Erstellt am: 16. 10. 2009 - 15:00 Uhr
Einladung zur Kaffeefahrt
Der Himmel ist so grau, dass nachträglich Photoshop die Figuren am Dach des Senioren- und Pflegewohnhauses in Graz-St.Peter erhellen muss. Meine 85jährige Oma sitzt in ihrem Wohnzimmer auf der anderen Seite der Stadt und hört dem Fernseher zu. Ich kenne niemanden in diesem Heim, das während des steirischen herbst zum "Hotel Rollator" mutiert.
Das Hotel Rollator befindet sich im Caritas Senioren- und Pflegewohnhaus Graz-St. Peter, Hubertusstr. 6, 8042 Graz.
Geöffnet ist das Hotel Rollator täglich von 14 bis 18 Uhr.
"Für Gäste gibt es die Möglichkeit, sich in bereits bewohnte Zimmer stundenweise einzumieten und zu einer Reise in die Vergangenheit aufzubrechen", erklärt die Projektbeschreibung von Hotel Rollator. Bei unbekannten Tabletten liest man auch erst den Beipackzettel.
"Großartig" sei das Hotel Rollator, sagt ein 22Jähriger am Samstagabend, kurz nachdem mich das "Generationen-Spiegel-Spiel" im Theaterstück "Yo en el futuro" nach 45 Minuten unbeeindruckt im Festivalzentrum stehen lässt. "Ich war kurz vor der Depression", sagt er. Und es klingt kein bisschen zynisch. Da wurde ich neugierig.
Zugegeben, ich wollte mich drücken. Wer geht freiwillig ins Altersheim? Außer um dort jemandem einen Besuch abzustatten?

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Willkommen im Hotel Rollator
Wochenpläne bieten einen Überblick über die Aktivitäten, mit denen der Kulturverein uniT während des steirischen herbst BesucherInnen und HausbewohnerInnen unterhalten möchte. Gemeinsam singen, Musik von Herrn Amtmann und Filme wie "Young@Heart" stehen auf dem Programm.
Durch Schiebetüren geht es in die Lobby. Eine ältere
Dame im Rollstuhl und ihr jüngerer Besuch sitzen an einem der vielen Tische. Am frühen Nachmittag ist es ruhig, über Lautsprecherboxen klingt "Püppchen, du bist mein Augenstern".
Ein Mann begrüßt mich, vier gestickte Sterne und der Schriftzug "Hotel Rollator" zieren sein Hemd. "Heute gibt es alte Werbefilme zu sehen. Möchten Sie mir ins Kino folgen?"
Der Grazer Kulturverein uniT verwandelt den Eingangsbereich des Seniorenheims in ein Hotel, das Gästen offensteht. Nicht zum ersten Mal macht uniT mit den BewohnerInnen gemeinsame Sache. Seit drei Jahren initiiert das uniT-Team Projekte mit den HeimbewohnerInnen. Eine Modeschau und ein Magazin sind bereits entstanden, man kennt und schätzt einander und unternimmt gemeinsam Dinge, ohne permanent auf eine potentielle Publikmachung zu schielen.
Animierte Lebens-Werke
Julia Laggner hat auch den Dokumentarfilm "Heim ist nicht daheim" gedreht, in dem vier BewohnerInnen Einblicke in ihr Leben im Seniorenheim geben.
Premiere hat die Doku am 17. Oktober, 17 Uhr, im Festivalzentrum des steirischen herbst.
Im Frisierzimmer laufen Trickfilme auf einem Fernseher. Andrea Markart dreht die Lautstärke höher. Zusammen mit Julia Laggner hat sie das Leben von dreizehn HeimbewohnerInnen in Trickfilme verpackt. "Die Dame steht nicht mehr aus dem Bett auf", erzählt sie mir, als sich ausgeschnittene Buchstaben zu einem "Ende" formieren. Liegend sah sich die Frau ihre animierte Lebensgeschichte an. Freitag für Freitag, Stück für Stück, bis alle Motive des Films gewählt waren.
Aus bis zu 7.000 Fotos pro Porträt setzten Markart und Laggner die Lebensgeschichten zusammen. Die kurzweiligen Videos entstanden in enger Zusammenarbeit mit den Porträtierten. Über zwei Jahre trafen sich die Filmemacherinnen mit sechzehn HeimbewohnerInnen, hörten ihre Erinnerungen und versuchten, diese so detailliert wie möglich in Szene zu setzen.

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Eine der Porträtierten ist eine gebürtige Holländerin, deren Schwangerschaft sie kurz vor dem Zweiten Weltkrieg in die Steiermark führte. In ihrem Video fliegen Tulpen über Wiesen, ein roter Bus fährt zwischen Feldern, Füße in zig verschiedenen Schuhmodellen steigen aus dem Bus.
Die Blumenpflückerin verwehrte sich dagegen, dass ihr animiertes Alter Ego in Holzpantoffeln in der Wahlheimat ankäme. Nie hätte sie dieses Schuhwerk getragen. Also sieht man diverse Modelle, nur keine Pantoffel.
Im nächsten Porträt wachsen Blumen aus Stricknadeln, die eine Frau flink bewegt. Jeden Sommer hatte sie strickend im Garten verbracht, das hat sie Andrea Markart erzählt. Heute fehlen ihr beide Beine, aufgrund einer Krankheit mussten sie amputiert werden. Wie groß dürfte der Bildausschnitt gewählt werden? Die Frau wünschte sich ein Kleid für die Animation, das so weit reicht, dass der Zuschauer nicht erkennen kann, ob sich darunter Beine verbergen oder nicht. Die Qualität der Kurzfilme liegt in dieser ernsthaften Auseinandersetzung mit den HeimbewohnerInnen - schließlich geht es um ihre Geschichten. Dafür fertigte Andrea Markart auch Vergrößerungen an, um einer beinahe blinden Dame die Auswahl ihrer filmischen Garderobe zu ermöglichen. Und als Zuschauer erfährt man, wie sich Frauen einst die Schürzen zu Badeanzügen banden.
Allein diese Trickfilme sind den Besuch im Hotel Rollator wert.
Im Blick zurück entstehen die Dinge
Als Besucher kann man noch weitere Zeit im Seniorenheim verbringen. So zeigt eine Diashow Wünsche der BewohnerInnen, die in Fotomontagen erfüllt werden. Einmal wieder auf einem Pferd reiten, mit dem Motorrad davondüsen. Die Collagen wechseln sich mit dem "Making Of" ab.

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"Ich bin nicht alt. Ich bin nur schon lange auf der Welt."
Unerwartet fröhlich ist das Projekt von uniT und der Caritas Graz-Seckau für den steirischen herbst geraten. Sehr vergnügt und doch umsichtig wird hier dem eintönigen Bild vom Leben im Altersheim entgegengearbeitet. Schließlich ist ein Aufenthalt im Heim keine Durchreise. Frau Quintus zum Beispiel lebt seit siebzehn Jahren hier, erzählt Andrea Markart. "Ohne Angehörige."
Die Zeit vergeht im Hotel Rollator schneller als gedacht. Ausgeklammert bleibt thematisch der Tod. Doch das fällt einem erst auf dem Heimweg auf.

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