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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

14. 10. 2009 - 18:30

Fußball-Journal '09-97.

Une nuit à St. Denis.

Eine Nacht in der Pariser Vorstadt. Ein Live-Blog zum letzten WM-Qualifikationsspiel Österreichs in Frankreich.

Ein nachträglicher Blick auf die Netzwerkanalyse jenseits des constantinesken Geredes tut immer gut.

Und, unglaublich interessant in Bezug auf sinnloses Außenverteidigertum: die Bilanz des Litauen-Spiels zeigt auch die Paß/Kommunikationsquote zwischen Schiemer (rechter Verteidiger) und Kavlak (vor ihm rechter Mittelfeldspieler). Sie beträgt Null.

Die Ausgangsposition

Das österreichische Nationalteam ist Dritter in der WM-Qualifikation geworden. Ob das tatsächlich für Topf 3 in der nächsten EM-Quali-Auslosung reicht, wie es derzeit herumschwirrend behauptet wird, darf ich bezweifeln, aber es ist ein gutes Ergebnis, mit dem zu Beginn der Campaign nicht zu rechnen war.
Entscheidend waren die guten Ergebnisse gegen Rumänien und der Heimsieg gegen Frankreich. Ein Sieg auf Färöer hätte nichts genutzt, einer in Litauen wäre nötig gewesen, aber im letzten September hatten die einfach einen zu guten Lauf. Die Niederlage in Marijampole war, das weiß man heute, entscheidend.

Constantini ist trotz seiner sich nach außen gut verkaufenden jungen Welle nach nur einem echt schwachen Spiel seines Teams sofort ins Gerede gekommen. Das zeigt wie schwach seine Position ist - auch weil er ein taktisch-strategisches Leichtgewicht ist.

Hier im Standard wurde - im Rahmen einer Biermann-Buchrezension - alles noch einmal gnadenlos durchbesprochen; auch (fast) alles, was in den letzten Einträgen meines Fussball-Journals thematisiert wurde: Die Abwesenheit einer Vision/Philosophie, der fahrlässige Umgang mit Taktik/Strategie oder System/Gegnerbeobachtung, die Lächerlichkeit des "Geht's raus und spüt's euer Spü"-Laissez-Faire, die Nichtrücksichtnahme auf die Nachwuchs-Nationalmannschaften und vieles andere mehr.

Krasse Defizite

Wie sich zeigt, sind sich die reflexionsfähige Fans und der mitdenkende Teil der Medienberichterstatter einig: Aktuell läuft ein von der Hand in den Mund lebendes Nicht-Konzept, das ein ÖFB-Präsident in des Kaisers neuen Kleidern als potemkinsches Dorf um seinen PR-gewandten Teamchef gebaut hat, im kopflosen Zickzack planlos durch den Hühnerhof.

Reinhard Krennhuber schreibt im Editorial des neuen Ballesterer: "Constantini muß einen Stamm finden und ihm ein taktisches Konzept vermitteln, ohne zu einer Krankl-Kopie zu mutieren, der diesbezügliche Defizite mit immer neuen Gesichtern zu übertünchen versuchte."

Das ist noch sehr höflich formuliert.

Denn diese Defizite sind offensichtlich und werden im ÖFB mittlerweile auch auf die bislang von taktisch gewandten Fachleuten ausgebildeten Nachwuchs-Nationalmannschaften ausgeweitet - wie anhand des Beispiels der U19 von Andreas Heraf dieser Tage deutlich sichtbar wurde.

Die krasse Fehleinschätzung des ÖFB, der glaubt seine Nationalmannschaften immer noch nach Hugo Meisl-Standards führen zu können, anstatt sich der (zunehmend verwissenschaftlichen) Realität (die man ja nicht mögen muss) zumindest zu stellen, und die daraus resultierende derzeitige Personalpolitik stellen die Weichen in Richtung Abkoppelung. Und das, obwohl die neue und junge Spielergeneration (eine Frucht der guten Ausbildung der letzten 10 Jahre) dem eigentlich entgegenstehen würde. Solange sie allerdings, wie zuletzt in Innsbruck vercoacht werden, nützen diese Anstrengungen nichts.

St. Denis als Fingerzeig?

Vielleicht, aber wohl nur als ein kleiner. Denn gegen Frankreich auswärts, unbelastet, kann nicht viel schiefgehen. Wenn sich die junge Mannschaft wehrt und untergeht, hat sie ihre Pflicht ebenso erfüllt, wie wenn sie sich einen Punktgewinn erringt.

Die ÖFB-Trainer haben eine seltsame Aufstellung durchsickern lassen, mit Dag und Fuchs als (diesmal) echte Außenverteidiger - einem Novum in der Ära Constantini, die bislang von totalen Unverständnis der strategischen Bedeutung des Außenverteidiger an sich geprägt war - also einer offensiven Verteidigung, die allerdings vor einem defensiven Mittelfeld (mit einem Doppel6er) agieren soll. Davor werden wohl zwei Stürmer eher in der Luft hängen. Ob die offensiven Außen gegen die Franzosen, die wohl über die Flügel attackieren werden, sinnhaft ist, sei dahingestellt. Womöglich haben Constantini, Zsak und Peischl aber diesmal tatsächlich den Gegner studiert (bei Litauen war das ja wohl nicht der Fall) und etwas entdeckt.

Als mediales Ablenkungsfutter - damit Krone/ÖsterreichundCo nicht auf die Idee kommen über Inhalte zu berichten - wurde David Alabas womögliches (und hocherfreuliches) Debüt über Gebühr aufgebauscht. Die PR-Schiene ist das Einzige, was wirklich blendend funktioniert im eingespielten Show-Werkl, das da zwischen Fußball-Nomenklatura und den kritik/reflexionsfreien Medien-Partnern abläuft.

Und: nix da, wieder kein Rechtsverteidiger...

Es wäre auch entgegen seiner Linie gewesen, einmal mit zwei echten Außenverteidigern oder mit einem echten Rechtsverteidiger aufzulaufen: rechts spielt das ÖFB-Team mit Paul Scharner (was der zuletzt glaub ich bei der Austria gemacht hat) anstatt mit Dag. Ausrede: Constantini will die Seite zumachen. Dazu: Patocka in der Innenverteidigung, meingotterl...
Vorne werden vier Meter in der Luft baumeln, wer flanken soll (zum Beispiel die Aufgabe eines modernen Außenverteidigers der Marke Dani Alves) ist scheinbar nicht so wichtig.

Das heißt: 4xRapid, 2xAustria, 1xSturm, 1xSalzburg, 2XEngland, 1xDeutschland.

Österreich droht mit (1) Payer; (16,K) Scharner, (2) Dragovic, (4) Patocka, (5) Chr. Fuchs; (13) Kavlak, (15) Baumgartlinger, (6) Pehlivan, (10) Jantscher; (11) Maierhofer, (17) Janko. Gleich fünf Umstellungen also, zwei wegen Sperren, Jantscher statt Beichler, Maierhofer statt Wallner.
Auf der Bank sitzen (12) Gratzei, (18) Dag, (3) Alaba, (8) Beichler, (14) Drazan, (9) Wallner und (7) Hoffer, out sind Schranz, Ortlechner, und mit Prager und Ulmer zwei Litauen-Starter. Schiemer ist gesperrt. Anpfiff ist um 21 Uhr.
Constantini will sich steigern und bestehen, sagt er, wow.
Gegner Frankreich wird eine A1-Mannschaft, eine bessere B-Elf auflaufen lassen, viele Stars (Anelka) werden geschont, man will keine Gelb-Sperren (Gallas, Abidal und Sagna nur auf der Bank, Evra komplett draußen) riskieren, Kapitän Henry wird allerdings dabei sein.

Der erste Angriff der Franzosen...

... und der erste Fehler des sofort überforderten Patocka, klar wie das Amen im Gebet. Domenech, ein Problemkind der Sonderklasse, hat echte Außenverteidiger aufgeboten, recht zb den international unbekannten Fanni von Rennes. Er scheint sicher, die restliche B-Abwehr der Franzosen eher nicht.

Das heißt 4xSpanien, 2xEngland, 2xOL, je1x Bordeaux, Toulouse, Rennes.

Die stehen so: (1) Lloris; (7) Fanni, (17)Squillaci, (2) Escude, (13) Clichy; (8) Govou, (6) Moussa Sissoko, (18) Alou Diarra, (15) Malouda; (10) Benzema, (12,K) Henry. Also auch hier ein zentraler Doppelsechser, aber einer, der sich auch im Spielaufbau versucht. Trotzdem ist dieses Domenech-Vorsicht-System ein wenig gestrig.
Bank: (16) Mandanda; (2) Sagna, (3) Abidal, (5) Gallas, (14) Toulalan, (11) Gignac, (9) Gomis.
Österreich spielt, siehe oben, wie erwartet.

Nächstes doofes Foul Patocka, nächster Freistoß. Dragovic bessert die vielen Fehler seines Nebenmanns aus.
Im Mittelfeld spielen die Österreicher zu Beginn durchaus mit, und, schau an, nach einem eher zufälligen Ball in die Spitze macht Janko was: Ablage, guter Schuß Maierhofer, Lloris muß sich strecken.

Dass sich das bessere Kombinationsspiel durchsetzt, versteht sich: denn auch wenn sich das Führungstor der Franzosen (Malouda Cross - Benzema Kopfball) aus einem Fehler von Maierhofer (Technik? Übersicht?) ergibt - die sind eine, wenn nicht zwei Klassen besser organisiert und taktisch eben eingestellt und nicht - wie die Österreicher - planlos auf den Platz geschickt worden.

Wer keine Idee hat, kann nichts erreichen

TV-Kommentator König erinnert an die Strategie des Hinspiels, dem verblüffenden 3:1 von Wien: die Lufthoheit zu erringen, das war das dezidierte Ziel Brückners, der dafür alles aufbot, was er hatte. Und aus diesem strategischen Ziel dann einen Sieg machen konnte. Sein Handwerk: eine Idee, eine Vision, eine Philosophie. Alles mittlerweile völlig unter PR-Mist verschüttetes Wissen.

Frankreich bekommt zahllose Freistöße und sorgt erst in der 23. Minute damit erstmals für Gefahr - überragend ist das nicht. Für einen unstruktiert aufgestellten Gegner reicht das allemal. Und ein patschertes Agieren von Fuchs sorgt für einen Elfer und Henry sorgt für ein schnelles 2zu0.

Payer rettet danach gegen letztlich drei durchlaufende Franzosen (die Patocka auf zehn Metern etwa zwanzig abnehmen...) - jetzt heißts aufpassen um nicht unterzugehen.
Bei den Österreichern klappt die Verbindung zwischen den Mannschaftsteilen gar nicht - die Abwehr ist überbeschäftigt, das Mittelfeld innen zu vorsichtig, außen zu stark unter Druck und kaum im Angriff, die Meter vorne hängen, wie zu erwarten, in der Luft. Ein zentraler offensiver Wusler hinter einem Keilstürmer wäre ein sinnhafteres Rezept.

Danach, nach 30 Minuten, ist es vorbei: Frankreich kontrolliert, Österreich ist wehrlos. Das sind 15 trübe Minuten in die Halbzeit. Und es ist, wie schon zuletzt, nicht die Schuld der Spieler, dass sie nicht wissen, was sie so recht tun sollen.

Trüb ist auch die Kurzsicht der Pausen-"Experten", die sich (auf der Suche nach dem weg des geringsten Widerstands) wieder auf "dumme Tore" ausreden, anstatt sich um die Struktur, die den gegenwehrlose Leistung angestoßen hat, zu untersuchen.

Halbzeit 2

mit zwei Wechseln. Gratzei (12) kommt für Payer (Kreislaufkollaps) ins Tor (damit lösen einander die eigentlichen Euro-Nummer 3-Torhüter, die dann beide ausgefallen sind, ab), Hoffer (7, der Wusler) für Maierhofer (den Techniker). Und das hat sofort Folgen: Hoffer erwuselt sich einen Ball, zieht durch die wie bereits erwähnt nicht extrem sichere französische Abwehr durch, Schuß, Abwehr direkt vor Jankos Beine, Abstauber, Tor, 2:1.
Wenn das mehr als ein Strohfeuer sein will, muß in den nächsten Minuten mehr kommen.

Bei Frankreich kommt Gignac von Toulouse für Henry, der Frühschluß machen darf. Kapitän ist jetzt Govou.

Wenn Scharner noch einmal nach einem klaren Foul von ihm protestiert, oder wie eben eines schinden will, entzieh ich ihm meine Sympathie. Der arme Kerl muß weiter rechts spielen, seine Flanken sehen entsprechend aus, sogar Prohaska, der sich taktisch (vielleicht aus gutem Grund) nie aus dem Fenster lehnt, hat seine Aufstellung dort als lachhaft empfunden.

Zwei halbe Szenen für Janko, der als Stoßstürmer klar besser zur Geltung kommt, aber die von rosabebrillten Patrioten erkannten Chance auf den Ausgleich kann keine Rede sein.

In der 65. Minute kriegt man rechts hinten Probleme, Dragovic muß rausrücken, Gignac tanzt an Patocka vorbei und schießt ein schönes 3:1. Und Malouda kurz danach fast das vierte. Auch über die rechte Abwehrseite der Österreicher.

Konzeptlos lahm

Im übrigen kann nur noch Dag oder Alaba heute sein Teamdebut feiern, beide gehn sich nimmer aus. Ich schätze, dass er wieder einmal Dag desavouieren wird, und eher Alaba einsetzen. Im übrigen ist die Ausrede, dass er von Nigeria (weil sein Vater da her ist) oder Deutschland (weil er dort seit eineinhalb Jahren spielt) abgeworben werden soll, ein rechter Topfen. Alaba hat sich immer klar für Österreich ausgesprochen, Gefahr besteht/bestand nie.

Dass das ÖFB-Team nach dem 3zu1 wieder total lahmt: klar - sie haben ja keinerlei Konzept dafür mit auf den Weg bekommen. Und da reicht es dann eben nicht (siehe Krennhubers Zitat) immer nur auf Junge und frische Gesichter zu setzen und so die taktischen Grundsätze zu vernachlässigen. Jantscher ist - ebenso wie Beichler gegen Litauen - nicht zu sehen, die jungen Superstars können's eben nicht immer richten, Pehlivan/Baumgartlinger mühen sich heute stark, klar bester Österreicher, bester Abwehrspieler am Platz: Aleks Dragovic. Kavlak traut sich immerhin noch über Freistoßtricks, der hat sich in den letzten Wochen stark aus dem Sumpf rausgezogen.

Wette mit mir selbst gewonnen - Alaba (3) kommt, nicht Dag, der wird weiter als Jo-Jo mißbraucht. Vielleicht soll der wie schon Garics oder Ibertsberger solange nicht aufgestellt werden, bis er um Freistellung bittet - das wäre eine konsequente Fortführung von Constantinis Führungsarbeit.

David Alaba kommt um 22 Uhr 37 und 55 Sekunden aufs Feld und ist damit der jüngste österreichische Teamspieler aller Zeiten. Er ersetzt Christian Fuchs als linker Außenverteidiger. Klare Sache, dass das eine Position ist, die er nie spielt, klare Sache, dass Constantini seine nur noch grotesk zu nennenden Außenverteidiger-Linie damit weiter in abstruseste Höhen treibt. Anstatt ihn für Kavlak oder Jantscher zu bringen, deren Position er spielen kann, wird der Bub für die letzten Minuten auf eine Stelle gesetzt, wo er nur verlieren kann.

Mäusespeck

Dass ein ÖFB-Teamchef eine Viererabwehr in der Besetzung Scharner-Dragovic-Patocka-Alaba spielen läßt, ist ganz unglaublich grotesk. Als ob man einen Apfel als Suppe, Mäusespeck als Hauptgang und Leberwurst als süße Nachspeise serviert.

Bei den Franzosen ersetzt Gomis Benzema, damit spielt dort der C-Sturm, hat das Spiel sicher im Griff, was gegen eine völlig absurde, taktisch blanke Formation auch kein Wunder ist.

Fast jeder der aktuell eingesetzten Spieler hat hohes Potential. Und verdiente ein Coaching-Team das wirklich etwas draus macht und es nicht nur als PR-Schmäh für die eigene Karriere benützt.

--under construction, to be continued--