Erstellt am: 18. 10. 2009 - 23:42 Uhr
Fußball-Journal '09-99.
Es ist egal ob das absichtlich oder zufällig passiert. Es ist wurscht ob es einem zufällt, man sich's mühsam erarbeitet oder ob man glücklich Erworbenes verschleudert: die richtige Taktik, das g'scheite System, die kluge Strategie gewinnt Spiele, die jeweils falsche, unüberlegte und doofe verliert sie.
Gestern und heute am aktuellen Beispiel der Herren Daxbacher, Stevens, Foda und Pacult, die sich in zwei direkten Duellen der großen Vier messen konnten.
Beispiel 1: Austria Wien
Karl Daxbacher, dem Vorsichtigen, hat es der Herr im Schlaf gegeben, er konnte gar nicht anders. Nachdem zwei seiner Stürmer wegen Verletzung Saisonausfälle sind, konnte er gar nicht anders als sich darauf zu besinnen, dass er ein erkleckliches Angebot an guten kreativen offensiven Mittelfeldspielern hat. Und stellte vom bisher meist gespielten, bieder-braven 4-4-2 mit zwei 6ern, zwei Spitzen und einem großen Loch dazwischen, auf ein 4-3-2-1 um, den sogenannten Tannenbaum.
Der verfügt über nur einen 6er (und glücklicherweise ist das der Nationalspieler Baumgartlinger, Daxbacher hätte ja auch noch Vorisek und Hattenberger in der Angsthasen-Schublade), über zwei echte Flügel (oder halt so echt, soweit es Klein und Emin Sulimani können) und über zwei Kreative mit allen Freiheiten hinter der einzigen Spitze.
Im Gegensatz zum 4-4-2, wo sechs defensiv orientierte Spieler auf dem Platz stehen, hat das 4-3-2-1 mit fünf defensiv orientierten und mit vier nach vorne strebenden Mittelfeldspielern deutlich mehr Substanz. Auch weil Acimovic nicht alibimäßig links draußen herumflanieren muss, sondern ebenso wie Junuzovic machen kann was er will. Der Druck, den die Linie Klein-Juno-Acimovic-Sulimani entwickelt, reicht aus um einen starken Gegner ordentlich reinzudrängen. Trotz zweier Verletzungen, einem vergebener Elfmeter und der offensichtlichen Schwäche im Angriff.
Zu Saisonbeginn hatte sich Daxbacher ja schon einmal auf den Tannenbaum getraut, nach wenigen Einsätzen hat ihn dann aber der Mut verlassen. Jetzt hat ihn der Zufall, die Not wieder in die (bessere) Spur, ein ein System, das zu dieser spielerisch gutklassigen Mannschaft passt, gesetzt.
Beispiel 2: Red Bull Salzburg
Doch, es hat sich etwas gebessert bei Salzburg: die Mittelfeld-Zentrale steht nicht mehr eng im Raum, wie eine Slalom-Vertikale direkt hintereinander (wie das bei Augustinussen-Vladavic-Cziommer gern der Fall war), sondern teilt sich den Platz gut auf: Schiemer ist eine Art Libero vor der Abwehr, Leitgeb und Pokrivac bespielen das, was man schon vor 50 Jahren die "Halb"-Positionen genannt hat.
Das ist aber alles und damit auch schon zuwenig.
Und offenbart die ganze taktische Armut der Ära Stevens.
Der hat seinem Red Bull-Zirkuspferd nämlich nur einen einzigen Trick beigebracht. Mehr als das 4-1-4-1 geht nicht. Die Spieler (vor allem Tchoyi, Leitgeb, Pokrivac, Zickler oder Svento) würden das schon können, allein ihr Dompteur lässt sie nicht.
Huub Stevens hat genau keinen Plan B.
Weshalb er dann auch kein Spiel wirklich drehen oder herumreißen kann (es sei denn gegen einen der schwachen Gegner aus dem unteren Bereich). Selbst als Cziommer (Mittelfeld, offensiv) für Dudic (Abwehr, hölzern) kam, wurde das 4-1-4-1 nur personell neu befüllt, rotierte Stevens anstatt eine neue, überraschende Variante ins Spiel zu werfen. Ebenso als er Svento nach links hinten zurückzuzog und dafür Jezek für Ulmer brachte: alles innerhalb des Einser-Systems.
Wer nur einen Trick kann, wer nur eine Taktik draufhat, kann niemanden, der die Mannschaft ein bissl besser kennt, überraschen. Und verliert völlig zurecht.
Beispiel 3: Sturm Graz
Bei Sturm sind die Vorraussetzungen für die Arbeit mit den selbstegzogenen Talenten und die Arbeit an brauchbaren Strategien schon länger Usus als bei den Wiener Vereinen: das hat mit dem Kollaps der Nach-Kartnig-Ära zu tun, als es plötzlich kein Geld und keine Spieler gab und man sich auf das eigene Hirnschmalz und Talent verlassen musste.
Nur deshalb kann der Verein seit Jahren Spieler ins Ausland/an die Großen exportieren ohne dabei merklich an Substanz einzubüßen. Und auch deshalb, weil man - seit Jahren - ein eingespieltes und variables System pflegt, bei dem die vier Offensiv-Spieler alle Freiheiten nach vorne haben und ein hart trainiertes Kombinationsspiel aufziehen.
Dazu kommen durchaus offensive Außenverteidiger (wie sie etwa das System Stevens überhaupt nicht vorsieht) und zumindest ein zentraler Mittelfeldspieler, der mehr ist als ein reiner 6er, sondern ein versatiler Mittelfeldspieler internationalen Maßstabs (wie das Kienzl oder Manuel Weber sind, auch Leitgeb entspricht dieser Anforderung).
Es sei an die blanke Ahnungslosigkeit erinnert, die im ÖFB in dieser Hinsicht herrscht: Dietmar Constantini stellt ja auch mit Vorliebe Leute auf die Außenverteidiger-Position, die das nicht können oder nicht wollen: Schiemer, Ortlechner, Scharner, sogar Alaba. Auf die AV-Profis wie Garics oder den beidbeinigen Ibertsberger wird hingegen verzichtet. Auch in der U21 und der U19 herrscht auf den Abwehr-Außenpositionen ein planloses Durcheinand', das die Vermutung, hiesige Trainer wüssten taktisch/strategisch einfach nicht gut genig Bescheid, kraftvoll nährt.
In den letzten Wochen kam dieses System ein wenig ins Wanken, weil Coach Foda der Mut zu einer simplen logischen Maßnahme fehlte: als der offensive Rechtsverteidiger Lamotte ausfiel, stellte Foda nicht den extra als Back-Up eingekauften Ehrenreich dorthin, sondern einen Innenverteidiger, der die speziellen Anforderungen, die das moderne Außenverteidigerspiel nach sich zieht, gar nicht erfüllen kann. Entsprechend fiel dann das Offensivspiel auf den Flanken aus.
Witzigerweise war genau das auch Thema bei einem Gespräch mit der Sturm12-Website - wenige Spieltage später war die Passage Ehrenreich betreffend dann wieder obsolet, weil sich Foda durchgerungen hatte einen echten rechten Verteidíger Rechtsverteidiger spielen zu lassen.
Das macht Foda zu einem besseren Coach als es der aktuelle Teamchef ist, und holte Sturm aus einer kleinen strategischen Krise wieder zurück in das automatisierte System, innerhalb dessen sich das Team seit zwei Jahren gut und sicher bewegt.
Beispiel 4: Rapid Wien
Peter Pacult habe ich aufgegeben.
Es gibt glaubwürdige Menschen, die mir versichern, dass die von anderen berichtete Tatsache, er würde mit seinen Spielern nicht kommunizieren, deutlich übertrieben wäre. Es gibt ebenso glaubwürdige Menschen die, trotz offensichtlich vercoachter Spiele, von der taktische Finesse Pacults berichten.
Genauso wie bei anderen ewigen Sorgenkindern (zb Franz Lederer) nehme ich jede geschickte Variante von ihm wahrscheinlich über Gebühr wahr, wohl weil mir meine sonstige Ablehnung verdächtig vorkommt.
Heute hat Pacult diese letzten Kredite aber aufgebraucht.
Wir blenden kurz zurück: vor fünf Wochen wird Rapid, quasi über Nacht (wobei es hier niemandem der Herr im Schlaf gab, denn dieser Herr hat einen fein ziselierten Serial Killer-Bart und wird Ali genannt) in ein anderes System gezwungen. Beide Star-Stürmer sind ins Ausland verkauft worden, die Verbliebenen haben noch nicht das Vertrauen - also greift man auf das gut besetzte offensive Mittelfeld zurück und stellt auf ein 4-2-3-1 um, anstatt das altbekannte, defensive 4-4-2 (siehe "Austria alt", auch mit zwei 6ern) weiterzuziehen.
Ganz nebenbei löst Rapid damit ein Problem, das das Team seit Jahren ungelöst herumschleppt: das Hofmann-Loch.
Steffen Hofmann, der Rapid-Captain, der alles kann und also auch alles darf, wird seit Jahren nominell auf der rechten Offensiv-Seite aufgestellt, wo er sich dann im Verlauf des Spiels vielleicht für drei Minuten aufhält. Den Rest turnt er in der offensiven Mittelfeld-Zentrale herum, die es im Rapid-System aber gar nicht gibt.
So spielt das Team also jahrelang ein reines Konstrukt, ein irrlichterndes 4-5-2, mit einem Phantom-Hofmann rechts und einem Real-Hofmann zentral (Opfer war meist rechtsverteidiger Dober, der auf seiner Seite zwei Aufgaben zugleich zu erfüllen hatte), Linkslastigkeit inklusive.
Das Hofmann-Loch revisited
Auf nationaler Ebene ging sich das immer aus, weil Rapid stark genug ist, diesen Systemfehler intern abzufedern - international setzte es zurecht harte Backpfeifen.
Aktuell redet man sich auch lieber auf böse Schiedsrichter und pures Pech aus, anstatt sich mit der eigenen Struktur zu beschäftigen: Problem-Outsourcing und Sündenbock-Suche, wie man es in politischen Populismus vorgelebt findet.
Wie unwesentlich derlei Klimbim ist, zeigt die Site Wahre Tabelle, die eigentlich eingerichtet wurde um die gern hochgespielten "Ungerechtigkeiten" zu belegen. Klarerweise unterscheiden sich die richtige und die "wahre" BL-Tabelle praktisch gar nicht.
Das Problem war allen klar, wurde aber weggedrängt, weil "es ja auch so" ging (irgendwie halt) und man sich nicht mit Nichtigkeiten wie einer taktischen Evaluierung aufhalten wollte - im allegemeinen Gehtsausseundschpütseuchaschpü der alten Garde immer noch eine No-Go-Area.
Plötzlich jedoch, nach dem Weggang von Hoffer und Maierhofer, fand Rapid automatisch zu seiner neuen Struktur, dem 4-2-3-1, das in Birmingham klappte, das gegen Salzburg funktionierte und danach in der EL gegen den HSV und Celtic zu Begeisterungsstürmen führte.
Völlig zurecht.
Weil es plötzlich zwei echte Flügel gibt, auch einen rechten, und wiel Hofmann nicht nur in der Zentrale spielt, sondern auch dort spielen soll.
Heute nun schickt Pacult ein 4-2-3-1 auf den Platz, das mich an seinem prinzipiellen Verstehen mehr als zweifeln lässt.
Nämlich mit Boskovic in der offensiven Zentrale und Hofmann wieder rechts. Dort war er dann wieder einmal vielleicht drei Minuten lang - den Rest des Spiels turnt er in der Zentrale herum, was dann dazu führt, dass Bosko noch weiter rüberrückt. Und schon war der alte Käse wieder am Stinken: Linkslastigkeit, das Hofmann-Loch rechts.
Folge: Rapids Spiel läuft schief.
Die linke Seite des Gegners, die von Jantscher, nützt das und bleibt so in einem Spiel, in dem Sturm Graz die deutlich schlechtere Mannschaft ist.
Ja, sie mögen an diesem Nachmittag schwächer gewesen sein - taktisch, strategisch, systemisch waren sie besser, klüger und schlauer. Und letztlich führt das zum Sieg (und die Tatsache, dass Ehrenreich - siehe Beispiel 3 - mit einer schnellen Aktion das Tor einleitet).
Pacults Kuddelmuddel-Aufstellung, sein fantasiertes 4-2-4-1 mit dem wieder einmal doppelt gesehenen Hofmann, bedeutet (sollte sie sich wiederholen) das Ende der kurzen Hochphase von Rapid; und wäre das Zugeständnis an die Tatsache, dass sie wohl nur ein Zufalls-Produkt waren.
Sie markiert in jedem Fall das Ende meines letzten Rest-Glaubens an Peter Pacult als potentiellen Strategen.