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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 10. 2009 - 20:55

Journal '09: 12.10.

Nix über die 80er.

Heute hier also das gestern da angesprochene Journal über die 80er.
Also: es gab am Wochenende eine Themen-Party, "Death to the 80ies", eine Art Final-Veranstaltung der Ink Music Week und auch einer teilweise über Facebook abgeführten Zusammenstellung von Stücken auf einer CD.
Super-Sache: aktionistisch, belebend, kombiniert neue Medien und neue Musiker, Studio- und Live-Können, verknüpft und verbandelt. Ein ideales Konzept in einer im Umbruch befindlichen Musikwelt.

Ich bin just in den Moment ins Gartenbau gekommen, als zwei oder drei junge Herren eine recht innige Version eines sehr aussagekräftigen 80er-Jahre-Stücks angestimmt haben:

Komm, wir lassen uns erschießen, an der Mauer Hand in Hand.
Komm, wir lassen uns erschießen, mit dem Kopf an der Wand.
Komm, wir lassen uns erschießen, Sonntag morgens 5 vor 10.
Ich kann den Sonntag nicht ertragen, und ich will keinen Montag sehn.

Komm, wir lassen uns erschießen, zwei Schüsse mitten ins Gehirn.
Komm, wir lassen uns erschießen, ich hab nichts zu verlier´n.
Komm, wir lassen uns erschießen, Sonntag morgens 5 vor 10.
Ich kann den Sonntag nicht ertragen, und ich will keinen Montag sehn.

Langeweile killt nur langsam, du wirst sehn, es tut uns gut, mir ist heute so gewaltsam, mir ist nach Schüssen heut zumut.

"Erschießen" von Ideal, vom "Ernst des Lebens"-Album von 1981, ein prototypisches Berlin-Stück der 80er, in den Folgejahren der Hochblüte von Bowie/Iggy oder Neubauten/Christiane F. entstanden, depressiv aber rotzig, rebellisch und provokativ, aber auch poetisch und nachdenklich. Wenn man "Erschießen" und die Überwindung der Mauer 1989, derzeit ja in aller Medien, als Klammer nimmt, dann hat man ein wichtiges Berliner, vielleicht sogar deutsches Lebensgefühl erfasst, in a nutshell.

Toll, denke ich, eine gute Wahl von "Colombin" und erwarte demzufolge mehr - nur um in der Folge von Stück zu Stück mehr und mehr enttäuscht zu werden.
Irgendwann seh ich mir den Sampler dann an und bin ein wenig bestürzt: Das, was sich die jungen Bands da ausgesucht haben, erinnert an die schwächeren der K-Tel-Hit-Kopplungen (das waren die Vorgänger der Bravo-Jahresringe-Sampler) der 80er (denn die wilde Disco-Scheiße fehlt komplett). Und in denen waren Mainstream und Alternative noch nicht so eng beeinander wie heute; da gab es eine wesentlich striktere Trennungen.

Der Dreck holt lässig die Absolute

Ich finde unter 20 Songs absolut mehrheitlich wirklich grausamen Mainstream-Dreck, Hits, die der damalige Ö3-Musikchef Peter Barwitz (Lieblingsband REO Speedwagon) geschätzt hat, also übelsten Radiofüllmüll.
Ich kann viermal okay oder solala sagen und genau zwei Stücke erfüllen die Erwartung, die ich an Musiker von heute, die sich tolle Musik von gestern suchen, stelle: Luise in Panik fand Momus (hoher Respekt) und eben Erschießen. Selbst die Wahl des Neil Young-Songs ist ein wenig zu billig.

Der Rest der Musiker, die hier aufgelistet sind glaubt sich mit Roxette, den Scorpions, Yes, Foreigner (ich glaub ich übergeb' mich gleich...), Paul McCartney oder One-Hit-Wonders wie Bette Davis Eyes davonstehlen zu können.

Nun haben alle Bands, die ich gesehen habe (und auch die Zuspieler, die ich hören konnte) gute Arbeit geleistet und die Stücke in ihre Welt, ihre Zeit und ihr Schaffen integriert. Musikalisch ist niemandem ein Vorwurf zu machen.

Mein "Daumen-runter" bezieht sich auf die Denkleistung im Vorfeld. Wer nicht gefordert wird, ist offensichtlich auch nicht willens, sowas aufzubieten.
Die Vorgabe "80er" allein führt zu Resultaten wie sie unter Krone/Österreich-Lesern nicht anders ausgefallen wäre - oder auch wenn man LuttenbergerKlug&Starmaniacs dieselbe Aufgabe gestellt hätte.
Das ist ein wenig gar armselig, weil es sich doch um einen Teil der Indie-Pop-Elite des Landes handelt. Also Leuten, denen man das zutraut, was ich anfangs beim Ideal-Stück angemerkt habe - die kurze aber herzliche Beschäftigung mit einer Zeit, die man zwar nicht selber (oder wenn dann nur als Kind) erlebt hat, über die es aber in www mehr ale genügend Aufzeichnungen und Informationen gibt.

Weiße Flecken nicht bunt ausmalen wollen

Die 80er haben mit Sandinista von The Clash begonnen, weitere 80er-Helden: Violent Femmes, Tom Waits, Guns'n'Roses, Public Enemy, Replacements, Meat Puppets, die Pogues, The Jesus & Mary Chain, Beastie Boys, Billy Bragg, Dinosaur, Pixies, R.E.M., Run DMC, Gun Club, Jungle Brothers, die Cramps, N.W.A., XTC, The Fall, Springsteen hat Nebraska gemacht, U2 The Joshua Tree, Lou Reed New York oder The Blue Mask, Hüsker Dü, New Order, The Cure, Elvis Costello, Rollins, der ganze US-Mineralwasser-Harcore von mir aus auch Janet Jackson und andere mehr...

Wenn sich die Rezeption eines Musik-Jahrzehnts aber so billig auf das, was an der Oberfläche daherbrutzelte, beschränkt, wenn man sich also weder an Duran Duran-Frisuren noch an Talking Heads-Anzügen, weder an Smiths-Kapriolen/Gladiolen noch an Prince-Glitzer zu orientieren vermag, von wahren Underground-Beherrschern wie Nick Cave oder Sonic Youth, von Sound-Revolutionen wie Sampling oder dem in seiner absoulten Hochblüte befindliche HipHop nicht die geringste Kenntnis hat, dann ist eine Aufforderung wie die von Ink-Zampano Hannes Tschürtz sich doch mit diesen Jahren zu beschäftgen der ideale Anlass die weißen Flecken im eigenen Wissen bunt auszumalen.

Nun hat der Betreiber entweder nicht vermitteln können, dass es sich bei der Compilation "Death To The 80s" nicht um ein Koarl-Projekt der DJ Ötzi-Kategorie, sondern schon um etwas handelt, was auch Menschen in die Hand fallen könnte, die sich ein bisserl auskennen.
Oder die Teilnehmer sind, in ihrer absoluten Mehrheit völlig geschichtslose und somit auch gesichtslose Tschapperln, die sich mit dem erstbesten begnügen, die über den Hitsampler-Jahresring aus dem Abverkauf nicht hinausgekommen sind und es auch gar nicht wollen.

Die Lied-Sammlung mag in sich gelungen und rund sein, aber die (Zitat) "schillernde Phase des Pop", als die der Waschzettel das gecoverte Jahrzehnt ausschildert, hat man um eine ganze Galaxie verfehlt.