damals schon recht austauschintensiven Web 1.0 nutzbar gemacht hat, einfach nie gemacht.
Ja, nicht einmal angestrebt.
Die Debatte, das analysiert Tom Schaffer in seinem Blog unter dem Titel Armin Thurnher und die Nicht-Bezahler, die er nicht versteht brillant, findet statt - aber natürlich im Netz, nicht im Holzbereich.
Und jetzt, wo die Zeit sie dazu drängt, sträuben sie sich. Verständlicherweise - niemand lässt sich gerne drängen, schon gar nicht im ureigensten Gebiet.
Das, zusammen mit der Angst vor dem Macht- und Kontrollverlust, ergibt den unheiligen Brei, der die aktuelle österreichische Neue-Medien-Debatte im medialen Mainstream so ungenießbar macht. Weil er großteils von jenen geführt wird, die entweder die Verlierer sein werden oder aus der puren Angst davor falsche Schlüsse ziehen.
Dabei wäre alles ganz einfach, auch jetzt noch: ein medialer Schnellkurs zu den Themen Partizipation, richtigem Handling von Social Communities, Umgang mit Trollen, dem Einfließenlassen von User-Wissen und vor allem zum richtigen Führen eines offenen Diskurses etc ist auch von angstzerfressenen Chefs ganz einfach buchbar: sie müssen nur mit ihren jungen Mitarbeitern reden.