Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Fußball-Journal '09-98."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

16. 10. 2009 - 17:28

Fußball-Journal '09-98.

Bilanzen putzen.

Auch ein Fazit: was der ballverliebte Philipp Eitzinger zu erzählen hat. Und hier noch eine Länderspiel-Nachlese von Tom Schaffer, dessen Blog-Stil den immer noch viel zu tranigen "Qualitatszeitungs"-Sportjournalismus ordentlich aufmischt.

Weil sie ja jetzt allerorten in vierlei Ausprägungen zu lesen ist, die Bilanz der WM-Qualifikation, darf ich das auch, zwischenbilanzieren nämlich.
Und zwar - auch - auf Aufforderung.
Weniger über die letzten 14 Monate Nationalteam (obwohl ich auf eine der Bilanzen noch ganz konkret zurückkommen werde), sondern über das hier.
Weil sich nämlich sowohl in den Foren des Journals, als auch via persönlicher Nachfrage immer wieder Menschen nach der Sinnhaftigkeit alle dessen fragen, was hier an renitenter bis hin zu redundanter verbaler Widerständigkeit passiert, und ich hinter diesem Nachbohren mehr Sorge als resignatorischen Hohn spüre.

Apropos Fußball-Freunde: die von Sturm12 konnten nicht an sich halten und wollten unbedingt Wortspenden von mir, Aussagen, deren Relevanz sich allerdings, finde ich jetzt, in Grenzen hält. Ausgesprochen ist sowas ja schnell, aber bei der Verschriftlichung hätte ich mich an das Credo von Sport-Arthur, nämlich dem der "Du, ich hab echt keine Ahnung!"-Wahrheit halten können.

Nun ist der geneigte österreichische Fußballfreund (die noch seltenere Fußballfreundin allemal) mit der Fähigkeit zur Reflexion und einem Blick über denTellerrand einer eventuellen Lebenspartnerschaft mit einem Verein hinausreichendem Herz/Verstand zuallermeist jemand, der nicht an die Veränderbarkeit von alten Entsetzlichkeiten glaubt und den Umbruch innerhalb von kürzester Zeit anstrebt, weil er/sie nicht (mehr?) an eine langfristige, kontinuierliche, nachhaltige Verbesserung glaubt.
Weshalb ich, mit meinem festen Glauben an diese Möglichkeit, sie auch ein bissl wahnsinnig mache.

Eine prototypische Anfrage an mich hat etwa folgenden Aufbau: "Hallo, Martin! Vieles, was du in deinem Fußball-Journal äußerst, ist ja - wenn auch zugespitzt - gnadenlos richtig (nicht alles, da könnt ich stundenlang diskutieren). Aber: verhallt das nicht ungehört unter denen, die es ohnehin wissen? Kann das jemals die, die es angeht, erreichen? Und: hat es nicht nur dann Sinn?"
Ich hab das schön ausformuliert - meist ist es im Stil von "Glaubst der Constantini/Pacult/sonstwer liest das und schert sich drum?" formuliert.

No easy Answer

Es würde nun eine sehr einfache Antwort geben, die ich aber ablehne.
Wenn es mir nur darum gehen würde von den "Wichtigen" gehört zu werden, dann wäre ich längst, seit Jahrzehnten, in einem Mainstream-Print-Medium unterwegs.
Meine Entscheidung dagegen habe ich im Wissen getroffen, dass es im verkumpaneiten Fußball-Bereich nicht möglich ist, eine kritische Distanz zu wahren und sich eine unbestechliche Expertise zu bewahren, wenn man mitten im Mainstream steht. Der Kompromiss ist dort verpflichtend; ua auch weil sich der gesamte Bereich als große Interessensgemeinschaft versteht, deren Erfolge miteinander verknüpft sind. Und in diesem IG-Pool verwässert man, ganz automatisch.
Die Position von außen ist also die einzige, die die Freiheit, ungeschminkte Wahrheiten sagen zu können, enthält.
Ihr Nachteil ist natürlich die fehlende Hausmacht.

Bloß: Was ist gescheiter?
Drinstecken, und Gehör finden, aber um des Fortkommens und Kompromisses Willen milde zu werden, oder außerhalb zu agieren, deshalb immer angezweifelt zu werden, sich aber kein Blatt vor den Mund nehmen zu müssen.
Eben.

Genau das ist der Punkt, der den althergebrachten Medien-Onkeln der alten Schule so viel Angst macht: dass nicht mehr sie, sondern "das Web" die Meinung macht.

Mit Lesern meine ich nicht das geschönt hochgerechnete Konstrukt, mit dem sich Print selber betrügt, sondern die harte Klick-Währung. Dazu übrigens morgen mehr!

Nun ist es aber, vor allem mit den neuen Medien, wie diesem vor ein paar Jahren noch völlig unbekannten, schnellen und von jedermann ansteuerbaren, per Mundpropaganda leicht zu verbreitendem Format hier, wesentlich leichter eine ganze Menge (interessierte) Menschen zu erreichen, als das früher der Fall war, wo man mit einem Fanzine oder sonstwas wirklich nur in kleine, lokale special interest-Gruppen vorgestoßen wäre. So hingegen komme ich mit Länderspiel-Nachlesen und anderen umfehdeten Einzel-Geschichten locker auf Leserzahlen in vorderer Bundesliga-Stadien-Größe.

Die Fußball-Branche ist rascher ins digitale Zeitalter eingetreten als viele andere

Und interessanterweise ist da die Fußball-Branche (im Gegensatz zur Medien-Branche) in den letzten paar Monaten, vielleicht seit ein, zwei Jahren, schneller ins digitale Zeitalter eingetreten - deutlich schneller jedenfalls als es ihr verschnarchtes, Old-School-Posern wie Playstation-Hasser und Mail-Analphabet Constantini geschuldetes Image einen glauben machen möchte.

Die neuen Manager, die jüngeren Presse-Verantwortlichen der Vereine und des ÖFB, die sind recht geschickt vernetzt und haben die neue Zeit bereits verstanden - auch wenn die Umsetzung sich noch nicht so bemerkbar gemacht hat.
Und die (oder zumindest Teile derer) sind selbstverständlich Leser. Das weiß ich, weil ich ja viele direkte Reaktionen bekomme, offizielle und inoffizielle, mir jeder, den ich aus der Branche treffe, dann auch gleich die Grüße und Wünsche von drei anderen bestellt. Das weiß ich, weil ich weiß, dass das FB-Journal regelmäßig im internen Newsletter einer der größten heimischen Sportredaktionen aufscheint.
Wenn mir ein ÖFB-Verantwortlicher etwa zu dieser Geschichte antwortet, dann weiß ich, dass etwas angekommen ist - für Liga- oder Vereinsverantwortliche gilt dasselbe. Wenn ein organisierter Fan-Club bei einer kritischen Geschichte seine organisierten Poster-Fans losschickt, detto.

Im Übrigen weiß ich, dass auch Pacult von Hardcore-Fans drauf angesprochen wurde - ich hab mich allerdings nicht drum bemüht seine Antwort zu erfahren.

Die Frage ob Pacult/Constantini selber direkte sie betreffende Kritik lesen, ist nicht wirklich interessant. Mir geht es ja nicht darum, irgendjemanden zu bekehren oder mich in die konkrete Arbeit einzumischen, sondern darum, dem interessierten Umfeld Alternativen aufzuzeigen. Das löst im Optimalfall Denk-Prozesse aus, die vielleicht erst in Jahren greifen werden - oder auch kaum etwas bewirken. Weil sie verworfen wurden; was genauso okay ist.

Querstoßen

Mir ist wichtig, dass diese Querdenke deutlich kenntlich als tatsächlich unabhängig von Lobbies oder Interessensgemeinschaften daherkommt und sich damit von dem selbstsüchtigen, durch die Verstrickungen eigentlich unvereinbarem und Ich-AG-mäßigem Experten-Blabla absetzt, das die Szene verseucht.

Wiewohl mir nur wenig wirklich drastische Irrtümer einfallen. Sogar mein - vor zwei Jahren hier öffentlich als lächerlich eingestuftes - Bekenntnis zu Titus Bramble war, in the long run, richtig.
Im Übrigen auch meine mittwöchliche Einschätzung, dass Topf 3 für die EM-Quali noch längst nicht gegessen ist - auch das wurde beeinsprucht und als bereits sicher vermeldet - und wie sich jetzt rausstellt, kann uns Slowenien im Quali-Fall noch rausboxen.

Und mir ist wichtig Anstöße zu geben, von mir aus auch den einen oder anderen überzogenen, der sich dann drei Wochen später als falsch herausstellt. Wie sich das dann "draußen" (bei den eingangs erwähnten reflexionsfähigen Fans, auf die Scheuklappen-Ultras verzichte ich seit jeher) oder "drinnen" (bei den Verantwortlichen) niederschlägt, das lässt sich nicht so recht steuern.

Logischer ist nur der Einfluss auf die direkte Umgebung, die Qualität der Fußball-Berichterstattung - die ja, das behaupte ich jetzt einfach, in den letzten Monaten durchaus besser geworden ist - auch weil sich alle Print-Produkte abseits der Boulevard-Untiefen (vor allem der von Österreich, die bereits im Journal 05 Thema war) von ebenjenen absetzen wollen. Dazu kam die zunehmende Bedeutung der Web-Portale wie laola1 oder sportnet - die von der Szene im Übrigen als Normalität akzeptiert werden (was den Fußball- turmhoch etwa über den Kultur- oder Medien-Bereich erhebt).

So, und jetzt zu der am Anfang angekündigten Bilanz.
Ich möchte nämlich auszugsweise aus dem zitieren, was heute im Kurier zu lesen ist.

Die Kurier-Bilanz sagt:

Zum Beispiel im Unterpunkt Personalpolitik: "Seit der (verspäteten) Umstellung auf Raumdeckung und Viererkette unter Krankl ist die Nominierung eines modernen Außenverteidigers ein Suchrätsel. Garics, Ibertsberger und Dag sind international erfolgreiche Kandidaten, denen aber umfunktionierte Innenverteidiger (Schiemer, Ortlechner, Scharner) vorgezogen werden, bis sie von der Team-Ersatzbank genug haben. Auch das Dogma 'Es gibt keinen Platz für Ivanschitz' ist nach den Rochaden ähnlicher Spielertypen wie Jantscher, Beichler, Prager und Kavlak zu hinterfragen. Constantinis Erklärung 'Gewinnst, war alles super. Geht’s schief, war’s falsch', klingt etwas nach übertriebener Experimentierfreude."

Oder das Thema Kommunikation: "Constantini spricht naturgemäß viel besser Deutsch als sein Vorgänger Karel Brückner. Dennoch ziehen sich Kommunikationsprobleme wie ein roter Faden durch sein erstes halbes Jahr. Kann es sein, dass der Teamchef seinen von ihm ausgewählten Kapitän Pogatetz wochenlang nicht erreicht? Muss es sein, dass der Trainer einen gescheiterten Elferschützen (Scharner) nieder bügelt, nachdem darauf verzichtet wurde, einen (geeigneteren) Schützen festzulegen?
Darf es sein, dass für eine Nicht-Nominierung (Ivanschitz) nebulöse Gründe vorgeschoben werden, anstatt Klartext zu reden?"

Der Herr Pfeifminix

Oder der Punke Oberflächlichkeit: "Die 'Pfeif-mir-nix-Mentalität' auf dem Rasen ist leider auch abseits des Platzes zu spüren. Videoanalyse für das Spiel gegen Litauen? "Bringt doch nix". Laktat-Tests im Trainingslager? "Ich seh’ sowieso, wer wie fit ist". Vorgewarnte Spieler auf eine drohende Gelbsperre hinweisen? "Das sind doch alles erwachsene Männer."
Einen Elfmeterschützen bestimmen? "Ich nehme das Team nicht aus der Verantwortung."

Oder, das zum Zickzackkurs: "Sieben Spiele, sieben Aufstellungen. Hat Constantini auch ein Konzept, einen Masterplan abseits der Jugendförderung zu bieten? Es besteht die Gefahr, dass so lange so viel rotiert wird, bis alles durcheinander geraten ist. Constantini misst auch mit zweierlei Maß. Ein Macho ohne Spielpraxis darf im Tor stehen, ein in Hochform befindlicher Ivanschitz darf kein Team-Comeback geben. Der Teamchef hofft, dass mehrere Spieler in Zukunft in Top-Ligen wechseln. Gleichzeitig vergrault er Legionäre wie Manninger, Garics, Stranzl oder Ibertsberger, die er in Paris sehr wohl gebrauchen hätte können. Constantini verteidigte dagegen Scharners schwache Leistung als rechter Verteidiger in Frankreich, weil diese eigentümliche taktische Variante seine eigene Erfindung war."

Watchdog auf Abruf

Das sind fast allesamt Punkte, die ich seit Constantinis erstem Auftritt anspreche. Alles Punkte, die lange von niemandem sonst angesprochen wurden, nur in Fan-Kreisen, nicht aber in den Medien thematisiert wurden. Weil es dort die Schere im Kopf gibt, weil man sich nicht traut von sich aus eine Diskussion anzustoßen, weil man erst jemanden anderen braucht, auf den man sich berufen kann - das ist das aktuelle Versagen der Holzklasse.
Aber, schau an, jetzt sind sie angekommen, im Mainstream. Zu spät für die Quali, folgenlos, weil der ÖFB-Präsident den PR-Coach stützt, aber jetzt eben für jeden offensichtlich und nachvollziehbar.

Das Außenverteidiger-Problem etwa.
Das hab ich in der allerersten Constanini-PK angesprochen (mit einer wurschtig-patzigen Antwort) und seither schwelt und köchelt es vor sich hin, wurde in den ersten Länderspielen und bei meinen ersten Anmerkungen noch als Detail oder Spleen abgetan. Nach dem Wahnsinn mit Scharner rechts in St. Denis hat es jeder auf der Rechnung, ist es im Mainstream angekommen, und prompt kümmert sich die veröffentlichte Meinung um strategische Fragen, anstatt wie früher Home-Stories und anderen PR-Blödsinn auszuzuzeln.

Dasselbe gilt für zehn andere in dieser Analyse angesprochenen Punkte.

Neben der Kurier-Bilanz ist vor allem die Standard-Analyse des Ist-Stands aktuell Pflicht-Lektüre. Und auch hier könnte ich einige Ceterum-Censeo-Zitate rausnehmen.

Und da komm ich auf die Eingangsfrage nach der Sinnhaftigkeit der renitenten Ansprache problematischer Punkte (selbst wenn sie bei ihren Erstauftritten als unwesentlich, privatistisch oder sonstwie blöd angemacht werden) zurück: Wenn es möglich ist, strukturelle Schwachstellen oder systemische und taktische Fragen so deutlich auszumachen/zu stellen, dass sie nach einiger Zeit (Constantini ist seit April aktiv) den Mainstream erreichen, dann beantwortet sich die Sinnfrage von selber.
Im Optimalfall wird sich ein Watchdog wie dieses Journal irgendwann erledigen - einfach weil die kritische Beobachtung des Geschehens der Standard unter Medienmenschen und reflexionsfähigen Fans sein wird.