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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

17. 10. 2009 - 22:01

Journal '09: 17.10.

Warum wir drei Unique Clients oder gar vier Leser sind. Über G'schichtln bei der Mediennutzer-Messung.

Die wichtigen Links zum heutigen Journal: Christoph Chorherrs Blog.
Helge Fahrnbergers Zusammenfassung des aktuellen Debatte, im Gegensatz zu meiner unverdächtig.

In einem Beitrag zur seit längerer Zeit schwelenden "Internet? Voll pfui!"-Debatte, die leider noch auf einem ein wenig arg archaischem Niveau geführt wird, hat Christoph Chorherr, grüner Blogger, ein paar interessante Gedanken geäußert, die weit über den Anlass der Diskussion hinausgehen. Ihm, als Konsumenten, ist nämlich etwas ein/aufgefallen, was von den Machern (und da ist es egal ob das die Herausgeber-Runde, der streitbare Falter-Chef oder auch die Netz-Community betrifft) gerne beiseite geschoben wird: wie nämlich die Leser/User eigentlich gezählt werden.

Chorherr hält die Wirkung des Internet, was die blanken Zahlen betrifft, für aktuell überschätzt. Und schreibt den schönen Satz "Warum verstecken alle Medien ihre Zugriffszahlen hinter Verschleierungen?". Seine konkrete Kritik richtet sich gegen die Verwirrungstaktik der "ÖWA" (österreichische Webanalyse), die zwar akribisch, aber in zu vielen verschiedenen Währungen messe. Und auch die Realität außer Acht lasse. Er selber, meint Chorherr wäre drei "Unique Clients": je einer per Laptop, PC und iPhone.

Abgesehen davon, dass er sich da wohl verrechnet hat: so gesehen würde ich als täglicher Besucher von orf.at, sport.orf.at, der futurezone und von fm4.at nur einmal ausgewiesen werden, wäre da also nur ein Viertel User...

Er plädiert dafür, wie bei den anderen, den "richtigen" Medien Tagesreichweite bei Einzelmenschen zu messen. Und rechnet dann vor, dass etwa ORF.at, die überlegene Nummer 1, die zentrale Webfamilie des Landes, nur auf 0,2 bis 0,3 Millionen Menschen pro Tag kommen würde, alle anderen nur auf Bruchteile davon. "Zum Vergleich: Die ORF-Sendung 'Bundesland heute' sehen täglich 1,2 Millionen. Nicht verteilt auf 24 Stunden, sondern gleichzeitig."

Ich bin zwei Öltanks

Kurze Anmerkung in eigener Sache: seit die FM4-Site Anfang des Jahres neu gestaltet wurde und ihre Daten in der ORF.at-Zentrale zusammenlaufen, sind mehr als nur Schätzungen möglich: es gibt genaue tägliche Zugriffszahlen.
Da dieses Journal keine Gewinnspiele veranstaltet oder sich in 15 Teile zerlegt um so 15 Klicks zu generieren und 15 User zu behaupten, und da hierher auch kaum jemand zufällig reinstolpert, sind die Zugriffszahlen wohl in recht hohem Maß mit realen LeserInnen gleichzusetzen (ganz ohne Mitleser-Hochrechnungen...).
Und das bewegt sich, wie bereits gestern in einem anderen Zusammenhang angemerkt, in durchaus bundesligareifen Dimensionen.

Gute Anmerkung, richtige Anmerkung.
Aber: nicht konsequent zu Ende gedachte Anmerkung.
Dabei wäre es nicht so schwergewesen eine andere aktuelle Mediendebatte da mitreinzudenken und mitreinzunehmen.

Es hat sich nämlich dieser Tage der Chefredakteur der Presse mit maradonesker Sprache darüber erregt, dass das direkte Konkurrenz-Blatt, der Standard, bei der letzten Media-Analyse (seiner Meinung nach) bevorzugt behandelt würde. Weil der Leser-pro-Nummer-Faktor dort übertrieben hoch angesetzt wäre.
Um bei Chorherrs Beispiel zu bleiben: auch die Messung der Print-Leserzahlen rechnen die "Unique Clients" schlicht und einfach hoch. Und gesteht jedem verkauften Exemplar deutlich mehr als nur einen Leser zu (im Fall der Fleischhacker erboste waren es gar mehr als vier).

Darüber wird aber deshalb nicht diskutiert, weil man sich daran gewöhnt hat, dass die Print-Branche mit ihren kontrollierten Auflagen, Verkaufszahlen und andere Geheimnissen mehr die Öffentlichkeit seit Jahren am Schmäh führt. Und solange diese Zahlen nur in einem direkten Branchenwettbewerb eingesetzt werden, geht das ja auch noch an.

Andere Messmaßnahmen sind noch wilder hochgerechnet: die berühmte TV-Quote (Teletest) entsteht aus einem recht schmalen Sample von Beobachtungshaushalten, wird also von Menschen bestimmt, die sich in einer Art Schöffen-Position befinden und sich schon allein deshalb zunehmend aus der Realität verabschieden. Die vergleichsweise reellsten Zahlen der "richtigen" Medien entstammen dem Radiotest: der greift auf ein hohes Sample zurück und fragt (gestützt) Hördauer und Sender ab. Aber auch hier werden die Daten ungenauer, je kleiner die Fallzahlen sind.

Ich bin drei Unique Clients

Die interessantesten Messungen im Print-Bereich werden übrigens nie veröffentlicht. So etwa die sogenannten Reader-Scans, die quasi den Leser-Augen folgend, angeben, was der Einzelne in seiner Tageszeitung wirklich anschaut. Dabei kam bei heimischen Qualitäts-Zeitungen in Bereichen wie Kultur oder Sport zu einer täglichen Echtleser-Zahl, die Kopieren statt Drucken rechtfertigen würde...

Die Beschaffenheit des Internet, seine gläserne Struktur, die Exaktheit, mit der man Klick-Verhalten ausmessen kann, lassen die reine Zählung zu einem Kinderspiel schrumpfen.
Mit folgendem Resultat: während man in allen anderen Bereichen Hochrechnungen anstellt, sich auf Angaben der Verleger verlassen muß oder einer Umfrage klassischen Stils vertraut, liegen im Netz die Zahlen offen da - man hat die genauesten Leser/Userzahlen.

Will man die mit den, überspitzt gesagt, rituell eingeschliffenen Fantasiezahlen der alten Medien vergleichen, muß man sich zuvor auf einen Standard einigen: entweder alle legen die Karten auf den Tisch oder man läßt auch hier die Tricksereien zu, die in den anderen Bereichen auch gespielt werden.

Deswegen sind Rückschlüsse aus Vergleichen, die nicht auf demselben Level geführt werden, auch unsinnig.

Bäck spricht den Status Quo wahrheitsgemäß an - was die Wirkung betrifft: "Spiegel Online hat nach wie vor die meisten Verlinkungen in deutschen Blogs. Die klassischen Medien sind nach wie vor Leitmedien und die Öffentlichkeit im Netz ist lediglich eine kleine, wenn auch lautstarke Teilöffentlichkeit. ...
Leider spielen Blogs und Twitter auch weiterhin nur eine sehr untergeordnete Rolle in der politischen Wahrnehmung und der politischen Öffentlichkeit. Das was ich an Blogs so schätze ist die meist sehr offene Diskussion und die Möglichkeit auch ungewöhnliche Vorschläge und Gedanken veröffentlichen zu können. Einen wertvollen politischen Diskurs gibt es aber nur so lange, wie die Teilnehmerzahl bzw. der Leserkreis eingeschränkt ist. Gerade große Medienpages wie zum Beispiel derstandard.at oder auch diepresse.com beweisen, dass mit zunehmender Reichweite die Qualität des politischen Diskurses objektiv leidet."

Der führende österreichische Medien-Blogger Gerald Bäck geht die Frage richtig an, indem er nicht die unvereinbaren Messereien, sindern die Wirkung des medial geäußerten analysiert - Zitat anbei.

Wer sich jetzt fragt, warum die von Chorherr thematisierten Umgereimtheiten in der Zählweise von Medien-Nutzern nicht schon längst als Waffe im Kulturabwehrkampf der Alt-Medien gegen das böse Netz angeführt werden - das hat damit zu tun, dass sich die ÖWA entschieden hat ihre User genauso schief auszuweisen, wie das alle anderen Medien auch tun.

Ich bin vier Leser

Ich behaupte, dass es auch gar nicht anders geht. Ein Marktbewerber, ein neues Medium kann es sich in einem Land, wo seit immer schon Auflagenzahlen geschönt, unziemliche Messungen vorgenommen, falsche Zahlen als Kampfschriften rausgeplärrt wurden, nicht mit einer Entzerrung beginnen,die für den Durchblick sorgt.
Das wäre so, als ob das neue Joghurt als erstes seinen realen Fruchtanteil groß ausschildern würde - in der Hoffnung die alteingesessenen Joghurts würde ebenfalls mit der Wahrheit rausrücken und nachziehen.

All das, die Entzerrung der großen Medienlügen dieses Landes, wäre Aufgabe einer öffentlichen Medienbehörde, die diesen Namen auch verdient, anstatt sich als politisches Erfüllungsorgan von Lobby-Interessen zu genügen.

Das aber genau jetzt, mitten in einer wirklich großen und bitteren Medien-Finanzierungs-Krise (die, wahrscheinlich noch diesen Winter, zu drastischen und aktuell nicht vorstellbaren Maßnahmen am Printsektor führen wird), zu unternehmen, wäre seriöserweise zuviel verlangt.

Das ist der Grund, warum niemand auf das, was Chorherr da angemerkt hat, reagiert - und es auch fürderhin nicht tun wird. Weil die realen Zahlen der heimischen Print-Branche durch eine solche Diskussion ihres allzu dick aufgeplusterten Fells entkleidet werden könnten. Da schimpft man maximal über den anderen, der den Faktor 4,3 kriegt, während man selber nur 3,8 hat.
Außerdem will dann irgendwie doch keiner - dazu ist die Medienbranche aktuell nicht nur zu fragil aufgestellt, sondern dann doch wieder allzusehr ineinander verzahnt; auch das ist der Fluch eines kleinen, bildungsschwachen Marktes in einem leseuntüchtigen Land mit schauderhafter Diskurs-Fähigkeit.