Erstellt am: 13. 10. 2009 - 11:29 Uhr
Getting it wrong, Teil 1
Getting it wrong
Kulturelle Missverständnisse
Let me tell you about kulturelle Missverständnisse.
Neulich war ich im Goethe Institut bei einer Retrospektive jener Coop99-Filme, die ich alle bisher aus geographischen Gründen versäumt hatte. Nach der Vorführung von "Spiele Leben" (das hier "Bet Your Life" hieß) konfrontierte einer der anwesenden britischen Filmkritiker den ebenso anwesenden Regisseur Antonin Svoboda mit dessen eigenen einleitenden Worten:
"Du hast vor dem Film gesagt, er wäre nicht 'nice and easy', aber das ist im österreichischen Film ja nicht unbedingt ein Unterscheidungsmerkmal. Haneke und Seidl sind ja auch nie 'nice and easy'. Sowas wie 'nice and easy' gibt es doch gar nicht im österreichischen Film."
Die Provokation verfehlte nicht ihr Ziel. Svobodas Kollegin Barbara Albert äußerte ihr entschiedenes Unwohlsein darüber, international immer mit erwähnten Namen in die Österreicherkiste geworfen zu werden.

Robert Rotifer
Und Svoboda versuchte - vielleicht nicht ganz vergeblich - zu erklären, dass das, worauf er reagiert, nicht der österreichische Film sei, der in Festivals läuft, sondern der gesamte kulturelle Mainstream in dieser Bonbonnierenschachtel von einem Land (um ihm jetzt meine Formulierung in den Mund zu legen).
Die anglophone Illusion
Dann brachte er als britischen Bezug die Namen Ken Loach und Mike Leigh ins Spiel, vielleicht nicht ganz ahnend, welches spontane Gefühl der Ermüdung die Erwähnung derer Namen in einem von nostalgischen Darstellungen einer edelmütigen Working Class, die es so nie gab, erschöpften Großbritannien hervorruft.

Robert Rotifer
Zwischen jedem Ansatz einer weiteren Diskussion stand die Unübertragbarkeit des kulturellen Kontexts als unumschiffbarer Wackerstein im Raum. Und das ist generell weit öfter so, als man glauben mag.
Die universelle, locker vorausgesetzte Anglophonie der Popkultur (Film jetzt einmal mit eingeschlossen) hat nämlich eine fatale Illusion eines gegenseitigen Verständnisses erzeugt.
Ich für meinen Teil habe in den Jahren nach meinem Hierherziehen - nicht ohne Schmerzen beim Zerplatzen liebevoll gehüteter Idealvorstellungen - begreifen gelernt, wie falsch man dabei auch auf scheinbar sicherem Boden liegen kann.

Robert Rotifer
Der einzige Ausweg aus dieser Ernüchterung ist, sich seinen kulturellen Missverständnissen zu stellen und sie dann sehr selektiv zu umarmen:
Zum Beispiel jedes einst für brillant gehaltene, im Nachhinein als rhetorisches Humpelhuf entlarvte Wortspiel eines Billy Bragg.
Oder den eigentlich ganz tief im Privatschüler-Ulk verwurzelten Witz von Monty Python.
Oder die aus nächster Nähe groteske Überoffensichtlichkeit des Neunziger-Britpop.
Oder die apolitische intellektuelle Seichtheit der alten Punk-Szene.
Nicht so dagegen wiederum den verhängnisvollen, selbst nach Blair noch weit verbreiteten Irrglauben, die Labour Party wäre sowas wie sozialdemokratisch.
Cash & Carry
Man teile sich diesbezüglich Folgendes ein:
Vor zwei Wochen suchte Gordon Brown beim Parteitag sein Engagement zu beweisen, indem er sogenannte "foyers" (ein Euphemismus für Wohnheim, die Zeitungen sprachen frei nach Dickens gleich vom "workhouse") zur kontrollierten Aufbewahrung und Beschäftigung von Müttern im Teenager-Alter ankündigte. Soweit zum puritanisch autoritären Teil der Seele Labours, der sich mit einer kontinentalen linken Tradition so schwer versöhnen lässt.
Gestern folgte nun seine Idee zur Sanierung der durch die Bankenrettung schwer angeschlagenen Staatsfinanzen, die sich anfühlt, anhört und aussieht wie eine Taschenausgabe der Thatcherschen Privatisierungsfeldzüge der Achtziger Jahre.
Und da es keine nennenswerte linke Opposition inner- oder außerhalb seiner Partei mehr gibt, hört man auch keinen ernsthaften Widerspruch dagegen, dass etwa das "student loan book", also die Verwaltung der zur Bezahlung von Studiengebühren vergebenen StudentInnendarlehen, an private Hände verscherbelt werden soll.

Robert Rotifer
Es fragt sich, wie sich aus StudentInnenschulden Geld machen lässt, die bisher prinzipiell ausschließlich zum Ausgleich der Inflation verzinst waren, es sei denn a) man bricht das Prinzip und Studieren wird noch teurer, oder b) der Staat stützt das private Unternehmen, das das student loan book kauft.
Was mich als alten Studienabbrecher persönlich noch weit nervöser macht, ist der ebenso geplante Ausverkauf der lebenswichtigen Verkehrswege zwischen meinem Schlupfloch in Kent und London bzw. dem Kontinent:
Auf der einen Seite die Mautbrücke über die Themse in Dartford, auf der anderen die Bahnverbindung durch den Kanaltunnel.

Robert Rotifer
*)
Es gibt neben dem Dartford Crossing schon auch noch den Blackwall Tunnel (siehe oben) zur Querung der Themse östlich der City, aber der ist jetzt schon chronisch verstopft.
Über das Dartford Crossing kriecht der ganze Verkehr der östlichen Londoner Ringautobahn, inklusive des Frachtverkehrs vom Kontinent ins gesamte Großbritannien nördlich von London.
Wer immer das kauft, hat de facto ein Monopol*, kann von mir verlangen, was er/sie will und wird das folglich auch tun. Der Staat dagegen verliert das regelmäßige Einkommen durch die Maut.
Was nicht einmal Thatcher einfiel
Das vorausgesagte Rekorddefizit von 175 Milliarden Pfund wird jedenfalls weder durch diesen noch den Verkauf der Pferdewettanstalt Tote oder das sicherheitspolitisch bedenkliche Abstoßen eines Drittels des (mit 25% Weltmarktanteil nicht gerade unbedeutenden) Kernbrennstofferzeugers Urenco um die angekündigten 16 Milliarden Pfund reduziert werden.
All diese Verkäufe waren nämlich, wenn ich der Analyse im heutigen Independent glauben darf, ohnehin bereits im letzten Budget vorgesehen.
Der einzige Grund, warum sie noch nicht über die Bühne gegangen sind, ist dass im derzeitigen Wirtschaftsklima bisher keine kapitalkräftigen Käufer gefunden werden konnten.
Aber wie der von Gordon Brown (auch nicht ganz sozialdemokratisch) per Erhebung in den Adelsstand ins Regierungsamt zurück geholte Lord Mandelson uns erklärt, geht es dem Finanzmarkt ja jetzt wieder besser.
Sollte es auch. Schließlich wurden da ja hunderte Milliarden Steuergeld reingepumpt, die genau jene Investoren, deren Hemden damit gerettet wurden, jetzt in den Ankauf von Staatseigentum zum Sonderpreis stecken dürfen. Immerhin was Neues. Privatisierung durch Staatsverschuldung zu sponsern wäre so nicht einmal Thatcher eingefallen.
Könnte sein, dass ich in meiner Beweisführung, wie wenig Labour mit Sozialdemokratie zu tun hat, vom ursprünglichen Thema der kulturellen Missverständnisse abgekommen bin, aber noch eine Mäander mehr verträgt dieser Text nicht. Schon eher einen zweiten Teil (demnächst).