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Arthur Einöder

POP: Partys, Obsessionen, Politik. Ich fürchte mich vor dem Weltuntergang, möchte aber zumindest daran beteiligt sein.

15. 10. 2009 - 16:42

Aktuelle Empfehlung

Ins Kabarett gehen: kein Scherz!

Kabarett kann manchmal sehr super sein.

Ich hege ein riesengroßes Misstrauen gegenüber Menschen, die einem vormachen, alles zu wissen, und auf alles immer eine Antwort geben. Das ist mir total suspekt.

Nicht, dass ich es nicht schätzen würde, wenn sich Leute voll gut auskennen auf irgendeinem Gebiet. Aber auf alles (!) immer (!!) irgendwas sagen können und zu allem eine Meinung zu haben: das geht sich in meiner Logik einfach nicht aus. Da find ich es oft tausend Mal spannender, wenn mir jemand ins Gesicht sagt, du, ich hab echt keine Ahnung. Ich nämlich meistens auch nicht, und wenn man dann so redet, entdeckt man im Spezialfall sogar was Neues.

Blöderweise ist das Ich weiß nicht, aber es könnte sein nicht besonders gut angeschrieben. Allgemein. Wurscht, ob das in der Stundenwiederholung, beim Vorstellungsgespräch oder beim Essen mit den Eltern deiner Freundin ist.

Keiner traut sich mehr irgendwelche Schwächen zugeben, und das ist ein Teufelskreis, der bis zu einem gewissen Grad so ziemlich alles bestimmt, was auf der Welt so passiert.

Das ist schade, weil ein jeder so zum Erfüllungsgehilfen wird, indem er nämlich nachplappert, was irgendwer anderer vorgeplappert hat (der das auch wem andern nachplappert), oder halt im vorauseilenden Gehorsam sagt, was der Andere vielleicht hören will. Ur fad.

Letzten Freitag hab ich zwei Menschen kennen gelernt, die mit ihren Schwächen sehr offensiv umgehen. Und schwupps, kannst du hinter ihr grindiges Grinsen und hinter ihr perfektes Pokerface blicken. Nein - ich war in keiner Selbsthilfegruppe, du Häusl.

Sondern im Kabarett Niedermair. Dort spielen jetzt jeden Freitag spätabends abwechselnd Rudi Schöller und Hosea Ratschiller. Endlich Kabarett, das du auch verstehst, ohne dich dafür in die Lebenswelt deiner Eltern hineinversetzen zu müssen.

Der lieben Tradition wegen: Ein Link zum Blumenau. Diesmal zum Thema Innensicht und Freunderlwirtschaft und so.

Ein bisserl gelogen hab ich trotzdem, weil ich hab sie genau genommen nicht gerade erst kennen gelernt. Beide haben noch lose mit FM4 zu tun, wo sie zu Beginn ihrer Karrieren Zeug gemacht haben. Und einen von beiden kenne ich schon fast mein halbes Leben lang.

Und genau genommen haben die beiden - abgesehen davon - auch nicht viel gemeinsam. Nur, dass sie nichts nachplappern und auch nicht den großen Ich-steh-total-drüber-und-mach-mich-über-alles-lustig-Macker markieren, sondern den Zwiespalt mit der Schwäche beinahe schmerzhaft eindringlich auf die Bühne bringen.

junger Mann mit Scheitel in Livree

Rudi Schöller

Rudi Schöller spielt den Vormärz und ist Autor bei der ORF-Serie Wir sind Kaiser

Das Programm von Hosea Ratschiller heißt Liebe Krise 2.0 - das von Rudi Schöller nennt sich schlicht Show.

Show hat in diesem Fall eine eher ungeahnte Bedeutung. Vordergründiges superduper Halligalli ist nämlich was ganz anderes. (Im Falter nennen sie ihn einen Anti-Kabarettisten.) Show heißt bei Rudi Schöller einfach nur zeigen. Im Pons steht ja auch nicht etwa blenden, unterhalten, ablenken drin. Freundin, Familie, Kinder? Job, Krise, Freundschaft? Stadtneurose oder Flucht aufs Land? Rudi Schöller stellt Fragen, die sich Menschen mit Anfang 30 wohl so stellen. Und identifiziert dabei die Kommunikation als Schlüssel. (Es schaut so cool aus, jedesmal wenn er zu diesem Tisch geht!) Klischees verboten. Und wenn dann nur, um sie zu brechen.

Rudi Schöller kann Geschichten erzählen. Körperlich (minimalistisch) und sprachlich (subtil). Singen kann er nicht so. Macht er aber trotzdem, und es ist wunderbar.

Auf den ersten Blick ist das Programm von Hosea Ratschiller da ganz anders. Ein grotesk penetranter eitler Geck mit Grasserhaarschnitt und Fendrich'schem Heiratsschwindler-Augenaufschlag tritt auf die Bühne. Mutige Maskerade gleich im Debüt-Programm. Als Zuschauer sitzt du drin, und fragst dich erst einmal, was soll denn das.

junger Mann auf dunkler Bühne mit herzförmigem Lampion daneben

Hosea Ratschiller

Hosea Ratschiller hat bei FM4 unter anderem die Sendung Chance 08 gemacht. Ab 1. November ist er bei der Ö1-Kabarettsendung Welt Ahoi! dabei

Spätestens, wenn das so genannte Solo dann seine dritte ungeahnte Wende nimmt, und sich das menschliche Drama rund um die Hauptfigur, das verkannte ORF-Talent, auf die dritte Meta-Ebene beginnt, wird dir aber klar: dieser Mensch versteht.

Mich. Dich. Unsere Zeit. Die so genannten Medien. Warum du keinen Job hast, von dem du leben kannst. Warum du gern Heimatfilme schaust, aber Österreich trotzdem seltsam findest. Warum du Angst hast. Und warum du trotz vieler Freunde einfach nur einsam bist.

Das Verblüffende daran ist, dass er dir das alles nicht sagt. Du kommst selber drauf. Irgendwann zwischen Lachen und Kopfschütteln.

Genau genommen kann ich selber aber gar nicht beurteilen, wie die Figur Hosea Ratschiller auf der Bühne auf andere wirkt. Wenn ich selber so punktgenau mit meiner eigenen Identität als Figur spielen könnte, wär ich vermutlich schon komplett irre und voll in echt reif für die Selbsthilfegruppe.

Gut möglich, dass er für dich als Besucher wie ein manischer Selbstdarsteller daherkommt, der sich im Lauf eines Abends selber zerlegt.

Gut möglich aber auch, dass du ziemlich bald hinter die vordergründig ungeheuer lustige Geschichte blickst: Vielleicht beginnst du, Dinge herauszulesen und herauszuhören, selbst wenn du Club Karate auf Radio Orange nie gehört hast, und den brachial-komischen Ansatz der FM4-Mitternachtssendung Chance 08 verpasst hast, wo er mit Lukas Tagwerker zwischen Zoten und Hooliganradio tatsächlich die Welt verbessert hat.

Deswegen möchte ich für die nächsten Freitage bis zirka Anfang Dezember einen Trend ausrufen: bevors in Wien auf die Party geht - vorher noch ins Niedermair!

Weil obwohl die subtilen und nachdenklichen Töne das Programm von Rudi Schöller bestimmen; Obwohl Hosea Ratschiller die manische Ich-AG gibt: es geht dir nachher gut genug, um noch um die Häuser zu ziehen.

MEGABONUS:

Noch ein FM4-ler steht dieser Tage auf der Bühne!!! Herr Hermes (berühmt und berüchtigt als Kenner der unteren 10.000 in Willkommen Österreich) bringt seine Exkursionen in ultratiefe Gefilde auf die Bretter des Rabenhofs. Premiere ist am 16. Oktober! Es wird super.