Erstellt am: 28. 10. 2009 - 16:15 Uhr
Wie im Bilderbuch
Man vergisst sie allzu leicht, die großen Freuden des Kinderdaseins: Dazusitzen, mit einem Bilderbuch, und mit großen Augen zu entdecken, was sich da alles tut, jedes Detail zu würdigen und sich in einer Welt zu verlieren, die zum Anschauen gemacht ist. Jahre und Jahrzehnte später findet man vielleicht, wenn man Glück hat, beim Stöbern auf dem Dachboden diese Schätze aus der Vergangenheit wieder – und wundert sich, wie vertraut das alles noch ist, weil diese Momente nur verschüttet, aber nicht vergessen wurden.
Amanita Design
"Machinarium" ist so ein Bilderbuch, das einen wieder hineinzieht in diese Welt des Staunens und – so pathetisch das auch klingen mag – der Schönheit. Denn eigentlich passiert es nicht oft, dass einem Computerspiel dieses Attribut zu Recht verliehen werden kann. Die Großstadtszenerie von "GTA IV" mag atemberaubend sein, der Fotorealismus von „Crysis“ beeindruckend, doch "Machinarium", ein Point-and-Click-Adventure des kleinen Independent-Studios Amanita Design im tschechischen Brünn, ist eben genau das: wunderschön. Und noch etwas sieht man auf einen Blick: Es ist – noch ein in diesem Fall unvermeidlicher, weil zutreffender Allgemeinplatz – mit Liebe gemacht.
Amanita Design
Jakub Dvorský, Gründer und Mastermind von Amanita Design, liebt, was er tut. Man sieht es an den kleinsten Details, man hört es und man spürt es, wenn man "Machinarium" spielt. "Samorost", seine Abschlussarbeit für die Akademie für Kunst, Architektur und Design im Jahr 2003, verband liebevoll gestaltetes Artwork mit leichtfüßiger Adventure-Tradition und einem locker jazzigen Soundtrack aus der Feder Tomáš Dvořáks, ein Rezept, das der junge Tscheche 2005 mit "Samorost 2" mit großem Erfolg wiederholte. Ganze vier Jahre dauerte es, bis nun mit "Machinarium" das bislang ambitionierteste Projekt des Studios vollendet war, und schon vor der Veröffentlichung wurde das Spiel beim Independent Games Festival 2009 mit dem Preis für "Excellence in Visual Art“ ausgezeichnet. Und der ist hochverdient: "Machinarium" reiht sich voll Stolz nahtlos in die große Tradition der tschechischen (Kinderbuch-)Illustration und Animation ein.
Amanita Design
Noch mehr digitale Kindheit: Auch "Scarygirl" von Kinderbuchillustrator Nathan Jurevicius, "Crayon Physics Deluxe" oder "RunMan: Race Around the World" setzen auf den umwerfenden Charme längst vergangener Tage mit Bilderbuch und Buntstiften.
"Der kleine Maulwurf" lässt grüßen
Gerade im Vergleich mit dem thematisch ähnlichen Hochglanzprodukt "Wall-E" versprüht "Machinarium" denn auch etwas, was man eindeutig als europäischen Charme bezeichnen kann, von der retro-futuristischen Stadtkulisse bis zu den verschrobenen Figuren, die diese bevölkern. Als direkte Vorbilder nennt Dvorský die famosen Zeichentrickserien der 60er- und 70er-Jahre, die aus der damaligen Tschechoslowakei auch in die Kinderzimmer Österreichs gelangten. "Machinarium" atmet den leicht melancholischen Geist dieser Trickfilmtradition, doch nebenbei hat auch der Surrealismus des tschechischen Künstlers und Animateurs Jan Švankmajer seinen Widerhall gefunden: Wie bei Švankmajers Stop-Motion-Filmen sind auch die Protagonisten des Spiels seltsam zusammengesetzte, surreale Figuren. Und auch der große Ahnherr der tschechischen Science-Fiction, Karel Čapek, kommt indirekt zu Ehren: "Josef" ist der Name des kleinen Roboters, nach dem Bruder des Autors, der das Wort "Roboter" erfand - auch wenn dieses Detail nicht dem weitgehend wortlosen Spiel, sondern einem Interview mit Jakub Dvorsky entnommen werden kann.
"Machinarium" ist per Download um ca. 14 Euro erhältlich. Auf der Website gibt es auch eine direkt im Browser spielbare Demoversion. Den hörenswerten Soundtrack gibt es sympathischerweise beim Kauf vollständig als mp3-Download dazu.
Bei so viel Fantasie stört es nicht weiter, dass in den fünf bis sechs Stunden Spieldauer eigentlich nur spielerische Hausmannskost geboten wird. Die Hauptrolle spielt in "Machinarium" ohnehin die rostige, melancholisch-absurde Steampunk -Spielewelt selbst, in der sich der wunderbare Soundtrack und die detaillierte Umgebung mit den originellen Charakteren und witzigen Animationen zu einem bezaubernden virtuellen Bilderbuch verbinden, in dem man gerne herumwandert und die durchaus kniffligen Rätsel löst, um noch mehr davon zu sehen.
Denn irgendwo will man sich gern in dieser Welt verlieren, die zum Anschauen gemacht ist.Wie sagt man so schön: für Kinder jeden Alters empfohlen.