Erstellt am: 13. 10. 2009 - 10:00 Uhr
Sonics Erben
Ich war nie ein großer Anhänger des blauen Igels. Beim frenetischen Hochgeschwindigkeitsrollen durch bunte 2D-Levels hatte ich schon Anfang der 1990er Jahre immer das Gefühl, etwas zu versäumen. Es entstand der Eindruck, dass die Game Designer gar nicht wollten, dass man den Raum erforscht, bedacht nach geheimen Plätzen Ausschau hält und alle goldenen Ringe sammelt. Hauptsache, schnell und mit möglichst wenig Interaktion und Berührungen der Umgebung durch den Ausgang sausen.
Doch damals ging es in Wirklichkeit auch weniger um das stolze Ausstellen eines neuen Spielprinzips. Der Geschwindigkeitsrausch per pedes war in erster Linie eine Kampfansage von SEGA an den Erzfeind Nintendo, ein Mittel zum Zweck, das beweisen sollte, dass der dickliche Installateur Mario nichts als digitales Alteisen ist: Langsam, kindlich, kantenlos. "Sonic The Hedgehog" war nicht nur technisch überragender, sondern auch sein Hauptcharakter flinker, gewiefter, ambivalenter.
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SEGA / mobygames.com
Sonic wird Mitte der 90er als Marke etabliert und die ersten drei Teile der Serie erfahren bald darauf die Weihen der Game-Klassiker. Nach dem Fieber der ersten Erfolgsjahre wird den Entwicklern aber langsam bewusst, dass das Spielprinzip problematischer ist, als man es anfangs wahr haben wollte. Sonic schafft den Sprung in die dritte Dimension nie so richtig, die vielen Neuauflagen verkommen zu müden Lachnummern. Immer, wenn der mittlerweile abgehalfterte Igel ein Comeback versucht, weiß man schon vorher, was dabei rauskommen wird: Five out of Ten als Durchschnittsnote.
Kein Wunder also, dass das Laufspiel schnell in die Schublade der verqueren Game Design-Ideen gelegt wird und dort für rund 15 Jahre liegen bleibt. First Person Shooter, Autorennen und Echtzeitstrategiespiele dürfen und sollen schnell und wild vonstatten gehen, das zweibeinige durch die Gegend hechten lässt man lange Zeit lieber aus.
Als rund um das Jahr 2006 die urbanen Akrobatik-Sportarten Parkour und Free Running eine starke öffentliche Aufmerksamkeit erleben, wird aber Spieleentwicklern bewusst, dass man auch Avataren wieder mehr Bewegungsfreiheit bieten könnte. Parkour/Free Running-Games lassen nicht lange auf sich warten und erleben mit dem ästhetisch herausragenden "Mirror's Edge" 2008 ihren bisherigen Höhepunkt. Dessen Heldin Faith schafft, was Sonic jahrelang verwehrt blieb: Ein halsbrecherisches und gleichzeitig elegantes Schwingen, Rollen und Gleiten über, unter und auf Hausdächern, Baukränen und Abwasserrohren.
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EA / mobygames.com
Vielleicht ist es bloß den Zeichen der Zeit, also im Falle von Games der zunehmenden Abkopplung von technischer Innovation zuzuschreiben, dass das Laufspiel der alten Schule über Umwege wie eben "Mirror's Edge" nun wieder zurück zur Spielerin findet. Denn wo ein neues, großes, aufwändiges Videospiel, da lassen 2D-Hommagen und Miniatur-Nachahmungen von Fans nicht lange auf sich warten.
Erst wenige Wochen ist es her, dass "CANABALT" (Flash) die Runde durch Blogs, Tweets und Instant Messenger machte. Ein unbekannter Agent rennt um sein Bildschirmleben, von Hausdach zu Hausdach, durch verwaiste Büros und mit in alle Richtungen splitternden Glasscheiben. Wo CANABALT seine zeitgenössische Inspiration her hat, ist unschwer zu erkennen - und doch ist klar, dass hier gleichzeitig ein geschasstes Genre wieder zurück zu neuem Leben findet.
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adamatomic.com
Als Versöhnung der ehemaligen Feinde Mario und Sonic kann auch gewertet werden, wenn in einem anderen, frisch erschienenen Indie-Game ebenfalls irr durch die Gegend gerannt wird - allerdings ohne das ganze allzu ernst zu nehmen. Im Gegenteil: "RunMan: Race Around The World" (Windows) ist mit seinem abgedrehten Kindergarten-Humor, dem bunten Krixikraxi-Artwork und der zur ulkigen Stimmung perfekt passenden Jazz- und Bluegrass-Stücke bereits eine erhellende Unterhaltung, schon bevor man das erste Mal Hand anlegt.
Steuert man RunMan, den gelben Laufstern, dann mal selbst, offenbart sich hinter der naiv anmutenden Kulisse ein leichtfüßiges, motivierendes Zeit- und Punkterennen, das dagegen jeden akribisch eingeübten Speedrun alt aussehen lässt.
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T. Sennett/M. Thorson
Kein Zweifel also: Das Laufspiel ist wieder da. Ob der zweite Runner-Frühling eine ebenso kurze Halbwertszeit haben wird wie das Debüt vor knapp 20 Jahren, ist noch schwer abzuschätzen. Eines hat die aktuelle Laufgeneration dem blauen Igel aber voraus: Sonics Erben kommen aus den Federn begnadeter Amateure. Eine weitere Bestätigung dafür, dass die Indie-Szene immer relevanter wird und Richtungen und Trends für die oftmals träge agierende Games-Industrie vorgibt.